
Vor 80 Jahren wurde Johann Georg Elser im KZ Dachau mit einem Genickschuss hingerichtet. Wäre sein Attentat auf Hitler nicht knapp gescheitert, wäre der Welt – vielleicht – vieles erspart geblieben.
Der Anschlag misslang – Schuld war das schlechte Wetter. Doch beginnen wir von vorn. Die ganze Nazi-Prominenz hatte sich an diesem 8. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller versammelt: Martin Bormann war da, Joseph Goebbels, Heinrich Himmler, Rudolf Hess, Alfred Rosenberg und viele andere. 2000 bis 3000 begeisterte Menschen waren zu diesem «Treffen der alten Kämpfer» gekommen, um des gescheiterten Hitler-Putsches vom 8. November 1923 zu gedenken.
Damals hatten Hitler und General Erich Ludendorff versucht, die Regierung der Weimarer Republik in Berlin zu stürzen. Ziel war es, die parlamentarische Demokratie wegzufegen. Nach dem Vorbild von Mussolinis «Marsch auf Rom» organisierten die Nazis einen «Marsch auf Berlin». Der Putsch scheiterte, Hitler flüchtete in einem Krankenwagen. Später wurde er zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt. Nach neun Monaten wurde er freigelassen – «wegen guter Führung».
«Heiliges Datum»
Jedes Jahr gedachten nun die Nationalsozialisten im Münchner Bürgerbräukeller dieses gescheiterten Putschversuchs. Der 8. November wurde für die Nazis zu einem «heiligen Datum». So auch der 8. November 1939. Das wusste auch Johann Georg Elsner.
Er kam 1903 in Württemberg als uneheliches Kind in einfachen Verhältnissen zur Welt. Ab 1922 arbeitete er als Schreiner in verschiedenen Schreinereien am Bodensee. Unter anderem war er für den Propellerbau bei Dornier in Friedrichshafen tätig. Da wegen der Wirtschaftskrise viele Unternehmen in Konkurs gingen, musste er oft die Stelle wechseln. Immer wieder war er in der Schweiz. Ein halbes Jahr lang arbeitete er in Bottighofen im Kanton Thurgau in der Schreinerei Schönholzer. Er galt als sehr guter, fleissiger, genauer Arbeiter.
Ein waghalsiger Plan
Schon früh hasste er die Nationalsozialisten. Wie stark er sich in einem paramilitärischen, kommunistischen Kampfverbund engagierte, ist umstritten. Jedenfalls trug er nie eine Uniform. Geprägt war seine Haltung mehr durch seine Abscheu vor den Nazis als seine Sympathien für die KPD. Er weigerte sich, mit dem Hitlergruss zu grüssen. Wurden in einem Restaurant Hitler-Reden am Radio übertragen, verliess er das Lokal.
Mit der Zeit entwickelte er einen waghalsigen Plan. Im Steinbruch von Georg Vollmer in Königsbronn-Itzelberg östlich von Stuttgart liess er sich als Arbeiter anstellen. Dort stahl er 105 Dynamit-Sprengpatronen und 125 Sprengkapseln für eine Zeitbombe. In einer Armaturenfabrik entwendete er Schiesspulver. Im Obstgarten seiner Eltern zündete er kleine Bomben und unternahm Versuche mit Zeitzündern.
Versteckt in der Besenkammer
Am 5. August 1939 zog er nach München, zunächst in die Blumenstrasse, dann in die Türkenstrasse. Jeden Abend ging er nun in den Bürgerbräukeller und nahm dort ein einfaches Abendessen ein. Nach dem Essen versteckte er sich in der Besenkammer. Als schliesslich das Lokal geschlossen wurde und sich niemand mehr im Raum aufhielt, höhlte er mit einem kleinen Meissel eine Öffnung in einer Säule neben dem Rednerpult aus. Die Vertiefung war so gross, dass er darin Sprengstoff und Zeitzünder verstecken konnte. Mit einem selbst angefertigten Holzstück schloss er die Lücke.
