Die norwegische Hauptstadt liegt an einem der wohl schönsten Fjorde weltweit. Doch die Uferzone wurde von Industriekomplexen, Schiffswerften und Docks belegt. Einzig beim Rathaus – 1931 begonnen, 1950 eingeweiht und lange Zeit das Wahrzeichen Oslos – dehnte sich ein Platz bis zum Meer aus.
Das um 1980 umgestaltete Areal Aker Brygge, das der Stadt endlich eine Flaniermeile am Wasser schenkte, veranlasste die Behörden zu einem Umdenken. Man beschloss, auf einer Länge von fast zehn Kilometern nicht weniger als 225 Hektar Land mit aufgegebenen Industrieanlagen für neue Quartiere, Grünzonen und Kulturbauten auszuscheiden. Nach der Jahrtausendwende erfolgte ein unglaublicher Planungsschub, der schliesslich im Projekt Fjord City gipfelte. Nachdem die Stadtbehörden 2008 dem Vorhaben grünes Licht gegeben hatten, begann im grossen Umfang die Umsetzung, die noch andauert und wohl erst in etwa zehn Jahren abgeschlossen werden kann.
Ein wichtiger Eingriff betraf die stark befahrene Strasse, die das Meer vom Zentrum trennte. Sie wurde auf einer Länge von einigen Kilometern in einen Tunnel versenkt. Der Gewinn für den Stadtkern ist enorm. Die Stadt hat ihn genutzt für die Setzung prägender Monumente.
Die Oper als neues Wahrzeichen
Das Prunkstück ist zweifelsohne das 2008 eröffnete Oper- und Balletthaus, dessen Entwürfe vom Team Snøhetta stammen, dem derzeit renommiertesten Architekturbüro in Norwegen. Das 1989 von drei befreundeten Studienkollegen gegründete und nach dem höchsten Berg Norwegens benannte Atelier wurde international durch den Neubau der Bibliotheca Alexandrina bekannt. In Oslo musste es sich zunächst in einem Wettbewerb gegen mehr als 200 Konkurrenten durchsetzen.
Aus einer Plattform von 110 Meter Breite und 207 Meter Länge hebt sich eine erste, optisch direkt aus dem Meer auftauchende Ebene, aus der eine zweite hochgeklappt ist. Aus dieser schliesslich ist gegengleich eine dritte angehoben. Zwei unregelmässige kantige Körper, die Ummantelungen der Schnürböden für den grossen und kleinen Saal, krönen das skulptural anmutende Gebilde.
Die Lücken zwischen den Ebenen sind verglast, sodass das Monument insbesondere in den langen Winternächten wie ein Kristall leuchtet. Zudem erlauben sie, da man auf den Schrägen sich überall frei bewegen kann, einen Blick in das Innere mit dem grossen Foyer und dem holzverkleideten Saalkörper zu werfen.
Entscheidend für die grosse visuelle Präsenz der Oper ist die fast vollständige Verhüllung der Fassaden mit Marmorplatten aus Carrara, welche die Entwerfer vor allem deswegen gewählt haben, um die Oper mit dem Bild eines gestrandeten Eisbergs zu verknüpfen. Wer genau hinschaut, wird bemerken, dass sehr subtil über etliche Wandteile dekorative Folien gelegt sind. So sind die Volumen der Schnürböden mit Aluplatten abgedeckt, die an die Brailleschrift gemahnende Muster zeigen. Und auch die Marmorplatten sind teilweise unregelmässig geschnitten, sodass eine grafische Struktur entsteht. Ähnliche dekorative Flächen findet man im Inneren in der Umhüllung des Zuschauerraums und an den Zugängen zu den Garderoben.
Mit über 500 Mio. Euro Baukosten dürfte die Oper eine der teuersten Bauten in Norwegen sein. Die dank dem Nordseeöl schier unerschöpflichen Geldquellen erlaubten der Stadt mit grosser Kelle anzurühren und im Zentrum ein architektonisches Juwel zu setzen, das – vermutlich sogar explizit – die Oper von Sidney zum Vorbild hat.
Deichman Bibliothek und Munchmuseum
In unmittelbarer Nachbarschaft der Oper stehen zwei weitere architektonisch ambitionierte öffentliche Gebäude, wobei das eine sich dezent in die Umgebung einfügt, während das andere als eine problematische Lösung beurteilt werden muss.
Auf die Donation eines gewissen Carl Deichman, der seine umfangreiche Büchersammlung 1780 der Stadt unter der Bedingung vermacht hatte, dass sie für alle benutzbar sein sollte, geht die gleichnamige Bibliothek zurück. Im 1933 bezogenen Gebäude platzten nach der Jahrtausendwende die Bücher aus allen Regalen, weshalb 2008 ein internationaler Wettbewerbs für einen Neubau ausgeschrieben wurde. Als Sieger ging aus 181 Teilnehmenden das Atelier Oslo zusammen mit Lund Hagem Arkitekter hervor, dessen Entwurf bis 2020 realisiert werden konnte.
