Die israelische Luftwaffe hat in den vergangenen Tagen in mehr als 480 Luftangriffen systematisch strategische Waffenlager, Einrichtungen und Stellungen der ehemaligen syrischen arabischen Armee angegriffen. Gleichzeitig hat die israelische Marine die syrische Flotte weitgehend zerstört. Durch den Wegfall Syriens aus der bisher vorwiegend von Iran gesteuerten «Achse des islamischen Widerstands» wird der Einfluss Teherans in der Nahostregion stark geschwächt.
Am Wochenende behauptete die israelische Militärführung, rund 70 Prozent der syrischen Luftabwehr, 80 Prozent der syrischen Raketenstellungen sowie Dutzende Kampfflugzeuge und Hubschrauber seien zerstört worden. Damit haben die syrischen Streitkräfte nicht nur ihre gesamte Offensivkraft eingebüsst, sondern auch die Lufthoheit verloren.
Besetzung der Pufferzone auf den Golanhöhen
Genau das dürfte die strategische Absicht Israels gewesen sein. Zum einen sollte den neuen Machthabern in Damaskus präventiv die Möglichkeit genommen werden, Israel militärisch zu bedrohen. Zu diesem Zweck besetzten die israelischen Streitkräfte die Pufferzone auf den Golanhöhen. Der Hermon, mit 2’814 m höchster Punkt des gleichnamigen Bergmassivs am Rande der Pufferzone, dient der israelischen Armee nun als vorgeschobener Beobachtungsposten, von dem aus militärische Bewegungen sowohl im Südlibanon als auch in Südsyrien identifiziert werden können. Selbst Damaskus ist in die Reichweite der israelischen Artillerie gerückt.
Auf der anderen Seite verschafft sich Israel eine günstige Ausgangsposition für den Fall einer Eskalation des Konflikts mit dem Iran. Trumps Aussage, Sanktionen würden nicht ausreichen, um den Iran am Bau einer Atombombe zu hindern, weshalb präventive Luftschläge gegen iranische Nuklearanlagen erwogen würden, findet eine Parallele in Netanjahus Rede an das iranische Volk, in der er die Überzeugung äusserte, der Iran werde «viel früher frei sein, als die Menschen glauben».
Verbesserte israelische Position gegenüber Iran
Im Falle einer direkten militärischen Konfrontation verfügt Israel nun über ein strategisches Vorfeld, das bis an die Grenze zum Irak reicht. Damit könnte eine Bedrohung durch iranische Raketen früher und direkter erkannt und beantwortet werden. Auch der Operationsraum bei einem Angriff auf Stellungen im Iran würde sich deutlich vergrössern. Die iranische Reaktion würde nicht lange auf sich warten lassen. Sollten iranische Einrichtungen angegriffen werden, wäre, so iranische Regierungsstellen, auch der US-Stützpunkt al-Udeid in Katar Ziel eines militärischen Gegenschlags.
Unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Assad-Regimes sagte Netanjahu, dass die Achse des islamischen Widerstands zwar noch nicht verschwunden sei, doch werde Israel das Gesicht des Nahen Ostens nachhaltig verändern. Tatsächlich haben der Waffenstillstand im Libanon und der Siegeszug der syrischen Oppositionsmilizen den iranischen Ambitionen im Nahen Osten einen schweren Schlag versetzt.
Zwar hatten die Revolutionsgarden dem Regime in Damaskus Waffenhilfe versprochen, falls es diese anfordere, doch reagierte der iranische Präsident Peseschkian auf Anfragen mit ostentativem Schweigen. Schon vor dem Sturz des Regimes in Damaskus entstand der Eindruck, die iranische Führung habe beschlossen, Assad nicht mehr zu unterstützen. Wie der Kommandeur der Revolutionsgarden, Hossein Salāmi, am 12. Dezember erklärte, habe es in der iranischen Führung doch erhebliche Vorbehalte gegen das Herrschaftssystem des syrischen Regimes gegeben. Zudem sei eine militärische Intervention aus logistischen Gründen kaum möglich gewesen. Zwar sei die strategische Lage Syriens für den Iran von grosser Bedeutung, aber auch der Iran müsse seine strategischen Vorstellungen der Realität anpassen. Eine militärische Intervention in Syrien hätte nur zu einer Zersplitterung der Einsatzgebiete der Revolutionsgarden geführt.
