Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) plädiert für ein besseres Leben im Alter (13. AHV-Rente für alle); die Jungfreisinnigen verlangen eine sicherere Altersvorsorge (Renteninitiative). Für das erste Begehren gibt es viel Sympathie, für das zweite weniger.
Quasi als Weihnachtsbescherung jährlich 8,3 Prozent mehr Geld auf dem Konto verbuchen (ohne dafür eine Stunde länger arbeiten zu müssen) oder – sozusagen als Kollektivstrafe für die steigende Lebenserwartung der Bevölkerung – ein Jahr länger arbeiten müssen? Das Ja fällt leicht beim Weihnachtsgeschenk, das Nein ebenso bei der Verlängerung der Arbeitszeit.
«Für ein besseres Leben im Alter»
Die Initiative «Für ein besseres Leben im Alter» verlangt, dass alle Rentnerinnen und Rentner Anspruch auf eine 13. AHV-Rente haben. Das wären dann mehr als 2,5 Millionen Pensionierte. Wohlweislich sprechen die Initianten nicht darüber, woher dieses Geld fliessen soll. Die maximale jährliche Altersrente würde für Einzelpersonen um 2’450 auf 31’850 Franken und für Ehepaare um 3'675 auf 47'775 Franken steigen.
Der Bundesrat und das Parlament empfehlen die Ablehnung der Initiative. Würde diese 13. Rente eingeführt, bräuchte die AHV zusätzliche Einnahmen oder sie müsste Leistungen kürzen. «Die amtlichen Zahlen lassen keinen Zweifel: Die AHV kann sich den verlangten Ausbau mit den heutigen Einnahmen nicht leisten.» (NZZ)
Diese Einkommensverbesserung nach dem Giesskannenprinzip käme zudem all jenen zugute, die sie weder dringend nötig hätten noch auf diese angewiesen wären, also die Gut- bis Besserverdienenden im Land. Auch würden die rund 800’000 im Ausland lebenden Schweizerinnen und Schweizer profitieren, obwohl diese bereits heute frohlocken: Der Wert ihrer Rente in Euro für jene, die im Euroraum leben, ist dank des starken Frankens in den letzten zwanzig Jahren kontinuierlich gestiegen. Eine Grafik in der «NZZ am Sonntag» zeigt den spektakulären Anstieg ihres Einkommens, das sich durch Kursgewinne mehr als verdoppelt hat.
Die Zusatzkosten müssten also von irgendwoher finanziert werden. Möglichkeit 1: Erhöhung der Lohnbeiträge, was das verfügbare Einkommen der Arbeitenden sinken liesse. Möglichkeit 2: Erhöhung der Mehrwertsteuer; dies würde zusätzlich auch die Pensionierten treffen. Möglichkeit 3: Erhöhung des Bundesbeitrags an die AHV, was bei der aktuellen Finanzmisere und den schlechten Prognosen der Bundesfinanzen sehr unwahrscheinlich sein dürfte.
«Für eine sichere und nachhaltige Altersvorsorge»
Die Renteninitiative der Jungfreisinnigen verlangt die Erhöhung des Rentenalters auf 66 Jahre bis 2032. Anschliessend müsste das Rentenalter in einem gewissen Verhältnis parallel zur Lebenserwartung weiter ansteigen. Bei Annahme der Initiative würden die Ausgaben der AHV um rund zwei Milliarden Franken reduziert.
Eigentlich sollte uns allen klar sein, dass die laufend steigende Lebenserwartung der schweizerischen Bevölkerung und die damit verbundene längere Bezugsdauer aller AHV-Rentner und -Rentnerinnen Konsequenzen haben muss. Das Loch in der AHV-Kasse würde sonst laufend grösser.
