Die populistische italienische Rechte, angeführt von Giorgia Meloni, steht nach dem Sturz von Mario Draghi vor der Machtübernahme. Das könnte tiefgreifende Konsequenzen für das Land, für die EU und die Nato haben. Viele Vertreter der Rechten gelten als Russland-freundlich. Meloni selbst ist bekennende Freundin von Viktor Orbán.
Italien stürzt ins Ungewisse. Mario Draghi hatte am Mittwoch noch einmal die Hand ausgestreckt. Doch sein letzter Rettungsversuch scheiterte. Jetzt geht er. Das Land steht vor einem Scherbenhaufen.
Sein Sturz hat in Italien ein Erdbeben ausgelöst. Den Putschisten wird ein egoistisches, verantwortungsloses Handeln vorgeworfen. Maurizio Molinari, der Chefredaktor der einflussreichen linksliberalen Römer Zeitung La Repubblica schreibt: «Italien ist schwächer geworden. Forza Italia, die Lega und die Cinque Stelle sind verantwortungslos.» Aussenminister Luigi Di Maio spricht von einem «schwarzen Tag für Italien».
Den Willen des Volkes verachtet
Mit dem Sturz Draghis verachten und missachten die populistischen Parteien den Willen des Volkes. Laut Umfragen wollten über 70 Prozent der Italienerinnen und Italiener, dass Draghi weiterregiert. 1300 Bürgermeister und Bürgermeisterinnen hatten ihn gebeten, Regierungschef zu bleiben. In den Strassen gab es Pro-Draghi-Demonstrationen. Vor allem auch die Wirtschaft hatte sich klar für ein Weiterregieren des ehemaligen EZB-Chefs ausgesprochen. Das kümmert die Putschisten wenig. Sie wollen an die Macht.
Bei den anstehenden Neuwahlen, die am 25. September stattfinden, wird laut Meinungsumfragen der populistische Rechtsblock, der aus den «Fratelli» von Giorgia Meloni, der «Lega» von Matteo Salvini und «Forza Italia» von Silvio Berlusconi besteht, die meisten Stimmen erhalten. Da Meloni von den Fratelli stärkste Rechtspartei werden könnte, wird sie Anspruch erheben, Ministerpräsidentin zu werden.
Russlandfreundlich
Es ist zu befürchten, dass eine rechtspopulistische Regierung ganz andere Akzente setzt als Draghi. Es gibt Anzeichen, dass sie im Ukraine-Krieg russlandfreundlicher ist, als es der Noch-Ministerpräsident war. Salvini und Berlusconi flirteten immer wieder mit Putin und bezeichneten ihn als «Geschenk Gottes», der den Nobelpreis erhalten sollte.
Zudem haben einige starke Kräfte innerhalb des Rechtsblocks Sympathien für Ungarns Viktor Orbán. Fotos zeigen auch Meloni zusammen mit Marine Le Pen. Für die Nato und die EU wird eine populistische Rechtsregierung zur schweren Belastung werden.
EU-Milliarden für EU-Kritiker?
Die Gefahr für Italien besteht, dass die EU Dutzende gesprochener Milliarden Hilfsgelder für den Aufbau des Landes zurückhalten wird. Das würde den von Draghi eingeleiteten Reformprozess nicht nur bremsen, sondern zurückwerfen. Die neue Regierung könnte auch Schwierigkeiten haben, eine Einigung über den Haushalt 2023 zu erzielen, den sie der Europäischen Kommission bis Oktober vorlegen muss.
Mit einer Arroganz sondergleichen treten die populistischen italienischen Damen und Herren Brüssel gegenüber, obwohl sie wissen, dass das hochverschuldete Italien weitgehend von der EU durchgefüttert wird. Die Verachtung der EU durch Italiens Rechtspopulisten hat Tradition. Soll die EU den italienischen EU-Verachtern weitere Milliarden zuschieben?
Keine beste Freunde
Die Bildung einer rechtsgerichteten Regierung wird aber wohl nicht ohne Probleme über die Bühne gehen. Die Anführer der drei Rechtsparteien geben sich zwar vor den Medien in Minne vereint – doch alle wissen: Sie sind sich spinnefeind. Vor allem Meloni und Salvini hassen sich – trotz Umarmungen vor den Kameras.
Lange Zeit hatte Salvini, der unter Giuseppe Conte Innenminister war, gehofft, die Regierung übernehmen zu können. Doch mit seiner Lega ging es immer mehr bergab. Melonis Fratelli wurden stärker und stärker. Jetzt muss sich Salvini wohl der lauten, resoluten Giorgia Meloni unterordnen – das wird nicht ohne Getöse vor sich gehen. Salvini, nicht gerade als Workaholic bekannt, wird wohl ein Ministerium erhalten.
Und da ist noch der Dritte im Bund: Der bald 86-jährige Silvio Berlusconi glaubt noch immer, er hätte Italien vor dem Kommunismus gerettet und zieht im rechten Lager nach wie vor einige Fäden. Seine Partei dümpelt bei 7 Prozent vor sich hin.
Das Wohl des Landes ist ihnen egal
Draghi hatte vor anderthalb Jahren das Amt des Ministerpräsidenten nicht gesucht. Inständig war er gebeten worden einzuspringen, um die damalige schwere Krise zu lösen. Seine Amtszeit war Balsam und Labsal für Italien. Er stabilisierte das Land, leitete Reformen ein, machte Italien vertrauenswürdig und holte wieder Investoren ins Land.
Doch die meisten italienischen Politiker haben immer schon in egoistischer Weise vor allem an sich selbst und nicht ans Land gedacht. Auch jetzt ist ihnen ihre Macht wichtiger als das Wohl Italiens. Die Gefahr ist gross, dass das Land jetzt wieder ins Schlamassel schlittert – ein Schlamassel, das in Italien jahrzehntelange Tradition hat.
«Macht doch euren Dreck alleene»
Draghi begann am Mittwochmorgen seine Rede mit den Worten: «Ich bin hier, weil die Italiener und Italienerinnen es wollen.» Im Klartext hiess das: Das Volk will, dass ich weiterregiere. Wenn ihr nicht wollt, na denn halt ...! Ich habe die Schnauze voll von euren Spielchen. Ich brauche euch nicht, ihr würdet mich brauchen. Entweder ihr sprecht mir heute das Vertrauen aus oder ich gehe.
Er geht. Völlig entspannt. Mit erhobenem Haupt.
Als ob er sich sagen würde: «Macht doch euren Dreck alleene.»