Stark geschwächter Einfluss des Iran
Immerhin hatte das iranische Regime noch irakischen Unterstützungsangeboten zugestimmt, nach denen Angehörige schiitischer Milizen nach Syrien entsandt werden sollten. Doch von den versprochenen Zehntausenden Kämpfern kamen nur wenige Dutzend nach Ostsyrien. Auch die Unterstützung des Hisbollah für das syrische Regime hielt sich in engen Grenzen. Anfang November wurden die vor Aleppo stationierten Hauptverbände des Hisbollah abgezogen und zur Unterstützung der Einheiten in der Beqaa-Ebene im Libanon eingesetzt. Mit grossem propagandistischem Aufwand wurden am 7. Dezember einige Hisbollah-Kämpfer nach Homs entsandt, allerdings mit dem Auftrag, die Entwicklung zu «beobachten», ohne selbst in die Kämpfe einzugreifen.
Verglichen mit dem grossspurig vorgetragenen propagandistischen Anspruch ist die Lage für den Iran desolat. Die Hamas erklärte in einer Stellungnahme: «Die Islamische Widerstandsbewegung (Hamas) beglückwünscht das brüderliche syrische Volk zu seinem Erfolg bei der Verwirklichung seines Strebens nach Freiheit und Gerechtigkeit, und wir rufen alle Teile des syrischen Volkes auf, ihre Reihen zu schliessen, den nationalen Zusammenhalt zu stärken und den Schmerz der Vergangenheit zu überwinden.» Für die iranische Führung, die alles getan hatte, um die Hamas unter ihren direkten Einfluss zu bringen, muss diese Erklärung eine Provokation gewesen sein.
Teherans gescheiterte Expansionspläne
Am 27. November, dem Tag, an dem der Waffenstillstand zwischen Israel und dem Hisbollah in Kraft trat, eröffneten die HTS-Milizen und ihre Verbündeten die Offensive gegen die regimetreuen Truppen, und zwei Tage später gelang ihnen der Einmarsch in Aleppo. Die Regimetruppen konnten die Offensive mit russischer Luftunterstützung nur kurz aufhalten. Die gleichzeitige Mobilisierung der Einheiten der südlichen Operationszone und der drusischen Milizen von al-Suwaida entlastete die Front im Norden. Zwischen dem 5. und 7. Dezember konnten die oppositionellen Milizen die Kontrolle über den Machtbereich des Assad-Regimes übernehmen. Am Morgen des 8. Dezember waren das 53-jährige Assad-Regime und die 61-jährige Baath-Diktatur Geschichte.
Damit war klar: Die Achse des islamischen Widerstands, das Herzstück der iranischen Interventionspolitik der letzten zwei Jahrzehnte, hatte zwei ihrer wichtigsten und prestigeträchtigsten Verbündeten verloren. Der Begriff «Achse des Widerstands» existierte bereits seit den 1960er Jahren, meist bezogen auf die Schlüsselstellung einer Organisation oder Vereinigung in einer antikolonialen Bewegung. Ab 1970 wurde er auch auf Palästina angewandt. Mit dem Attribut «islamisch» taucht der Begriff ab 1996 vereinzelt auf, ohne sich jedoch auf zeitgenössische Verhältnisse zu beziehen.
Im Sommer 1996 hatte Khamenei die Interventionspolitik der iranischen Revolutionsgarden, die in der Zeit des iranisch-irakischen Krieges in einer «Abteilung für islamische Befreiungsbewegungen» organisiert war, zu einer Art «islamischer Internationale» machen wollen und dazu zu einer Konferenz mit dem Titel «Hisbollah International» eingeladen. Offenbar war geplant, den Begriff «Hisbollah» zu einem Begriff für islamische Widerstandsbewegungen weltweit zu machen. An der Konferenz in Teheran nahmen der libanesische Hisbollah, der Palästinensische Islamische Dschihad, die Hamas, die PFLP, die PKK und andere lokale pro-iranische Organisationen und Bündnisse teil.
Ausfall Syriens im iranischen Machtkalkül
Trotz der breiten Beteiligung gelang es dem Regime jedoch nicht, die Idee eines transnationalen Hisbollah umzusetzen. Stattdessen bildete sich eine Hierarchie der Feinde heraus: Im Zentrum stand Jerusalem, das von der israelischen Herrschaft befreit werden musste, was die Befreiung Palästinas von Israel erforderte, was die Befreiung der arabischen Länder vom US-Imperialismus bedeutete, was Widerstand gegen die sunnitische Hegemonie verlangte. Dieses Geflecht sollte ein «Imperium des Widerstands» begründen. Die strategische Ausrichtung schloss Syrien schon früh mit ein, als das Assad-Regime zur Schutzmacht der christlichen Phalange und des Hisbollah im libanesischen Bürgerkrieg wurde.
