Präsident Macron, in Personalunion auch oberster Befehlshaber der französischen Armee, vollführt seit geraumer Zeit – und nicht erst seit Beginn des russischen Angriffkrieges in der Ukraine – einen gewagten und teils umstrittenen Drahtseilakt zwischen Moskau und Kiew.
Dabei hat er auch seine westlichen Verbündeten, vor allem aber die osteuropäischen Länder und die Ukraine selbst, mehr als einmal irritiert, ja dort für Empörung gesorgt.
Missratener Versuch einer Vermittlerrolle
So manchen lässt Macrons Agieren in der Ukrainefrage an die De Gaullsche Aussenpolitik denken und den damaligen französischen Versuch, einen 3. Weg zwischen Ost und West gehen zu wollen, ohne dafür allerdings wirklich die nötigen Mittel zu haben.
Der Blick ein Jahr und weiter zurück vermittelt den Eindruck, als habe Frankreichs Präsident sein politisches Credo des «en même temps», dieses «sowohl, als auch» ebenfalls auf seine Aussenpolitik gegenüber Moskau und Kiew anwenden wollen. Simpel gesagt: Unterstützung für die Ukraine, gewiss, aber nicht gleichzeitig Russland völlig fallen lassen und von vorneherein zum Paria erklären.
Vor dem 24. Februar 2022 und auch noch in den Monaten danach war es Emmanuel Macron, der am längsten den Gesprächsfaden mit Wladimir Putin aufrechterhalten hatte. Er hat in jener Zeit unzählige Male verkünden lassen, er habe erneut mit Wladimir Putin telefoniert. Die Communiqués aus dem Élysée-Palast glichen sich fast von Woche zu Woche, genützt hat es nichts. Noch zwei Wochen vor dem russischen Überfall auf die Ukraine liess sich Präsident Macron in Moskau an dem inzwischen legendären, sieben Meter langen weissen Tisch von Putin erniedrigen. Macron war in der Hoffnung gekommen, den Kremlchef noch zum Einlenken zu bewegen. Hinterher musste er eingestehen, dass dieser ihn ganz einfach nach Strich und Faden belogen hatte.
Und doch: Frankreichs Präsident versuchte auch nach Beginn von Putins so genannter «militärischen Spezialaktion» weiterhin einen Mittelweg zu finden und präsentierte sich als derjenige, der eine langfristige Lösung im Auge hat und deswegen den Gesprächsfaden mit Putin nicht abreissen lassen wolle. Auch das hat nichts genützt. Inzwischen ist seit Monaten von Telefonaten zwischen dem Elysée und dem Kreml keine Rede mehr.
Eigentlich ist es ja eine Binsenweisheit und Macron hat damit prinzipiell recht, wenn er sagt, einen Frieden könne man am Ende nicht alleine machen und irgendwann müsse man sich an einen Verhandlungstisch setzen.
Allerdings hat der junge Staatspräsident bei seinem Vorpreschen nicht bedacht, dass in der Diplomatie nicht nur zählt, was man sagt, sondern auch der Zeitpunkt, zu dem man es sagt.
Wenn Macron im vergangenen Frühjahr, nach den ersten Gräueltaten der russischen Armee davon sprach, dass man Russland nicht erniedrigen dürfe, und einige Monate später darauf insistierte, dass nach Ende des Kriegs auch Russland Sicherheitsgarantien erhalten müsse, so ist das im Prinzip nicht völlig falsch, nur war es absolut nicht der Zeitpunkt, ein derartiges Signal zu setzen.
Kein Zufall, dass Frankreichs Präsident der europäische Politiker ist, dem die ukrainische Bevölkerung laut einer Meinungsumfrage am wenigsten vertraut.
Wolodymyr Selinskyj verstand nach den oben genannten Stellungnahmen Macrons die Welt nicht mehr, Politiker in Polen und den baltischen Staaten zeigten sich empört und der frühere estnische Präsident, Toomas Irvens, stiess nach Macrons Einlassung, wonach Russland Sicherheitsgarantien erhalten müsse, sogar den Fluch aus: «Putain, ce Macron, c’est pas vrai.»
Macron und Putin
Inzwischen sind sich hohe Ex-Diplomaten und Experten in geopolitischen Fragen weitgehend einig, dass sich Macron in Putin von Anfang an gründlich verschätzt hat und dass seine Russlanddiplomatie seit 2017 insgesamt alles andere als erfolgreich war.
Kaum im Élysée-Palast angekommen, hatte der damals 39-jährige französische Präsident dem alten Fuchs Putin den roten Teppich ausgerollt und denjenigen, der 2014 die Krim annektieren liess, mit viel Pomp und Prunk im Schloss zu Versailles empfangen und bei dieser Gelegenheit angefangen, von einem neuen europäischen Sicherheitssystem unter Einbeziehung Russlands zu sprechen, woraus nie etwas geworden ist, auch weil die meisten westlichen Partner dem Vorhaben nur mit Kopfschütteln begegnet waren. Der prunkvolle Empfang für den Autokraten aus Moskau im Schloss des französischen Sonnenkönigs brachte letzten Endes kein einziges, greifbares Ergebnis.
Ebenso verhielt es sich zwei Jahre später, als Macron – kurz vor einem G-7-Gipfel, zu dem Putin wegen der Krim-Annexion nicht eingeladen war – den Herrscher aus Moskau in seinem Feriendomizil an der Côte d’Azur empfing. Ein paar schöne Fernsehbilder und das war es dann.
