Was sich vor knapp zwei Jahren nach der Regionalwahl im südspanischen Andalusien zutrug, wiederholt sich in Portugal jetzt nach der Regionalwahl auf den fernen Inseln der Azoren. Sowohl Andalusien als auch die Azoren hatten bis zu ihren Regionalwahlen sozialistische Regierungen gehabt. Als Ende 2018 die spanischen Sozialisten (PSOE) ihre absolute Mehrheit im andalusischen Regionalparlament verloren, tat sich der konservative Partido Popular (PP) mit der Protestpartei Ciudadanos zusammen. Mit ihren insgesamt 47 der 109 Sitzen konnten sie aber noch keine Regierung bilden. Sie sicherten sich daher die Unterstützung der rechtsextremen Partei Vox, die erstmals in ein Regionalparlament eingezogen war. Auf den Azoren sieht es jetzt so aus, als würde die xenophobe Partei Chega das Zünglein an der Waage spielen.
Fünf Parteien im rechten Boot
Immerhin 24 Jahre lang hatten in der Inselregion mit 243’000 Einwohnern die Sozialisten regiert. Sie behaupteten sich bei der Regionalwahl am 25. Oktober zwar als stärkste Kraft, verloren allerdings ihre absolute Mehrheit im Parlament, wo sie nur noch 25 Abgeordnete stellen, fünf weniger als vorher. Nun will der bürgerliche Partido Social Democrata (PSD) die Regierung bilden, und zwar mit dem konservativen Partido Popular (CDS-PP) und den Monarchisten (PPM) als kleinen Partnern. Zur absoluten Mehrheit im Parlament fehlen aber noch drei Stimmen. Ohne sich an der Dreierkoalition zu beteiligen, machen der einzige Abgeordnete der Liberalen Initiative (IL) und die zwei Abgeordneten von Chega die absolute Mehrheit von 29 Sitzen komplett.
Am Freitag meldete Chega-Gründer André Ventura, dass sich seine Partei mit dem PSD über die Bedingungen für die Unterstützung einer Regierung verständigt habe. Am Samstag erhielt der 55-jährige José Manuel Bolieiro als PSD-Spitzenkandidat vom „Vertreter der Republik“, Pedro Catarino (dieser vertritt auf den Inseln die Zentralmacht), den Auftrag, eine neue Regierung zu bilden.
Zu welchem Preis lenkt Chega ein? Ihr Chef, Ventura, der diese Partei als deren bisher einziger Abgeordneter im nationalen Parlament vertritt, hatte die Absicherung einer PSD-geführten Regierung von Zugeständnissen des PSD auf landesweiter Ebene abhängig gemacht. Er dachte insbesondere an eine von ihm vorgeschlagene Revision der Verfassung von 1976. Ventura will nicht nur das nationale Parlament mit jetzt 230 Sitzen verkleinern und die in der Verfassung bisher verbotene lebenslange Haft erlauben. Er ruft auch nach chemischer Kastration von pädosexuellen Straftätern.
Bezieher von Sozialhilfe müssen bangen
Er will sich auf nationaler Ebene jetzt offenbar mit einer Verkleinerung des Parlaments begnügen. Speziell für die Azoren fordert er derweil nicht nur eine Schrumpfkur für das Parlament, sondern auch die Eindämmung der Abhängigkeit von Subventionen. Letzteres träfe wohl auch die Bezieher von Sozialhilfe, deren Anteil an der Bevölkerung auf den neun Inseln im Atlantik mit zehn Prozent so hoch ist wie nirgendwo sonst im Land. Getreu seiner populistischen Linie will Ventura schliesslich auch eine regionale Behörde für den Kampf gegen die Korruption ins Leben rufen.
Beim PSD will man nicht von einem Abkommen sprechen, sondern nur von einer Verständigung. Chega-Chef Ventura sieht eine Konvergenz in einigen für die Region und das Land grundlegenden Fragen. Ob dies der erste Schritt zu einem Bruch des Cordon sanitaire gegenüber Chega auf nationaler Ebene ist, muss sich erweisen.
An Angela Merkel kein Beispiel genommen
Der PSD ist eine ideologisch relativ heterogene Partei mit konservativen, liberalen und sozialdemokratischen Tendenzen und gehört, wie auch die deutsche CDU, zur Europäischen Volkspartei. PSD wurde kurz nach der Nelkenrevolution von 1974 gegründet (als Partido Popular Democrático, PPD) und war eine Heimat für all jene Leute, die weder ganz links standen noch dem Faschismus nachtrauerten.
Einer ihrer Gründer war der spätere Ministerpräsident der Jahre 1979/80, Francisco Sá Carneiro (1934–1980), der bei einem Flugzeugabsturz den Tod fand (man streitet noch immer darüber, ob dies ein Unfall oder das Resultat eines Attentats war). Unter den herausragenden PSD-Führern waren auch der langjährige Ministerpräsident und spätere Staatspräsident Aníbal Cavaco Silva (*1939), der Ministerpräsident und spätere Chef der EU-Kommission José Manuel Durão Barroso (*1956) sowie der jetzige Staatspräsident, Marcelo Rebelo de Sousa (*1948).
Rote Linien und die Präsidentenwahl
Ministerpräsident und Sozialistenchef António Costa warf PSD vor, durch die Verständigung mit Chega auf den Inseln eine für die demokratische Rechte bestehende „rote Linie“ überschritten zu haben. Ein Abkommen mit der „xenophoben Rechten“ öffne Türen für Feinde der Demokratie. Costa hob hervor, dass der PSD weiter gegangen sei als in Deutschland die CDU-Kanzlerin Angela Merkel. Sie hatte zu Jahresbeginn ihren Parteifreunden im Landtag von Thüringen die Ohren langgezogen, nachdem eine Mehrheit von CDU, FDP und AfD den FDP-Mann Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt hatte. Costa bekam von rechts derweil vorgeworfen, im Jahr 2015 eine rote Linie überschritten zu haben, als er sich mit Kommunisten und dem Linksblock über die parlamentarische Tolerierung seiner Minderheitsregierung einigte.
Manche Wahlumfragen rechneten für Chega landesweit schon mit Stimmanteilen von sechs bis acht Prozent. Chega-Chef Ventura will bei der im Januar fälligen Wahl des Staatspräsidenten gegen Amtsinhaber Rebelo de Sousa antreten. Er liess vor Monaten wissen, dass er als Parteichef abtreten werde, falls er nicht auf den zweiten Platz komme. Er hat inzwischen durchblicken lassen, dass er es damit vielleicht nicht so genau nehmen werde. Auch für diesen 37-jährigen Juristen, der sich so als Saubermann gibt, wiegt die Hoffnung auf Macht offenbar schwerer als die Treue zum eigenen Wort.