Kakistokratie? Der Begriff scheint zwar noch nicht sehr weitherum geläufig zu sein. Er heisst «Herrschaft der Schlechtesten» und der britische «Economist» hat ihn unlängst zum «Wort des Jahres» erklärt – mit ausdrücklichem Bezug auf die sich formierende zweite Trump-Administration. Aber ist das damit gefällte Urteil heute schon gerechtfertigt?
Der «Economist» gilt politisch als eher konservativ, geniesst aber weit über die Wirtschaftswelt hinaus einen ausgesprochen seriösen Ruf. In den USA wird diese Zeitschrift besonders häufig gelesen. Man fragt sich daher, weshalb die britischen Publizisten den doch recht sperrig und seltsam anmutenden Ausdruck Kakistokratie (englisch: Kakistocracy) jetzt zum Wort des Jahres kürten.
Das Gegenteil von Aristokratie
Der Begriff, so erfährt man, setzt sich aus dem griechischen «kakistos» (am schlechtesten) und «kratia» (Herrschaft) zusammen. Diesen letzteren Bezug findet man auch in allgemein bekannten Wörtern wie Demokratie oder ähnlich in Monarchie, Oligarchie oder Anarchie (Herrschaft des Volkes, des Einen, der Wenigen, Herrschaftslosigkeit oder Gesetzlosigkeit). Ursprünglich wurde das Wort Kakistokratie als das Gegenteil zur Aristokratie (Herrschaft der Besten) verwendet.
Wer vermutet, bei der Kakistokratie handle es sich trotz seiner griechischen Wurzeln um eine eher neuartige Wortschöpfung, täuscht sich. Der Ausdruck wird auch im Deutschen schon im 18. Jahrhundert verwendet. Christoph Martin Wieland, der Weimarer Zeitgenosse Goethes, äusserte die Befürchtung, dass die Französische Revolution zu einer Kakistokratie ausarten könnte.
Wo der Begriff Anklang findet
Der «Economist», der aus seinem Misstrauen und seiner Ablehnung gegen Donald Trump zumindest seit dessen Anstachelung zum Putsch-Versuch in Washington nach der verlorenen Wahl von 2021 nie ein Hehl gemacht hat, begründet seine Entscheidung, die Kakistokratie zum Wort des Jahres zu deklarieren, hauptsächlich mit einer Reihe von irritierenden personellen Ernennungen des neu gewählten Präsidenten in seine Regierungsmannschaft. Erwähnt werden die Nominierungen des politischen Irrläufers Matt Gaetz zum neuen Justizminister, der aber nach einem Sturm der Empörung selbst unter Republikanern schon nach wenigen Tagen das Handtuch warf. Oder die Ernennung des Verschwörungspropheten Robert Kennedy zum Gesundheitsminister. Ebenso zeigt sich der «Economist» irritiert über die Nomination des Fox-News-Populisten Pete Hegseth zum Pentagon-Chef oder der Putin-Schwärmerin Tulsi Gabbard zur Koordinatorin der US-Geheimdienste.
Immerhin räumt der «Economist» ein, dass Trump mit Marco Rubio als Aussenminister und Susie Wiles als Stabschefin im Weissen Haus auch Persönlichkeiten mit Kompetenz und Erfahrungen in seine Regierung hole. Und er weist zur Relativierung darauf hin, dass es in allererster Linie jene 68 Millionen (48,3 Prozent) unter den amerikanischen Wählern sind, die am 6. November für Kamala Harris und nicht für Donald Trump stimmten, unter denen jetzt der negative Begriff Kakistokratie herumgeboten wird.
Kakistokratien auch in Europa?
Doch die Vermutung ist wohl nicht allzu verwegen, dass das Wort für die «Herrschaft der Schlechtesten» bald auch in unseren Breitengraden prominentere Karriere macht. Wenn man herumhört, was im anlaufenden Wahlkampf in Deutschland so alles über die auseinandergebrochene Ampel-Koalition kommentiert, kritisiert und gelästert wird, kann man sich nur wundern, weshalb in deutschen Medien die Kakistokratie es noch nicht zur fetten Schlagzeile gebracht hat. Ähnliche günstige Voraussetzungen für eine inflationäre Ausbreitung des Kakistokratie-Begriffs könnten aktuell auch in Frankreich gegeben sein. Und wer unter Schweizer Bürgern die Frage stellte, mit welchem Wort das gegenwärtige Bundesratskollegium einzustufen wäre, so würden mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht wenige Eidgenossen radikal links und radikal rechts vom pragmatischen Zentrum auf «Kakistokratie» tippen – falls dieser Ausdruck auch hierzulande schon zum Wort des Jahres avanciert wäre.
Aber zurück zu Amerika und dem «Kakistokratie»-Verdikt in Sachen Trump. Gegen diese Etikettierung lässt sich heute grundsätzlich einwenden, dass dieses vom «Economist» vielleicht allzu voreilig in Umlauf gebracht wird. Denn es geht ja um eine Einschätzung von Trumps zweiter Administration, die noch gar nicht im Amt ist. Gewiss kann man geltend machen, dass die Öffentlichkeit bei der ersten Trump-Auflage mit ihren nervenstrapazierenden Skandalen und atemraubenden personellen Wechseln ziemlich ungute Erfahrungen gemacht hat. Doch das ist noch kein fester Beweis dafür, dass auch die zweite Trump-Regierung ähnliche Schwächen zeigen wird.
Abwarten und Tee trinken
Denn die Zukunft ist für gewöhnlich Sterbliche immer offen. Niemand kann über sie ein verlässliches Urteil abgeben. Niemand hat ja bis vor kurzem den Fall des Assad-Regimes in Syrien vorausgesehen. Nur wenige haben schon ein paar Jahre voraus den Fall der Berliner Mauer von 1989 für möglich gehalten und die allermeisten Beobachter haben nicht damit gerechnet, dass Putin 2022 die Ukraine überfallen würde.
Also können wir auch nicht genau wissen, ob sich die zweite Trump-Regierung tatsächlich als Kakistokratie entpuppen wird. Wird man weiter von der «schlechtesten Regierung» reden, wenn es ihm gelingen sollte, im Ukraine-Krieg tatsächlich einen haltbaren Waffenstillstand mit halbwegs akzeptablen Bedingungen für beide Seiten zustande zu bringen?
Kurz, man muss abwarten und Tee trinken – und hoffen, dass die zum Wort des Jahres ausgerufene Kakistokratie eine aparte Worthülse bleibt und nicht zur bösen Realität mutiert.