Münchner Sicherheitskonferenz
Bei der 59. Münchner Sicherheitskonferenz erklärte Macron nun vom Rednerpult herab:
«Russland kann und darf diesen Krieg nicht gewinnen. Die russische Aktion muss scheitern.» Und betonte gleichzeitig, dass man sich auf einen langfristigen Konflikt einstellen müsse, die Zeit für Verhandlungen sei noch nicht gekommen.
Im Flugzeug beim Rückflug aus der bayrischen Metropole schob Frankreichs Präsident in einem Interview allerdings die Sätze hinterher: «Ich wünsche die Niederlage Russlands. Ich warne aber davor, Russland vernichten zu wollen. Dies war nie die französische Position.» Ganz so, als ob auch nur irgendwer ernsthaft ins Auge fassen würde, Russland ausradieren oder zertreten zu wollen – auf französisch: «écraser». Wer sollte das vorhaben? Die USA vielleicht ?
Wolodymyr Selenskyj jedenfalls liess nach Macrons Auftritt in München verlauten, er glaube, dass der französische Präsident sich im Hinblick auf Putin nun wirklich gewandelt habe. Eine Aussage, die auch ein wenig wie ein Stossseufzer klang und nach den nicht ausgesprochenen Worten: «Endlich hat er kapiert.»
Worte und Taten
Frankreichs Unterstützung für die Ukraine ist, alles in allem, de facto bisher eine eher halbherzige Angelegenheit und in Worten weitaus grösser und stärker als in Taten.
Insgesamt 2,7 Milliarden Euro hat Frankreich auf verschiedene Art und Weise Kiew zukommen lassen. Was Waffenlieferungen angeht, hat sich Paris, anders als seine Partner, erst mal Monate lang bedeckt gehalten und – aus Gründen der militärischen Geheimnisse, wie es hiess – keinerlei konkrete Informationen geliefert. Inzwischen wird darüber durchaus kommuniziert und Experten gehen davon aus, dass Frankreich in der Liste der Waffen liefernden Länder mit 1,4% aller Lieferungen nur an 11. Stelle steht, weit hinter Polen und vor allem Grossbritannien.
Im Vereinigten Königreich werden inzwischen bereits 20’000 ukrainische Soldaten ausgebildet, in Frankreich sind es nicht einmal 2’000.
Und auch Kampfpanzer, wie die USA oder Deutschland, hat Frankreich der Ukraine bisher nicht zugesagt. Vielleicht, so sagen böse Zungen, weil die eigene Armee selbst zu wenige von ihren Leclerc-Modellen hat, nämlich ganze 222, vor zehn Jahren waren es noch 354.
François Heisbourg, ein anerkannter Strategie-Experte, ortete jüngst eine «unerträgliche Diskrepanz zwischen vollmundigen Ankündigungen und der tatsächlich geleisteten Hilfe». Den Blick auf Präsident Macron gerichtet fügte er hinzu, angesichts eines so niedrigen Beitrags aus Paris sollte man keine grossen Reden über die strategische Autonomie der Europäer mehr schwingen.
Und auch der ehemalige Nato-Generalsekretär Fogh Rasmussen sagte gegenüber einer französischen Wochenzeitung, Frankreichs Unterstützung für die Ukraine sei weit entfernt von dem, was man von einem so grossen Land erwarten könne.
Kein grosses Thema
Immerhin: Die öffentliche Meinung in Frankreich steht laut einer jüngsten Meinungsumfrage auch ein Jahr nach Kriegsausbruch weiter hinter der Ukraine. 80% sind über ihre persönliche Situation auf Grund des Ukrainekriegs beunruhigt, trotzdem sind über 70% für weitere Waffenlieferungen, ja möchten diese sogar ausgeweitet sehen, und 64% haben eine gute Meinung über die Ukraine.
Alles in allem aber spielt das Thema Ukraine in der öffentlichen Debatte Frankreichs eine eher untergeordnete Rolle, überdeckt von dem seit Wochen tobenden Streit über die Rentenreform und von den Sorgen der Menschen über die Inflation und die steigenden Energiepreise. Vielleicht auch, weil die geflohenen Ukrainerinnen und Ukrainer hierzulande weit weniger sichtbar sind als etwa im Nachbarland Deutschland. Frankreich hat rund 100’000 von ihnen aufgenommen, östlich des Rheins sind es fast eine Million.
Ja selbst die Nationalversammlung in Paris hat sich dem Thema Ukraine so gut wie gar nicht angenommen, was an der französischen Besonderheit liegt, dass der Präsident der oberste Befehlshaber der Armee ist und das Parlament in militärischen Angelegenheiten nur informiert werden muss, aber nichts entscheiden kann.
Letztlich haben sogar auch die französischen Oppositionsparteien von ganz links bis ganz rechts kein Interesse an einer grossen Debatte zum Thema Ukraine. Denn schliesslich ging die ultrarechte Marine Le Pen vor gar nicht so langer Zeit bei Putin noch mehr oder weniger ein und aus und der Gründer der Linksaussenpartei «La France Insoumise», Jean-Luc Mélenchon, hat sich stets als Putin-Versteher und wortgewaltiger Nato-Gegner geoutet und sich seine regelmässigen Telefonate mit dem Hausherrn im Kreml zu Gute gehalten.
Ja selbst eine Reihe von konservativen Abgeordneten der ehemaligen Sarkozy-Partei «Les Républicains» aus der Umgebung von Ex-Premierminister François Fillon pflegten noch bis vor einem Jahr beste Beziehungen zu Putin und seiner Umgebung.