Es ist im Grunde mit Ausnahme einer luftigen Auskragung ein kompakter, aus fünf unterschiedlich hohen Geschossen bestehender Bau. Über die Fassaden aus Aluminiumprofilen und Glas ist eine Haut aus opaken Glasplatten gezogen. Das Äussere erinnert stark an das Bregenzer Kunsthaus von Peter Zumthor. Kein Geschoss gleicht dem andern. Um einen Hohlraum mit den Rolltreppen für die vertikale Erschliessung sind zahlreiche Lesezonen und Arbeitsplätze eingerichtet. Die lichtdurchflutete arenartige Ausweitung in den obersten zwei Geschossen tritt im Äussern als Auskragung hervor. Die Bibliothek passt mit ihrem Konzept bestens zu den skandinavischen Bücherzentren, die, anders als in Mitteleuropa, nicht einfach Depots, sondern Begegnungszentren waren und sind.
Hinter der Oper steht das neue Munchmuseum, das ab Oktober für das Publikum geöffnet wird. Für den umfangreichen Nachlass des wichtigsten norwegischen Malers ist schon 1963 ein eigenes, 1994 erweitertes Haus errichtet worden. Es genügte nicht lange. Ursprünglich sollte der Entwurf von Studio Herreros und LPO Arkitekter, den Siegern einer 2008 angesetzten Ausschreibung, an einem anderen Ort realisiert werden, doch nach langem Hin und Her entschied man sich für den jetzigen Standort direkt am Meer.
Es ist ein wahres Ungetüm, dessen Kern fast 60 Meter hoch ist und für einfahrende Schiffe zum eigentlichen Fluchtpunkt der Stadtsilhouette werden dürfte. Die Fassaden sind mit gewellten und perforierten Aluminiumelementen versehen. Man könnte dabei an einen riesigen Felsblock denken, der die Gesteinsschichten offenlegt. Der obere, teilweise verglaste Teil ist aus dem Lot gekippt und zur Oper geneigt, als ob das Museum ihr seine Referenz erweisen möchte. Doch die Geste ist trügerisch, weil die Oper ihre Sonderstellung zu verlieren droht.
Ein weiteres Museum von Renzo Piano
Das hat Altmeister Renzo Piano wesentlich eleganter gelöst. Gleichsam als Endschliff des Quartiers Tjuvholmen schuf er 2012 für die Kunstsammlung der Stiftung Thomas Fearnley, Heddy und Nils Astrup, deren Vermögen von der im Schiffshandel zu Reichtum gelangten Familie Fearnley stammt, ein eigenes Museum, das Astrup Fearnley Museum für moderne Kunst.
Das Areal war durch unterschiedliche Docks geprägt, die ins Meer ausfransten. Diesen Charakter wollte man beibehalten, sodass Tjuvholmen mit den zahlreichen Kanälen und Brücken ein Venedig im Kleinformat ist. Für das Museum wurde die äusserste Spitze der Landzunge gewählt. Piano akzentuierte dies dadurch, dass er die drei holzverkleideten Pavillons, die mit einem gewölbten Dach zusammengefasst werden, über einem extrem langgezogenen dreieckigen Grundriss entwickelte. Wie ein Segel schützt das Dach die filigranen Bauten, die durch einen Kanal voneinander getrennt, mit Brücken aber gleichwohl miteinander verbunden sind. Erstaunlich wie es Piano gelang, im Innern weite und helle Ausstellungsräume anzubieten. Besucherinnen und Besucher können zusätzlich auf einer Veranda im Obergeschoss des Hauptpavillons in die Mittelachse blicken mit all den lauschigen Ecken und Winkeln.
Die Überbauung Barcode
Von den neuen Quartieren ist das entlang der Geleise des Hauptbahnhofs angelegte das spektakulärste. Es trägt den Namen Barcode, was auf einen Vorschlag der Schöpfer des Masterplanes zurückzuführen ist. Die 2003 aufgrund eines internationalen Wettbewerbs prämierte Lösung des holländischen Büros MVRDV zusammen mit den beiden norwegischen Teams A-Lab und Dark Arkitekter sah auf dem vormals von der Schnellstrasse besetzten langgestreckten Grundstück scheibenartige Punkthäuser vor. Die im Aufriss unregelmässige Abfolge von Gebautem und Leerraum assoziierten die Architekten mit der Struktur eines Barcodes.
Schliesslich reihte man von 2008 bis 2016 insgesamt zwölf parallele Hochhäuser aneinander, die zwar individuell gestaltet sind, gleichwohl aber ein geschlossenes Ensemble bilden. Die zwölf Einheiten von Barcode stammen von sieben Architekturbüros: nebst den schon erwähnten sind dies Snøhetta, AART/SJ Arkitekter, MAD arkitekter und Lund Hagem Arkitekter. Jedem Gebäude wurde eine eigene, individuelle Note verliehen. Das betrifft sowohl die Materialwahl wie den tektonischen Aufbau.
