Obwohl die Wahl des neuen Staatspräsidenten wichtig für Italien und seine Zukunft ist: Die Hälfte der Italienerinnen und Italiener interessieren sich kaum dafür. 49 Prozent der Befragten sagen, sie würden sich «nicht sehr» oder «gar nicht» für die Wahl des Staatspräsidenten interessieren. Dies geht aus einer Meinungsumfrage hervor, die die Mailänder Zeitung «Corriere della sera» am Samstag veröffentlichte.
49 Prozent der Befragten sagen, sie würden sich «nicht sehr» oder «gar nicht» für die Wahl des Staatspräsidenten interessieren. Dies geht aus einer Meinungsumfrage hervor, die die Mailänder Zeitung «Corriere della sera» am Samstag veröffentlichte.
Am wenigsten interessiert sind gemäss der Erhebung die Jungen und Menschen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, aber auch die weniger Gebildeten und solche, die keine Zeitung lesen und ihre Informationen von den sozialen Medien beziehen.
Doch auch wenn sich nur die Hälfte der Bevölkerung für diese Wahl interessiert: Sie ist von grosser Bedeutung für den künftigen Regierungskurs, für die Zukunft Italiens: für die Sicherheit und den Wohlstand der drittgrössten Volkswirtschaft der EU. Letztlich geht es darum, ob der bisherige erfolgsversprechende Kurs weitergeführt wird oder ob das Land wieder einen Rückfall in turbulente Zeiten erlebt.
Wie läuft diese wichtige Wahl ab?
Zuerst stimmen die 320 (oder 321) Senatoren ab, dann die 630 Mitglieder der Abgeordnetenkammer (Camera dei deputati) und schliesslich die 58 von den 22 italienischen Regionen bestimmten Delegierten (für jede der 20 italienischen Regionen 3, ausser für das Aostatal, das nur einen Delegierten entsendet. Insgesamt also 1008 oder 1009 Frauen und Männer.
Sie alle füllen den Wahlzettel in einer Wahlkabine aus. Um Betrug zu vermeiden, wurde der Zettel im Voraus vom Generalsekretär des Parlaments abgestempelt. Gezählt werden dann nur abgestempelte Wahlzettel.
Die Wählerinnen und Wähler werfen ihren vierfach gefalteten Wahlzettel in eine Urne, die aus Weidenzweigen besteht und mit grünem Satin ausgestattet ist. Inoffiziell heisst diese Urne «Insalatiera» – Salatschüssel.
673, 505
Roberto Fico, der Präsident der Abgeordnetenkammer, verliest dann das Ergebnis. Um in den ersten drei Wahlgängen gewählt zu werden, müsste ein Kandidat oder eine Kandidatin mindestens zwei Drittel der 1008 Stimmen erhalten, also 673.
Ab dem 4. Wahlgang gilt dann nur noch das absolute Mehr, also mindestens 505 Stimmen. Silvio Berlusconi hat immer damit spekuliert, dass er es im 4. Wahlgang schaffen könnte.
Weitreichende Kompetenzen
Auch in Italien bestimmt der Ministerpräsident (offiziell: «Präsident des Ministerrats der Italienischen Republik (Presidente del Consiglio dei ministri della Repubblica Italiana) und seine Minister die Regierungspolitik. Doch der Staatspräsident hat weitreichende Kompetenzen.
Er hat die Aufgabe, den Ministerpräsidenten zu ernennen. Er kann auch wesentlich Einfluss auf die Regierungsarbeit nehmen, indem er zum Beispiel Minister ablehnt.
Die Nominierung verweigert
Der jetzt abtretende Sergio Mattarella tat dies 2018. Die Regierung Giuseppe Conte, die unter der Fuchtel des rechtspopulistischen Lega-Chefs Matteo Salvini stand, wollte den sehr Europa-kritischen 81-jährigen Paolo Savona zum Finanz- und Wirtschaftsminister küren. Staatspräsident Mattarella verweigerte die Nominierung und erklärte, er verlange auf diesem Posten eine Persönlichkeit, «die nicht als Unterstützer einer Linie angesehen wird, die den unvermeidlichen Ausstieg Italiens aus dem Euro provozieren könnte».
Der Staatspräsident kann in Krisenzeiten das Parlament auflösen und Neuwahlen ansetzen. Er ist Vorsitzender im Hohen Rat der Justiz und im Obersten Verteidigungsrat. Er leitet die Streitkräfte und erklärt den Kriegszustand, wenn ein solcher von den Kammern des Parlaments beschlossen wurde. Er kann Gefangene begnadigen und ihre Strafe umwandeln.
Das Kräfteverhältnis im Parlament
Die Mitte-rechts-Parteien (vor allem die «Lega», die «Fratelli d’Italia» und «Forza Italia») kommen auf insgesamt 450 Stimmen im Parlament. Darin eingeschlossen sind einige kleinere Rechtsparteien, wie «Coraggio Italia».
Die Linke, der sozialdemokratische «Partito Democratico» (PD) und einige kleine Linksparteien kommen auf 163 Abgeordnete. Rechnet man die Protestbewegung «Cinque Stelle» dazu, kommt man auf 420 Abgeordnete. Zählt man auch die Partei «Italia viva» des früheren sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi dazu, gibt das ein linkes Total von 463 Stimmen. Aber sowohl die Cinque stelle als auch Italia viva sind sehr heterogene Gebilde und tendieren einmal nach links und einmal nach rechts – und oft nirgendwohin.
