Ausgerechnet rund um den Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine veranstaltet Südafrika, im Ozean vor der Küste von Durban, ein gross angelegtes Manöver zusammen mit der russischen und der chinesischen Marine.
Entspricht das noch dem Prinzip von Neutralität, das Südafrika, gemäss Erklärungen zahlreicher Regierungsmitglieder, hinsichtlich des von Russland gegen die Ukraine entfesselten Kriegs verfolgt? Oder ist Südafrika mit der Teilnahme an diesem Manöver nun im Sinne der eben in München publizierten G-7-Erklärung bereits zur Unterstützung der russischen Armee übergegangen und muss somit Konsequenzen vonseiten der G-7 (USA, Kanada, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Italien, Japan) gewärtigen?
Wahrscheinlich wird diese G-7-Suppe nicht so heiss gegessen, wie sie eben gekocht wurde. Der Westen (plus Japan) wird sich davor hüten, die Beziehungen mit irgend einem Land auf dem afrikanischen Kontinent zu belasten – man versucht ja immer noch zu verstehen, weshalb kein afrikanischer Staat sich an Sanktionen gegen Russland beteiligt, warum 25 von 55 Regierungen bei Uno-Abstimmungen zum Ukraine-Krieg konsequent Stimmenthaltung üben und warum Russlands Aussenminister Lawrow bei nunmehr schon zwei Afrika-Reisen im Jahr 2023 in rund einem Dutzend Hauptstädten mit grossen Ehren empfangen worden ist.
50 Milliarden Entwicklungshilfe
Vergisst man in Afrika, dass aus westlichen Ländern pro Jahr durchschnittlich 50 Milliarden Entwicklungshilfe kommt? Ignoriert man in Südafrika die, beispielsweise, 970 Millionen, die, laut Weltbank, im Jahr 2019 ins Land flossen? Ist es unbedeutend, dass die Grossmacht Russland nackte Aggression gegen einen relativ kleinen Nachbarn begeht, hunderttausende Menschen in den Tod reisst und ein ganzes Land in Schutt und Asche legt?
Besser als irgendwelches Klagen ist wohl eine nüchterne Analyse.
- Die Ukraine und Russland – aus afrikanischer Perspektive eine weit entfernte Region mit Problemen, die kaum verständlich sind. Der Westen, der von Afrika die Beteiligung an Sanktionen einfordert: eine Welt für sich, die, in der kollektiven Erinnerung, immer noch als ehemalige Kolonialmacht oder als Apartheid-Unterstützer wahrgenommen wird. Und wenn es um Hilfe geht, sind Investitionen, wie sie China in Afrika tätigt, sichtbarer als Entwicklungsgelder aus dem Westen – die in ihrer Mehrzahl an die Regierungen fliessen und oft abstrakt erscheinen, weil es sich um Schulden-Erlasse handelt. Chinas Investitionen auf dem Kontinent erreichten letztes Jahr 130 Milliarden US-Dollar – sichtbar in der Form von Strassen, Eisenbahnen, Flughäfen, Parlamentsgebäuden, unsichtbar oder kaum erkennbar in der Form von Beteiligungen an Rohstoff-Konzernen (da sind die chinesischen Investoren hemmungslose Kapitalisten, was sich u. a. im Drücken von Löhnen manifestiert). Der Handel Chinas mit Afrika erreicht übrigens noch einiges mehr, nämlich fast 200 Milliarden. Was hat der Westen zu bieten? Investitionen im Umfang von weniger als der Hälfte der chinesischen, Handel (EU plus USA) 338 Milliarden. Das ist zwar mehr als jener Chinas, aber Handel wird, aus afrikanischer Perspektive, zwiespältig beurteilt. Viele vertreten die Ansicht, Handel sei gleichzusetzen mit Ausbeutung. Russland übrigens ist, was den Handel mit Gütern betrifft, zur Zeit noch wenig bedeutend (aktuell 20,5 Milliarden).
- Aus der Perspektive der (mehrheitlich autoritären) Regierungen in Afrika ist die westliche Hilfe, handle es sich nun um Investitionen oder andere Formen der Unterstützung, immer verbunden mit Belehrungen, Anmahnungen und Drohungen: Wenn ihr die Menschenrechte, die Demokratie nicht besser beachtet, gibt es nächstes Jahr nichts mehr oder zumindest weniger! Westliche Regierungen schicken ihre Beobachter, um die Einhaltung von Normen zu kontrollieren – China aber schickt niemand und bringt das Thema Menschenrechte nie aufs Tapet.
- Russland in Afrika: Untersuchungen zur Beliebtheit gibt es, breitflächig, noch nicht. Aber dass der Einfluss Russlands in vielen Ländern des Kontinents steigt, ist nicht zu übersehen. Mit 19 afrikanischen Ländern hat Moskau militärische Abkommen geschlossen. Die Wagner-Söldner stützen Regime in der Zentralafrikanischen Republik und Mali und waren auch schon in Moçambique präsent. Historisch verbunden mit Moskau sind die Regierungen Südafrikas, Namibias und Simbabwes aufgrund der sowjetrussischen Hilfe im Kampf gegen die weissen Regimes respektive um die Unabhängigkeit. Und, bezogen auf ganz Afrika: 44 Prozent der Waffenimporte stammen aus Russland. Kommt hinzu, dass zahlreiche afrikanische Länder auf Getreidelieferungen aus Russland angewiesen sind – und dass die horrenden Preissteigerungen als Folge des Kriegs für zig-Millionen Menschen zu Alltagsnot geführt hat und dass diese Millionen nichts anderes herbeisehnen, als ein Ende des Kriegs, egal wie. Das sei ja ohnehin nur ein Konflikt zwischen Europäern, von dem niemand zu sagen wüsste, wer schuld sei, lauten Antworten in Spontan-Interviews von Korrespondenten europäischer Medien in vielen afrikanischen Ländern.
- Russland setzt sich in Afrika medial geschickt in Szene – der Propagandasender RT verbreitet seine TV- und Radio-Programme breitflächig und hat eben angekündigt, in Südafrika ein relativ grosses Studio zu installieren. RT verbreitet das Narrativ, Russland habe den Krieg aus purer Not beginnen müssen, weil es von der Nato und der faschistischen Ukraine bedroht werde und die Nato mit den USA an der Spitze Russland zerstören wolle.
Der Westen ist nicht «die Welt»
Fazit: der Westen ist mit seiner Erwartung, die ganze Welt würde sich gegen Russland positionieren, auf verlorenem Posten. Nicht nur in Afrika – auch in Lateinamerika und dem asiatischen Kontinent hat nicht ein einziges Land klar Stellung bezogen. Fast alle beschwören ihre Neutralität im Konflikt, aber fast alle haben im Verlauf des Kriegsjahrs ihren Handel mit Russland entweder auf dem alten Niveau gehalten oder ihn sogar ausgeweitet. China bezieht 83 Prozent mehr Güter aus Russland als noch vor dem Beginn des Kriegs, Indien weitete seine Importe um das sechsfache aus. Und die Türkei, Mitglied der Nato, bezieht 1,6 mal mehr Waren aus Russland als früher. 5,2 Millionen Russinnen und Russen verbrachten übrigens im Jahr 2022 ihre Ferien in der Türkei.
Und Fazit des Fazits: Dieser Krieg wird noch lange, sehr lange, dauern. Denn die Erwartung westlicher Länder und der Ukraine selbst, dass westliche Sanktionen das System Putin zum Ende seiner so genannten militärischen Spezialoperation zwingen würden, die zielt an den globalen Realitäten vorbei. Denn der Westen ist nicht «die Welt».