
In mehreren Städten Serbiens strömten am Samstag die Menschen zusammen zu den grössten Protesten, die das Land seit dem Aufruhr gegen den Machthaber Milošević im Jahr 2000 gesehen hat. Die damaligen Demonstrationen hatten zum Sturz Miloševićs geführt. Diesmal lehnt sich die Bevölkerung gegen den Autokraten Aleksandar Vučić auf. In der Hauptstadt Belgrad waren es Hunderttausende, die dem Aufruf der studentischen Protestbewegung «Am 15. für die 15» folgten.
Das Motto der landesweiten Proteste verweist auf den Auslöser der Bewegung: In Novi Sad war ein Vordach des eben renovierten Bahnhofs eingestürzt. Fünfzehn Menschen kamen um. Schnell war klar, dass Korruption und Schlamperei zu dem Unglück geführt hatten. Und jeder in Serbien erkannte darin ein Anzeichen des allgemeinen Zustands, in den das Land unter Vučić geraten ist: Klientelwirtschaft, Inkompetenz, Stagnation. Kritiker werfen Vučić vor, seine Macht auf korrupte Netzwerke, eingeschränkte Medienfreiheit und manipulierte Wahlen zu stützen. Die Kontrolle über die Justiz ermögliche es ihm, Zustände aufrechtzuerhalten, die im Widerspruch zur Rechtsstaatlichkeit stehen.
Wie sehr die Menschen davon genug haben, zeigt sich in der breiten Unterstützung der von Studenten getragenen Protestwelle. Zu der Kundgebung vom Samstag kamen Menschen aus ganz Serbien nach Belgrad. Studierende waren aus verschiedenen Landesteilen zu Fuss in die Hauptstadt marschiert. Ihnen bescherten Belgrads Bürgerinnen und Bürger in der Nacht zuvor einen euphorischen Empfang.
Vučić hatte im Vorfeld gemeint, dass die Studenten einen gewaltsamen Umsturz planten und öffentliche Gebäude stürmen wollten. Doch nichts davon ist eingetreten. Provokationen und einzelne Attacken von radikalen Nationalisten und Vučić-Anhängern verliefen glimpflich. Die Proteste äusserten sich kreativ und ausgelassen; sie blieben durchwegs friedlich.
Präsident Vučić ist offensichtlich beunruhigt. Seine Versuche, die Protestbewegung zu diskreditieren, haben in der Bevölkerung nicht verfangen. Es ist das erste Mal, dass er sich mit derart mächtigem Widerstand konfrontiert sieht. Beobachter halten es für möglich, dass ein Ende seiner Regentschaft nahe bevorsteht.