Lehnwörter sind Produkte einer sprachlichen Entlehnung: Ein Wort wird in einer bestimmten Sprache (Zielsprache, Nehmersprache) von einer andern Sprache (Gebersprache) übernommen. Diese werden häufig (aber nicht immer) an den Sprachgebrauch der Nehmersprache angepasst – etwa was die Flexion oder die Schreibweise betrifft.
Zu den Lehnwörtern in einem weiteren Sinn zählen auch die Fremdwörter. Doch bei Fremdwörtern erfolgt meist keine engere Anpassung an die Schreibweise der Nehmersprache. Die Übergänge zwischen Lehnwörtern im engeren Sinne und Fremdwörtern sind fliessend.
Hier einige Beispiele von Lehnwörter-Austausch
Englisch-Deutsch: Aus dem Englischen dürften in den letzten 50 Jahren mit weitem Abstand am meisten Lehnwörter in den deutschen Sprachgebrauch eingedrungen sein. Man denke nur an die inflationäre Anziehung von Anglizismen in der Computersprache. Deutsch-Englisch: Übernahmen von Begriffen aus dem Deutschen sind im Englischen häufiger, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Ihr Gebrauch gilt nicht zuletzt bei manchen amerikanischen Intellektuellen als chic. z.B. Weltanschauung, Schadenfreude, Fingerspitzengefühl, Kindergarten, Angst.
Eine steile Karriere ist im Angelsächsischen – und weit darüber hinaus – dem schweizerdeutschen Wort Müsli gelungen, gestützt auf die Popularität des in der Schweiz „erfundenen“ Birchermüsli. Weil das für den Durchschnittsamerikaner aber sprachlich schwierig zu bewältigen ist, haben clevere Werber den schwierigen Helvetismus kurzerhand in „Muslix“ umgeformt.
Russisch-Deutsch: Lehnwörter aus dem Russischen sind z.B. Datscha, Kolchose, Troika (Dreiergespann), Pogrom (Vernichtung, Vertreibung), Steppe, Bolschewik, Sputnik (Weggenosse, Satellit) Deutsch-Russisch: Zahlenmässig dürfte es im Russischen erheblich mehr Lehnwörter aus dem Deutschen geben als umgekehrt. Beispiele: Schlagbaum, Buchhalter, Zugzwang, Zeitnot (Schachsprache), Buchhalter, Büsthalter, Butterbrot, Traur (Trauer), parikmacher (Coiffeur, Perückenmacher) usw.
Arabisch-Deutsch: manche ursprünglich arabische Wörter sind über das Französische, Spanische, Italienische oder eine andere Fremdsprache in den deutschen Sprachgebrauch aufgenommen worden. Z.B. Mokka, Matratze, Kadi (Richter) Laute (aus arabisch „das Holz“), Sofa
Chinesisch-Deutsch: Laut Wikipedia sind nur wenige Wörter direkt aus der chinesischen Sprache ins Deutsche übernommen worden, z.B. Dschunke (Schiff), Kotau (aus dem chinesischen Hofzeremoniell), Tee (von den meisten europäischen Sprachen übernommen)
Offenkundig hat die Häufigkeit von Lehnwörtern in einer Sprache aus einem bestimmten andern Sprachbereich viel mit der kulturellen oder machtpolitischen Dominanz der Gebersprache zu tun. Der Aufstieg des Englischen zur inzwischen unbestritten führenden globalen Verkehrssprache und das massenhafte Eindringen von Anglizismen in fast alle Sprachgebiete ist zweifelsohne eine Folge der amerikanischen Machtexpansion und der starken kulturellen Anziehungskraft des American Way of Life nach dem Zweiten Weltkrieg.
So stellt sich die Frage, ob im Zuge der vielfach diagnostizierten Entwicklung Chinas zu einer führenden Weltmacht (vielleicht sogar zur neuen Supermacht) eine massenhafte Zunahme chinesischer Lehnwörter in andern Sprachen zu registrieren sein wird. Ein interessantes Beobachtungsfeld – nicht nur für Sprachwissenschafter! R. M.
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