Die dänische Kapitale setzt sich gross in Szene. Riesige Areale werden umgenutzt. Kopenhagen erweitert sich um ganz neue Stadtteile. Auch gönnt sich die nordische Metropole einen Canal Grande sowie einen veritablen Berg.
Das Stadtbild der dänischen Hauptstadt wird seit der Jahrtausendwende derart umgepflügt, dass man kaum nachkommt, nur schon die bedeutendsten Gebäude zu erfassen und zu würdigen. Zuoberst auf der Liste stehen zwei Masterpläne sowie spektakuläre Kulturbauten am Wasser.
Ein Hafendock wird umgebaut
Nordhavn, ein weitläufiges ehemaliges Hafengelände im Norden, wurde für eine vollständige Erneuerung freigegeben. Den Wettbewerb für einen Masterplan gewann das Kopenhagener Architekturbüro COBE, derzeit nebst dem Atelier BIG des Weltstars Bjarke Ingels das renommierteste in Dänemark. Noch wird wacker gebaut und vieles ist eine Schutthalde, insbesondere das als Grünzone gedachte Ende des ins Meer greifenden Armes.
Und doch ist der Charakter des neuen Stadtteils schon jetzt geformt. Büro- und Wohnblöcke wechseln sich ab, Altes wird bewahrt und sanft renoviert. Jede Fassade überrascht mit einer eigenwilligen Gestaltung, und es wurde und wird mit unterschiedlichen Werkstoffen gearbeitet – Monotonie stellt sich bei so viel Abwechslung gar nicht ein. Faszinierend ist der Dialog mit dem Wasser, das zwar durch die künstlichen Betonrahmungen gezähmt wird, aber dennoch eine ähnliche Bedeutung hat wie das unverbaute Grün in Schweizer Städten.
Die beiden interessantesten Werke erheben sich in unmittelbarer Nachbarschaft und sind erst noch gelungene Umwandlungen hässlicher Betonstrukturen. Ein mehrgeschossiges Parkhaus in Sichtbeton umhüllten JAJA Architects 2016 mit perforierten Rostplatten. Eine an zwei Fassaden angeklebte Treppe erlaubt den Zugang zum Dach, das als Spielplatz ausgebaut wurde. Überragt wird das Parkhaus von einer Hochhausscheibe mit eckig aufgefalteten Fassaden, die schlicht «The Silo» heisst. Dieses von COBE 2017 realisierte Werk kaschiert mit Stahlplatten, die die Fenster und Balkone skulptural umranden, einen ehemaligen Speicher. Eine bevorzugte Wohnlage, wobei man zugeben muss – und das gilt für alle Neubauten der vergangenen Jahre –, dass sich nur Gutbetuchte solche Appartements leisten können.
Stadtquartier im Grünen
Im Süden stand ein noch grösseres Areal für die Urbanisierung zur Verfügung, ein etwa 600 Meter breiter und rund fünf Kilometer langer Streifen, für dessen Planung schon in den 1990er Jahren ein Wettbewerb ausgeschrieben wurde. Das siegreiche Projekt von ARKKI teilt den Streifen in vier Zonen auf, von denen eine als Naturfläche erhalten und drei dicht bebaut werden sollen.
Inzwischen sind fast alle grösseren Objekte erstellt. Eine schnurgerade Strasse, die von der auf Stelzen ruhenden Metrobahn flankiert wird, bildet das Rückgrat von Ørestad, wie der neue Stadtteil nun heisst. Nicht alles überzeugt. So ist die Verbindungsachse mit Bahn schmerzend eintönig, vor allem auch deswegen, weil die durch die neuen Gebäude gebildete Strassenflucht an die abschreckenden Beispiele amerikanischer Grossstädte der frühen Moderne erinnert.
Auf der anderen Seite leuchten wahre Juwelen auf, so mehrere von BIG realisierte Wohnanlagen. «8Tallet», die faszinierendste, erhebt sich am südlichen Rand mit freiem Ausblick auf die sumpfige Ebene zum Meer und umfasst etwa 480 Wohnungen mit 125 verschiedenen Einteilungen. Der Grundriss beschreibt eine eckige Acht, womit zwei Innenhöfe generiert werden konnten. Die Silhouette bildet ein Auf und Ab. Zudem ist die Anlage für alle zugänglich dank einem rampenartigen Weg mit einer Gesamtlänge von 1,5 Kilometern, der bis zum höchsten Punkt führt.
BIG scheint ein Flair für geneigte Flächen zu haben, denn auch «The Mountain», wie der zweite überraschende Block heisst, besteht aus einer schiefen Ebene, auf der die Wohnboxen mit Aussenraum dicht gedrängt miteinander verknüpft sind (Bild ganz oben). Gleichwohl sollten die 80 Wohneinheiten für die Benutzer und Benutzerinnen die Aura eines Einfamilienhauses schaffen. Zwischen der geneigten Ebene und dem Grund ist ein riesiger Leerraum belassen, der als Einstellhalle für die Autos dient. Kaschiert wird er durch Aluminiumplatten, die durch eine raffinierte Lochung die Kulisse des Mount Everest abbilden.
Am nördlichen Ende von Ørestad überzeugt die Planung (den Feinschliff übernahmen KHR Arkitekter) auch dank des Umstands, dass der Schienenstrang der Metro aussenherum geführt ist. Zwischen den grossen Blöcken sind Gehwege angelegt mit der Möglichkeit, in zahlreiche begrünte Gevierte auszuscheren. Ein Kanal mäandriert zwischen Gebautem und Unverbautem.
