Mit langem Applaus war Mario Draghi am Donnerstagmorgen in der Grossen Kammer des italienischen Parlaments empfangen worden. Selbst einige, die ihn am Vortag gestürzt hatten, klatschten. Selten wirkte Draghi so entspannt und erleichtert wie jetzt.
Nach einer kurzen Rede vor den Abgeordneten fuhr der Noch-Ministerpräsident zum Römer Quirinal-Palast, dem Sitz von Staatspräsident Sergio Mattarella, hoch.
Dort reichte Draghi – zum zweiten Mal innerhalb von zehn Tagen – seinen Rücktritt ein. Doch diesmal wurde er vom Staatspräsidenten akzeptiert.
Mattarella wird jetzt Neuwahlen ansetzen. Sie werden am 25. September stattfinden.
Ministerpräsidentin Meloni?
Laut jüngsten Meinungsumfragen könnte die sehr rechtsgerichtete, populistische, postfaschistische Partei «Fratelli d’Italia» von Giorgia Meloni stärkste Partei werden und deshalb vermutlich die Ministerpräsidentin stellen. Meloni ist bereits dabei, eine Ministerliste für ihre Regierung zusammenzustellen.
Die «Fratelli» kämen laut einer Umfrage des Instituts SWG auf 23,8 Prozent, die Sozialdemokraten auf 22,1 Prozent, die Lega auf 14 Prozent, die Cinque Stelle auf 11,2 Prozent und Forza Italia auf 7,4 Prozent. (SWG, Umfrage vom 18. Juli).
Ausgelöst worden war die Krise von der populistischen Protestpartei «Cinque Stelle» (Fünf Sterne). Doch die ebenso populistische, rechtsstehende «Lega» von Matteo Salvini und «Forza Italia» von Silvio Berlusconi waren es, die Draghi den Todesstoss gaben. Damit liegt der vor anderthalb Jahren geschlossene «Pakt des Vertrauens» in Trümmern. Einzig die Sozialdemokraten waren bereit, weiter mit Draghi zu regieren.
Gelmini geht
Nicht alle Rechtspolitiker sind einverstanden mit ihrer Parteiführung. Gelmini: "Ich verlasse Forza Italia".
Die Ministerin für regionale Angelegenheiten, Mariastella Gelmini, ein Schwergewicht in Berlusconis Forza Italia und langjährige Ministerin, hat aus Protest ihren Parteiaustritt bekanntgegeben. «Diese Forza Italia ist nicht mehr die politische Bewegung, in der ich fast fünfundzwanzig Jahre lang gekämpft habe: Ich kann nicht eine Minute länger in dieser Partei bleiben.»
Am Donnerstag kündigte auch Renato Brunetta, ein weiteres Schwergewicht von Berlusconis Partei, seinen Rücktritt von Forza Italia an. «Nicht ich bin es, der geht, sondern Forza Italia, oder vielmehr das, was von ihr übrig ist, hat sich selbst verlassen und ihre Geschichte verleugnet.»
Offenbar spielt auch Mara Carfagna, eine Ikone der Berlusconi-Partei, mit einem Rücktritt. Kommentatoren fragen sich bereits, ob die Berlusconi-Partei eines der Opfer der gegenwärtigen Regierungskrise sein könnte.
Realistischer Draghi
Der Pakt des Vertrauen war vor anderthalb Jahren zwischen den Sozialdemokraten, der Lega, den Cinque Stelle und Forza Italia geschlossen worden. Draghi machte von Anfang an klar, er werde nur als Ministerpräsident zur Verfügung stehen, wenn alle Parteien am gleichen Strick ziehen.
Da nun die verblassenden Cinque Stelle ausscherten und ihm die Tür zuschlugen, trat Draghi letzte Woche zurück. Am Mittwoch stand eine zweite Vertrauensabstimmung an. Jetzt hätten die Cinque Stelle auf ihren Entscheid zurückkommen und Draghi doch noch das Vertrauen aussprechen können.
Das taten sie nicht. Und selbst wenn sie es getan hätten, wäre die Regierung zerbrochen. Denn jetzt witterten die populistischen Rechtsparteien die Chance auf Neuwahlen. Jetzt scherten sie aus und gaben Draghi endgültig den Todesstoss.