Am 1. September überfiel Hitler Polen. Damit hatte der Zweite Weltkrieg begonnen. Das hatte auch Folgen für die Feier im Bürgerbräukeller. Hitler wurde in Berlin gebraucht und liess sich in München entschuldigen. Waren damit alle Bemühungen Elsers umsonst? Doch dann entschied sich Hitler plötzlich, doch noch nach München zu fahren, um im Bürgerbräukeller aufzutreten. Es sollte ein kurzer Besuch werden. Sofort nach seiner Rede wollte er zurück in die Hauptstadt. Doch das Wetter war schlecht. Eine Rückkehr per Flugzeug war zu riskant. So entschied er sich, noch am gleichen Abend mit einem Sonderzug nach Berlin zurückzukehren. Die Abfahrt vom Münchner Hauptbahnhof war für 21.31 Uhr geplant.
Wuchtige Explosion
Die Zeit drängte also. Deshalb entschieden sich die Organisatoren, die Veranstaltung um eine Stunde, auf 19.00 Uhr, vorzuverlegen. Hitler begann um 20.00 Uhr zu sprechen, eine halbe Stunde früher als geplant. Um 21.00 Uhr beendete er seine Rede. Sieben Minuten später verliess er den Bürgerbräukeller Richtung Hauptbahnhof.
Die Bombe, die Elser platziert hatte, explodierte genau zur geplanten Zeit um 21.20 Uhr. Die Detonation war wuchtig. Der Saal wurde total verwüstet. Acht Menschen starben, 57 wurden zum Teil schwer verletzt. Zum Zeitpunkt der Explosion hatten sich noch gut 150 Personen im Lokal befunden.
Stümperhafte Flucht
Elser versuchte in die Schweiz zu fliehen. Ob er zu jenem Zeitpunkt bereits wusste, dass Hitler sein Attentat überlebte, ist nicht klar. Da seine Dokumente abgelaufen waren, machte er sich an der Grenze verdächtig. Zwei Hilfsbeamte des deutschen Zolls kontrollierten ihn und fanden in seiner Tasche Teile eines Zeitzünders und eine Postkarte des Bürgerbräukellers. Versteckt trug er ein Abzeichen des kommunistischen Rotfrontkämpferbundes.
So professionell und minutiös Elser sein Attentat geplant hatte, so nachlässig und stümperhaft bereitete er seine Flucht vor. In München und Berlin wurde er gefoltert und verhört. Schliesslich gestand er seine Tat. Die Nazis rächten sich auf ihre Art. Der Kommandant des KZ Buchenwald, Otto Koch, liess am Tag nach dem Attentat 21 jüdische Häftlinge erschiessen.
Was wäre wenn …
Die Nazis verklärten das Attentat. «Ihr habt uns den Führer nehmen wollen und habt ihn uns näher gebracht denn je», hiess es auf einem hunderttausendfach aufgehängten Plakat. «Ihr habt uns schwächen wollen und habt uns nur stärker gemacht. Ihr habt gehofft, uns den Glauben an die Zukunft rauben zu können, und habt doch nur den Glauben erhärtet an eine Vorsehung, die mit Deutschland ist. Ihr habt gehofft, uns die Siegeszuversicht nehmen zu können, nie war das deutsche Volk siegeswilliger denn heute! Und wenn ihr die Hölle in Bewegung setzt, der Sieg wird doch unser sein. Der Sieg ist der Dank an die Toten.»
Am 11. November 1939 erweist Hitler den acht Toten des Bürgerbräukellers die letzte Ehre.
Fünf Jahre wurde Elser gefangen gehalten. Am 5. April 1945 – 25 Tage vor Hitlers Suizid – ordnete der Führer seine Hinrichtung an. Am 9. April 1945, zwanzig Tage vor der Befreiung des KZ Dachau, wurde Elser erschossen – heimlich und ohne Gerichtsurteil.
Wie hätte sich der Zweite Weltkrieg entwickelt, wenn an diesem 8. November 1939 schönes Wetter geherrscht hätte …?