Das syrische Baath-Regime war das einzige staatliche Regime, das sich dem Bündnis der iranischen Interventionspolitik anschloss. Im Jahr 2010 verkündete der iranische aussenpolitische Berater Khameneis und ehemalige Aussenminister Ali Akbar Velayati: «Syrien ist das goldene Glied in der Kette des Widerstands gegen Israel.» Unter dem Begriff «Interoperabilität» wurden strategische Positionen der Verbündeten für die iranische Interventionspolitik definiert. Der Begriff «Achse des islamischen Widerstands» wurde um 2008 von der iranischen Propaganda aufgegriffen, wobei der irakische Kontext und das Scheitern einer Initiative des Kommandeurs der al-Quds-Brigaden, Qassem Soleimanis, mit den USA eine gemeinsame Strategie im Irak zu entwickeln, ausschlaggebend gewesen sein dürften.
Khomeinis nationalreligöser Messianismus
Die 1983 gegründeten al-Quds-Brigaden, eine der fünf Formationen der Revolutionsgarden, bildeten den Kern der iranischen Interventionsordnung. Die mehrere tausend Mann starken Einheiten fungierten nicht nur als Schnittstelle in den Ländern des Fruchtbaren Halbmonds, sondern übten auch eine gewisse Kontrolle über die Verbündeten aus. Damit standen sie im Zentrum der Achse. Die gezielten Angriffe der israelischen Luftwaffe auf Kader der al-Quds-Brigaden trafen daher die politische Führungsebene der Achse massiv.
Mit der Übernahme des Begriffs radikalisierte Soleimani zugleich den nationalreligiösen Messianismus, den Khomeini zum Programm erhoben hatte, und definierte die Revolutionsgarden als Organ dieses Messianismus. Dies bedeutete eine schleichende Anpassung lokaler schiitischer Traditionen an diesen Messianismus, wodurch auch die Zaiditen im Jemen und die Alawiten in Syrien und im Libanon eine Angleichung an die khomeinistische Interpretation der Zwölferschia erfuhren. Die so entstandene Vernetzung, die dann als Achse des islamischen Widerstands bezeichnet wurde, hat nie eine politische Form gefunden, sie ist bis heute ein nicht formalisiertes Netzwerk der Zustimmung zum iranischen Führungsanspruch dieses schiitischen Messianismus und der Bindung an eine «schiitische Welt» als Umfeld Irans (formal durchaus analog zum russischen Konzept der «Russischen Welt»).
Mit dem Tod Soleimanis im Januar 2020 hat sich die Bindungskraft der Achse stark abgeschwächt, seitdem hat der Iran selbst deutlich gemacht, dass nationale Politik immer Vorrang vor einem schiitischen Internationalismus hat. Dies reproduziert einen Kompromiss in der inneriranischen Dualität von Revolutionsordnung und Regierungsordnung und schwächt das Primat der Revolutionsgarden hinsichtlich des messianischen Auftrags im Sinne Soleimanis. Die nationale Politik etwa des libanesischen Hisbollah tritt nun deutlich hervor, während radikale Messianisten der irakischen Schia das Erbe Soleimanis für sich reklamieren und versuchen, der Achse eine Art transnationales Eigenleben zu verleihen. Indirekt erkennt die iranische Führung diese Entwicklung insofern an, als sie den Begriff der «Achse des islamischen Widerstands» zu einer «Achse des Widerstands» ausweitet und damit die Vierergruppe Iran, Russland, Belarus und Nordkorea sowie ihre jeweiligen Verbündeten meint.
Das Mullah-Regime vor neuen Richtungsentscheidungen
Das Scheitern der bisherigen Formen und Instrumente iranischer Interventionspolitik ist offensichtlich. Sowohl die nationalistische Politik als auch der radikalisierte Messianismus höhlen die Solidaritätsordnung der Achse aus. Sie zwingen das Regime zu einer Richtungsentscheidung. Entweder es fährt die Interventionspolitik zurück, baut die sie tragenden Institutionen im Ausland ab und konzentriert sich auf den Aufbau eines nuklearen Abwehrschirms mit russischer Hilfe. Oder sie ordnet ihre Bündnispolitik neu und schafft sich im Nahen Osten eine neue Landschaft von Allianzen, die dem religiös-ideologischen Programm der Revolutionsgarden näherstehen.
Khameneis Position scheint klar: Er will die Rekonstruktion der Achse durch eine Neugestaltung der Interventionsordnung. Doch das System gibt dies kaum noch her. Präsident Peseschkian und das politische Establishment hingegen sehen die Lage wohl nüchterner: Die israelisch-amerikanische Bedrohung könnte schneller als erwartet in Kriegsgeschehen umschlagen. Die Folgen, so haben die Ereignisse in Syrien gezeigt, sind kaum zu kalkulieren. Ein Kollaps der Staatsordnung der islamischen Republik gehört in den Möglichkeitsraum der näheren Zukunft.