Verkleinerung des Parlaments
Es wird vermutlich das letzte Mal sein, dass eine so grosse Zahl von Abgeordneten und Senatoren den Staatspräsidenten wählt. Im September 2020 hatten die Italiener und Italienerinnen eine Verfassungsreform und damit eine starke Verkleinerung des Parlaments beschlossen.
Die jetzige Legislaturperiode geht im Frühjahr 2023 zu Ende. Statt heute 630 wird es nach den nächsten Wahlen nur noch 230 Abgeordnete geben – und statt 320 Senatoren nur noch 115. Das hat zur Folge, dass sich viele Abgeordnete gegen vorzeitige Neuwahlen aussprechen, da sie fürchten, nicht mehr gewählt zu werden, was einen Verlust ihrer stolzen Diäten bewirken würde.
Altersklausel
Um Staatspräsident oder Staatspräsidentin zu werden, muss ein Kandidat mindestens 50 Jahre alt und im vollen Besitz der bürgerlichen und politischen Rechte sein. Diese Altersklausel führt dazu, dass weder die rechtspopulistische Giorgia Meloni noch Matteo Salvini das höchste Amt im Staat anstreben können – ebenso wenig wie der umtriebige frühere sozialdemokratische Ministerpräsident Matteo Renzi, dessen Ideologie heute wenig fassbar ist.
Der 85-jährige Silvio Berlusconi hingegen durfte antreten, obwohl er wegen Steuerhinterziehung zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt worden war und daraufhin aus dem Senat ausgeschlossen wurde. Ein Mailänder Gericht hatte ihm 2018 seine bürgerlichen und politischen Rechte zurückgegeben.
23 Wahlgänge
Es ist nicht zu erwarten, dass bereits in den ersten Wahlgängen jemand gewählt wird. Von den bisher 13 italienischen Staatspräsidenten haben das nur drei geschafft: Enrico De Nicola (1948), der erste gewählte italienische Staatspräsident, Francesco Cossiga (1985) und Carlo Azeglio Ciampi (1999).
Andere brauchten viel länger: Antonio Segni wurde 1962 im 9. Wahlgang gewählt, Sandro Pertini, der beliebteste italienische Staatspräsident, 1978 im 16. Wahlgang, und Giuseppe Saragat 1964 im 21. Wahlgang. Den Rekord jedoch hält Giovanni Leone: Er brauchte 1971 23 Wahlgänge, um gewählt zu werden. Die Wahl hatte sich zwei Wochen lang hingezogen.
3’166 Tagen im Amt
Laut der Verfassung kann ein Staatspräsident wiedergewählt werden – doch das geschah bisher nur einmal. Im Jahr 2013 lief die Amtszeit des allseits geachteten, damals 87-jährigen Giorgio Napolitano aus. Da sich das Parlament nicht auf einen geeigneten Nachfolger einigen konnte, erklärte sich Napolitano bereit, seiner siebenjährigen Amtszeit zwei weitere Jahre anzuhängen. Er ist damit mit 3’166 Tagen im Amt der am längsten amtierende italienische Staatspräsident.
Vier Staatspräsidenten sind vorzeitig zurückgetreten – einer aus Höflichkeit.
- Antonio Segni erlitt am 7. August 1964 während einer stürmischen Sitzung eine Thrombose und war gelähmt. Er blieb noch vier Monate im Amt und wurde dann für arbeitsunfähig erklärt.
- Giovanni Leone schied sechs Monate vor Ende seiner Amtszeit aus dem Amt aus. Die Lockheed-Affäre, die Schmiergeldzahlungen für den Kauf von Militärflugzeugen, hatte ihn eingeholt.
- Sandro Pertini, der einstige Partisane, trat acht Tage vor Ende der Amtszeit zurück. Aus Höflichkeit machte er seinem gewählten Nachfolger Cossiga schon eine Woche früher als nötig Platz.
- Francesco Cossiga selbst trat nach einem offenen Streit mit dem Parlament und den Parteien einen Monat vor Ende seiner Amtszeit zurück. Er war in die Affäre um den Geheimdienst «Glado» verwickelt.
Berlusconi, wieder einmal vor Gericht
Berlusconi hätte ausgerechnet während der heissen Wahlphase, wahrscheinlich am Mittwoch, Donnerstag oder Freitag, vor Gericht in Bari erscheinen sollen. Die uralte Bunga-Bunga-Affäre holt ihn wieder ein. Es geht um die damals minderjährige «Ruby Rubacuori», der er etwas nahe gekommen ist – ebenso um junge Prostituierte, die in seinen Villen verkehrt sind.
Berlusconi wird vorgeworfen, den Unternehmer Gianpaolo Tarantini mit einer halben Million Euro zu Falschaussagen angestiftet zu haben. Tarantini war es, der Berlusconi Dutzende Frauen zugeführt hat. Im letzten Moment wurde der Prozess auf Februar verschoben.
Die Corona-Pandemie wirft auch auf diese Wahl ihre Schatten. Die rund 30 Abgeordneten, Senatoren und Regionaldelegierte, die positiv getestet wurden und in Quarantäne leben, können an der Wahl teilnehmen: in einem abgeschirmten «Drive-in-Wahllokal», das auf dem Parkplatz des Montecitorio-Palastes eingerichtet wird.
Von dort wird dann die Stimme unter grössten Sicherheitsvorkehrungen in die Salatschüssel gebracht.