Das Wahrzeichen von Ørestad ist der 2009 eröffnete Konzertsaal, ein Entwurf von Jean Nouvel. Der unregelmässige Kern mit dem grandiosen Hauptsaal, der das Vorbild der Berliner Philharmonie deutlich genug erkennen lässt, wird von einem zarten Gehäuse in Blau kaschiert. Der Zwischenraum wurde als geräumiges Foyer genutzt. Wie bei andern Konzerthäusern Nouvels treten die Besucher zunächst in wenig einladende Schleusen ein, um nach dem Passieren von engen Durchgängen die ganze Pracht des Saales umso intensiver zu erleben.
Prunkbauten am Wasser
Die zentrale Achse der Stadt ist eine breite Wasserstrasse, die schlicht Havn (Hafen) heisst und die Insel Amager vom historischen Kern trennt. Bis vor wenigen Jahren dominierten hier die Anlegestellen für grosse und kleine Schiffe sowie Umschlagplätze mit Hallen und Werkstätten. Doch nun wird um die Wette gebaut. Grosse öffentliche Repräsentationsbauten konkurrieren mit luxuriösen Residenzen — es ist so etwas wie das nördliche Pendant des Canal Grande in Venedig entstanden.
1999 erweiterte das Büro schmidt hammer die Dänische Königliche Bibliothek, die in einem Backsteinbau untergebracht war, mit einem wuchtigen schwarzen Quader zum Wasser hin. Eine verglaste schmale Vertikale lässt den Blick in die zentrale Halle frei, die – ist man einmal im Innern – noch imposanter wirkt. Lange Rolltreppen geleiten zur Brücke, die den Neubau mit dem historischen Lesesaal verbindet. Auf beiden Seiten zeigen Emporen die verschiedenen Abteilungen für die Benutzerinnen an.
Unweit dieses Monumentes reagierte das holländische, von Rem Koolhaas gegründete Büro 2018 mit einem ebenfalls dunklen Komplex, BLOX genannt, das aus zahlreichen verglasten Quadern besteht. Darin organisiert unter anderem das dänische Architekturzentrum Ausstellungen und Veranstaltungen. Was jedoch das Besondere an diesem Bau sein soll, wird nicht ersichtlich. Die Aufteilung der Räume ist reichlich konventionell, was nicht ein Nachteil ist, doch man hätte von diesem Büro etwas Frecheres erwartet. So wie der Block dasteht, unterscheidet er sich nicht von den üblichen Bürohäusern in Glas. Zudem stahl ihm nur ein Jahr später die elegant geschwungene, vom Londoner Büro WilkinsonEyre projektierte Fussgänger- und Fahrradbrücke, die buchstäblich vor seiner Nase ansetzt, die Schau.
Nordwärts folgt das dezent gestaltete Schauspielhaus (2008 von Lundgaart&Tranberg), das jedoch formal im Vergleich zur gewaltigen Oper, die exakt am gegenüberliegenden Ufer thront, einen schweren Stand hat. Finanziert wurde die von Henning Larsen Architects bsi 2004 entworfene Oper weitgehend von Arnold Peter Møller, einem schwerreichen Reeder, der allerdings den Architekten einige Auflagen machte. Das weit vorkragende Dach ist gewiss eine Paraphrase von Nouvels KKL in Luzern, doch es entfaltet seine Wirkung nur ungenügend, weil im Unterschied zu Luzern das Gehäuse für den Schnürboden, welche das Dach durchbricht, die intendierte Horizontalität beeinträchtigt.
Ebenfalls unterschiedlich ist die Aura des Foyers, hier ein lichtdurchfluteter Festsaal, der den mit glänzend polierten Ahornplatten ausgefachten Zuschauerraum ummantelt. In naher Zukunft wird der Aussenbereich mit einer komplexen Gartenanlage ergänzt. Die daran anschliessende Grossüberbauung von COBE wird im Zentrum von Kopenhaben eine neue Skyline schaffen, wobei noch nicht abzuschätzen ist, ob dies mit einer Aufwertung einhergehen wird.
An der äussersten Spitze der Insel Amager erhebt sich seit 2018 der ultimative Berg, ein Geniestreich von Bjarke Ingels, der aus einer Kehrichtverbrennungsanlage eine Art Eventpark gemacht hat. Solche Anlagen erfordern ein gewaltiges Volumen, wie dies Beispiele in der Schweiz deutlich genug bestätigen. Sie können fast nur stören und sind kaum geeignet, Ästhetikpreise einzuheimsen. BIG ergriff die Gelegenheit und schenkte der Stadt einen richtigen Berg, den man besteigen kann, um zuoberst die imperiale Aussicht zu geniessen oder sich in der offenen Cafeteria zu stärken.
Ein Berg schreit natürlich nach einer Skipiste, und eine solche baute BIG, allerdings mit Rasenmatten belegt, aber mit einem Skilift und mit Hindernissen für die Akrobaten. Und was wäre dies für ein Berg, wenn er nicht Klettermöglichkeiten anbieten würde? Nun, Mutigen steht eine 85 Meter hohe Wand mit unterschiedlichen Routen zur Verfügung. Beim Gesamteindruck des Bauwerks vermied BIG die Betonwüste durch eine rasterförmige Verkleidung mit Aluminiumkästen.
Bei künftigen Bauvorhaben dieser Grössenordnung sei den hiesigen Verantwortlichen eine Reise nach Kopenhagen empfohlen.
Alle Fotos © Fabrizio Brentini