Dass der Bundesrat dennoch rät, die Initiative abzulehnen, begründet er so: Eine Koppelung des Rentenalters an die Lebenserwartung berücksichtige die sozialpolitischen und die arbeitsmarktlichen Dimensionen nicht. Zudem strebt er mittels laufender Reformen an, das Leistungsniveau der AHV und der obligatorischen beruflichen Vorsorge zu erhalten und das finanzielle Gleichgewicht der ersten und zweiten Säule zu sichern.
Diese Begründungen des Bundesrats mögen da und dort als etwas fadenscheinig beurteilt werden. Ob dahinter die Befürchtung einer sich abzeichnenden Niederlage steht?
Zurückhaltung beim Ausbau des Sozialstaats passé?
Tatsächlich war in der Schweiz seit Einführung des Initiativrechts 1891 noch keine der relevanten Initiativen erfolgreich; Schweizerinnen und Schweizer wollten nichts wissen vom Ausbau der eigenen Sozialleistungen – Entscheide, die im Ausland immer wieder für Erstaunen sorgten.
Diesmal befürchtet Michael Hermann, Leiter des Forschungsinstituts Sotomo, dass es anders kommen könnte. Begründen tut er das einigermassen überraschend: Nach ihrem Departementswechsel, mit dem sie ihre Bundesratskollegen und -kolleginnen allesamt überrascht hat, ist Elisabeth Baume-Schneider im Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) gelandet: «Hier kann sie sich als Kämpferin gegen Altersarmut und für die Entlastung von Familien in Szene setzen – sie trägt das Herz schliesslich auf der Zunge.»
In der Schweiz sind wir stolz darauf, an der Urne direkt in die Bundespolitik eingreifen zu können. Immer wieder zeigte es sich in der Vergangenheit, dass sich eine vornehme Zurückhaltung manifestierte, ging es um den Ausbau der eigenen Sozialleistungen. Hermann befürchtet, dass eine wesentliche Stärke dieses Landes dahinfiele, wenn diese Tradition verlorenginge.
Abkehr von der Schweiz, wie man sie kannte
Aus dem Hintergrund mischt wie immer Gewerkschaftspräsident Pierre-Yves Maillard mit. Als Initiator einer 13. AHV-Rente meinte er kürzlich, er spüre, dass sich in der Bevölkerung etwas verändere. Immer mehr Menschen hätten das Gefühl, dass der «Deal» für sie nicht mehr stimme und es für sie nicht mehr aufgehe. Und natürlich ist auch der «Schattenmann» der Gewerkschaften, ihr Chefökonom Daniel Lampart, massgeblich involviert im Kampf.
Nun hat sich ja Maillard im Januar 2024 auch dadurch profiliert, dass er das neue Europapaket des Bundesrats in Bausch und Bogen ablehnte, bevor es überhaupt veröffentlicht worden ist. Er ist ein kompromissloser Stratege, darauf fokussiert, linke Anliegen durchzuboxen, respektive seine persönliche Macht zu stärken. In der «NZZ am Sonntag» spekuliert er jetzt schon darauf, dass bei der eidgenössischen Abstimmung im Juni 2024 die Krankenkassenprämien gedeckelt werden. «Sie (EBS) hat einen Traumjob. Elisabeth hat die Chance, in die Geschichte einzugehen», orakelt Maillard.
Abschliessend: Es gibt in der Schweiz Altersrentner und -rentnerinnen, die in sehr bescheidenen Verhältnissen leben müssen. Ihnen wäre eine Erhöhung der Ergänzungsleistungen sehr zu gönnen. Eine entsprechende Vorlage wäre sinnvoll. Die vorliegende Initiative der Gewerkschaften ist es nicht. Sie verteilt Millionen Franken an Personen, die das gar nicht nötig haben. Trotzdem wird sie höchstwahrscheinlich angenommen werden, ebenso wie die Renteninitiative abgelehnt werden dürfte. Leider. Dazu der Tages-Anzeiger: «Dies wäre der grösste linke Abstimmungssieg der Geschichte – und eine Abkehr von der Schweiz, wie man sie bisher kannte.»