Über den Begriff Konkordanz ist im helvetischen Kontext in letzter Zeit derart ausufernd doziert, gestritten und polemisiert worden, dass wir unsern Lesern hier nicht noch eine weitere Exegese zumuten wollen. Das erübrigt sich schon deshalb, weil der grüne Fraktionschef Antonio Hodgers die epische Konkordanz-Diskussion in der Eidgenossenschaft abschliessend und unwiderlegbar auf den Punkt gebracht hat.
Hodgers sagte bei seinem Auftritt vor der Vereinigten Bundesversammlung: „Alle Parteien sind für Konkordanz, aber es gibt keine Konkordanz, was Konkordanz überhaupt ist.“ Es war der mit Abstand scharfsinnigste und gehaltvollste Satz im rituellen Redereigen zur Bundesratswahl vom 14. Dezember 2011.
Es gibt übrigens – über den strapazierten helvetischen Kontext hinaus – noch andere Konkordanzen, z. B. die Bibelkonkordanz. Diese ist für Theologen und Bibelforscher, aber wohl auch für manche säkularen Redenschreiber oder Leitartikler von einiger Relevanz. Gemeint ist mit dem Begriff ein Verzeichnis der Verwendungsfälle (Okkurrenzen) für alle wichtigen Wörter des Bibeltextes. Mit der Bibelkonkordanz kann man somit gezielt nach der Verwendung einzelner Worte, Begriffe und Namen in der Bibel suchen. Im Vergleich zur Konkordanz im schweizerischen Polit-Jargon ist dieser biblische Konkordanz-Begriff also um einiges konkreter.
Womit keineswegs gesagt sein soll, dass die Konkordanz im politischen System der Schweiz ein völlig sinnloser Begriff wäre. Nützlich ist er gerade wegen seiner inhaltlichen Dehnbarkeit. Henry Kissinger hat die Verwendung unscharfer Formulierungen im Zusammenhang mit scheinbar unüberwindlichen politischen Konflikten als „constructive ambiguity“ (konstruktive Mehrdeutigkeit) bezeichnet.
R.M.
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