Sieben Gebäude sind im rechten Winkel zwischen den rahmenden Strassen gesetzt und weisen eine Länge von rund 100 m auf. Die Breite hingegen variiert stark. Besonders auffällig ist das MAD Gebäude, das lediglich etwas über sieben Meter breit ist. Eine Einheit besteht aus drei unterschiedlichen Trakten, die zu einem Cluster zusammengefügt wurden. Den westlichen Abschluss markieren vier schlankere Hochhäuser, die teilweise eine gemeinsame Basis besitzen.
Die Umrisse unterscheiden sich erheblich. Einheiten, die als kantige Rechteckkörper gestaltet sind, kontrastieren mit solchen, deren Abschlüsse treppenartig aufgebrochen sind. Die Umrisse des DNB Westgebäudes folgen einem rechtwinkligem Dreieck, wobei in die Hypotenuse ein Aufzug integriert ist. Noch phantasiereicher waren die Architekten bei der Wahl der Werkstoffe für die Fassaden. Man findet fast alles vor: Glas, Klinker, Beton, Stahl, Aluminium, Naturstein usw.
Die Abstände zwischen den Einheiten sind mit Ausnahme des Zugangs zur Fussgängerbrücke über den Schienen des Hauptbahnhofes minimal. Auf der anderen Seite war es ein wichtiges Anliegen, diese Gassen als öffentliche Räume einzurichten mit Sitzgelegenheiten, Spielplätzen und Pflanzen. Zusätzlich durchschneidet eine Passage als eine zu den rahmenden Strassen ergänzende Erschliessung die Scheiben. Man fühlt sich wie in einem mittelalterlichen Stadtkern – mit dem Unterschied, dass in Barcode die Gebäude um einiges höher sind.
In Bezug auf die Grösse, die Dichte und die Nutzung – Büroräumlichkeiten, Wohnungen, Bar- und Restaurantbetriebe, Geschäfte – sind Barcode und die sich zum direkten Vergleich aufdrängende Zürcher Europaallee austauschbar. Architektonisch jedoch könnten die Unterschiede nicht grösser sein. Während in Zürich das Erscheinungsbild zurückhaltend nüchtern ist, fällt Barcode durch eine schon fast überbordende formale Vielfalt auf. Vielleicht überspannten die Architekten den Bogen, aber Barcode ist den Stadtflaneuren allemal eine Augenweide.
Der Firmensitz von Equinor
Es lohnt sich, mit dem Bus nach Fornabu zu fahren, wo sich, zehn Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, der ehemalige Flughafen befand. In den letzten Jahren etablierten sich hier Grossfirmen mit auffälligen Verwaltungssitzen. Am grandiosesten setzte sich 2012 Equinor, ehemals Statoil, in Szene. Equinor steht für die Förderung und den Handel mit dem Nordseeöl, das Norwegen in die Liga der reichsten Länder katapultierte.
Das Atelier A-Lab stapelte fünf mit Ausnahme der Fensterordnung identische lange Boxen übereinander. Sie messen 123 Meter in der Länge, 23 Meter in der Breite und weisen je drei Geschosse auf. In der Mitte umschliessen sie ein Leervolumen, das als zentrale Halle für die Angestellten fungiert. Die Elemente kragen bis zu 30 Metern aus und verleihen dem Äussern etwas Chaotisches. Die Nähe zum 2009 eröffneten Vitra-Haus von Herzog & de Meuron in Weil am Rhein ist derart eklatant, dass diese formale Ähnlichkeit wohl nicht zufällig ist. Auch das 2010 eröffnete Centre Pompidou von Shigeru Ban in Metz könnte hier Pate gestanden haben.
Die Nationalgalerie
Oslos Museen lagen bis anhin weit verstreut auseinander. Aus einem internationalen Wettbewerb mit 237 Eingaben wurde 2010 das Projekt von Kleihues+Schuwerk dazu bestimmt, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Rathaus unter dem Label Nasjonalmuseet die Nationalgalerie, das Museum für dekorative Kunst und industrielles Design, das Museum für moderne Kunst und das Architekturmuseum unter einem Dach zu vereinen.
Genutzt wurde das Grundstück eines aufgegebenen Bahnhofes, vom dem zwei Kopfbauten erhalten blieben. In einem dieser Relikte befindet sich der Sitz des Friedensnobelpreises. Im Sommer 2022 wird dann eine gigantische Anlage norwegische und internationale Kunst und Architektur zeigen. Der mit Natursteinen eingekleidete Sockel über einem konkaven sechseckigen Rechteck wird von zwei langgezogenen Rechteckvolumen gekrönt, die mit Mattglas verkleidet sind und damit als Lichtkörper das Dunkel der langen Winternächte zu bekämpfen versuchen.
Alle Fotos: © Fabrizio Brentini