Das Geschenk einer dreizehnten Monatsrente ist verlockend. Doch erstens ist es in dieser pauschalen Form nicht nötig. Und zweitens würden die enormen Kosten dieser Wohltat zur kommenden Überlastung des Sozialwerks, die demographisch bedingt ist, noch hinzukommen.
Die eine der beiden AHV-Initiativen, über die am 3. März abgestimmt wird und die gemäss aktuellem Stand der Umfragen Chancen zur Annahme hat, will allen Bezügern eine «dreizehnte Rente», also eine Erhöhung um 8,3 Prozent gewähren. Der Gewerkschaftsbund, der die Initiative «Für ein besseres Leben im Alter» lanciert hat, sieht einen Grossteil der älteren Menschen in der Schweiz akut von Armut betroffen oder zumindest in finanziell beengten Verhältnissen. Es sei deshalb notwendig, nicht nur die untersten Einkommen, sondern auch jene des Mittelstandes im Alter deutlich und dauerhaft zu verbessern.
Für die offizielle Statistik gilt als arm, wer monatlich weniger als 2’700 Franken Einkommen erzielt; das sind bei den Personen ab Alter 65 dreizehn Prozent. Das Bundesamt für Statistik BfS macht allerdings darauf aufmerksam, dass in dieser Betrachtungsweise die Vermögen nicht berücksichtigt sind. Da bekanntermassen die Vermögen sich vor allem bei den Älteren ansammeln, ist das BfS zurzeit daran, eine neue Armutsdefinition zu entwickeln, um die Situation der Pensionierten besser zu erfassen.
An der Tatsache, dass es in der Schweiz Altersarmut gibt, wird die korrigierte Sichtweise allerdings nicht rütteln. Doch immerhin werden die Härten mittels der 1966, zwei Jahrzehnte nach der AHV, eingeführten Ergänzungsleistungen zumindest so weit gemildert, dass niemand der schieren Existenznot ausgeliefert sein muss.
Es leuchtet deshalb nicht ein, wenn Gewerkschaften und Linke bei den Pensionierten bis weit in den Mittelstand hinein eine dringende Notwendigkeit zur Erhöhung der AHV konstatieren wollen. Zudem würde der starre Mechanismus einer gleichmässigen Erhöhung der ausbezahlten Renten dazu führen, dass die wirklich Bedürftigen, die oftmals bloss die Berechtigung für Minimalrenten erwerben konnten, nur eine kleine «Dreizehnte», die Gutgestellten mit den Maximalrenten jedoch eine doppelt so grosse erhielten.
Zielgenauer wäre da eine selektive Erhöhung der Minimalrenten. Um 90 Prozent der Renten sind Vollrenten. Eine Verbesserung nur der tiefsten Renten wäre sehr viel kostengünstiger und könnte deshalb auch etwas grosszügiger ausfallen. Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, hat solchen Einwänden gegen seine Initiative vorgehalten, sie würden übersehen, dass die AHV eben eine Versicherung sei, bei der Prämien und Leistungen in einem festgelegten Verhältnis stünden. Dem wäre wiederum zu erwidern, dass die AHV durchaus keine «normale» Versicherung ist, sondern vielmehr ein originäres Zwischending zwischen Versicherung und sozialer Umverteilungsmaschine: Die Leistungen sind ohnehin zu Ungunsten der grossen Beitragszahler gedeckelt und zugunsten der kleinen aufgebessert.
Nicht nur die grotesk verzerrten sozialen Wirkungen sprechen gegen die Gewerkschaftsinitiative. Auch die Kosten müssen zu denken geben. Heute ist die AHV bis 2030 solide finanziert. Für die Zeit danach drohen rasch steigende Defizite. Bei Einführung der dreizehnten Rente ab 2026 wäre die AHV schon im ersten Jahr des neuen Regimes defizitär, und bis 2033 würde das Defizit auf sieben Milliarden Franken anwachsen (Zahlen des Bundesamts für Sozialversicherungen). Der AHV-Ausgleichsfonds, der laut Gesetz stets eine Reserve von einem Jahresaufwand vorhalten muss, würde 2027 unter die vorgeschriebenen hundert Prozent absinken und 2033 nur noch eine Reserve von 45 Prozent aufweisen.
Konstant steigende Lebenserwartung und das sich stetig verschlechternde Verhältnis zwischen Einzahlern und Bezügern belastet das Umlagesystem der AHV. Bisher hat die steigende Produktivität der Wirtschaft diese Effekte aufwiegen können. Die Gewerkschaften unterstreichen dies und brandmarken die Warner als ewige Schwarzmaler. Doch der ökonomische Leistungszuwachs ist nicht in Stein gemeisselt. Coronapandemie und Ukrainekrieg haben schonungslos aufgezeigt, wie verletzlich die Weltwirtschaft ist. Zudem auferlegen neue globale Herausforderungen, insbesondere die geopolitische Instabilität und die Klimakrise, allen Staaten und Volkswirtschaften gewaltige neue Anstrengungen. Es ist nicht die Zeit, um mit einer No-Problem-Mentalität dem wichtigsten Sozialwerk dauerhafte grosse Lasten aufzubrummen.
Dem Schweizer Stimmvolk wird gern eine gesunde Skepsis gegenüber schönfärberischen Initiativen attestiert. Es ist zu wünschen, dass in der Meinungsbildung bis zur Abstimmung dieser erprobte Realismus noch entschieden Boden gutmacht.