Der 85-Jährige könnte italienischer Staatspräsident werden. Das wäre die Krönung seines politischen Lebens – und eine Schande für Italien.
Ende September hat Silvio Berlusconi seinen 85. Geburtstag gefeiert. Seine derzeitige Verlobte, die 54 Jahre jüngere Marta Fascina, postete in den sozialen Medien ein Geburtstagsfoto, das alle grossen italienischen Zeitungen publizierten – und das zu einiger Häme Anlass gab: Photoshop vom Besten.
Doch nicht nur auf dem Geburtstagsfoto ist Berlusconi aufgeblüht. Zum ersten Mal seit acht Monaten ist er wieder von Mailand nach Rom gereist und mischt in der Politik kräftig mit. Diese Woche soll er in der Hauptstadt ein „Gipfeltreffen“ zwischen den drei rechtspopulistischen Parteien präsidieren. Nach der Wahlschlappe der Rechten bei den Bürgermeisterwahlen hatten Berlusconi (Forza Italia), Matteo Salvini (Lega) und Giorgia Meloni (Fratelli d’Italia) vereinbart, enger zusammenzuarbeiten. Sie wollen sich wöchentlich treffen und eine rechte Front bilden. Und Berlusconi soll der Primus inter Pares sein.
Nur ein kleiner Sieg
Nicht genug: Am vergangenen Donnerstag sprach ein Gericht in Siena den ehemaligen vierfachen Ministerpräsidenten im sogenannten „Ruby tre“-Prozess frei. Berlusconi wird vorgeworfen, vor zehn Jahren die damals minderjährige Marokkanerin Ruby verführt zu haben. Zeugen soll er mit viel Geld zu Falschaussagen angestiftet haben. Das Urteil von Siena ist zwar nur ein kleiner Sieg, aber immerhin ein Sieg. Berlusconi jubelt. Doch die Sache ist noch längst nicht erledigt. Weitere Prozesse werden folgen.
Am Donnerstag reiste er gar nach Brüssel und traf dort – in aufgeräumter Stimmung – unter anderem Angela Merkel zu einem zehnminütigen Gespräch – sie, die er immer wieder aufs Übelste verhöhnt und beleidigt hatte. Er überhäufte sie mit lobenden Worten und überreichte ihr ein kleines Geschenk – etwas „Antikes“ aus seiner Sammlung, wie es hiess.
Der „Jesus Christus der Politik“
Über zwanzig Jahre dominierte der „Jesus Christus der Politik“, wie er sich einmal nannte, das politische Geschehen in Italien. Er führte das Land wie eine Ich-AG und wirtschaftete es zu einem wirtschaftlichen Schlusslicht in Europa herunter.
All das scheint jetzt vergessen. Jetzt soll die Krönung des „Kaimans“ (so der Filmemacher Nanni Moretti) erfolgen: Berlusconi soll italienischer Staatspräsident werden. Das können sich viele im rechten Lager vorstellen.
Wer mich kennt, weiss, wie sehr ich mich für die Natur interessiere. Ich liebe Tiere, zum Beispiel Hunde.
Und natürlich kann sich das auch Berlusconi selbst vorstellen. Am Wochenende sagte er an einer Tagung im Aostatal: „Ich denke, dass Silvio Berlusconi (er sprach von sich in der dritten Person) dem Land und den italienischen Bürgern immer noch nützlich sein kann, da ich in Europa immer noch ein hohes Ansehen geniesse.“ Er werde tun, was er könne und „nicht klein beigeben“.
Sogar als Umweltschützer empfahl er sich: „Für uns Christen ist die Welt ein schöner Garten, den Gott dem Menschen zur Verfügung gestellt hat, der aber nicht dem Menschen gehört. Wir haben die Pflicht, uns um ihn zu kümmern, wir haben die Pflicht, ihn zu verbessern. Wer mich kennt, weiss, wie sehr ich mich für Grün, Bäume und die Natur interessiere. Ich liebe Tiere, zum Beispiel Hunde.“
Wichtige moralische Instanz
Der italienische Staatspräsident übt vor allem repräsentative Funktionen aus. Er gilt als wichtige moralische Instanz. Einfluss auf die Regierung hat er kaum. Mächtiger als er ist der Ministerpräsident, der die Politik bestimmt.
Das siebenjährige Mandat des gegenwärtigen, sehr geschätzten und integren Staatspräsidenten Sergio Mattarella läuft am 7. Februar nächsten Jahres aus. Der 80-Jährige erklärte, er sei alt und wolle sich nicht um ein neues Mandat bemühen. Bleibt er bei diesem Entscheid, muss ein neuer Staatspräsident gewählt werden.
Da beginnt das Problem
Gesetzt wäre eigentlich der bisherige Ministerpräsident Mario Draghi. Er, der parteilose Ökonom und ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank, leistet gute Arbeit und wird von links bis rechts geschätzt. Er hat Italien in ruhigere Fahrwasser geführt.
Aber: Würde Draghi Staatspräsident, müsste ein neuer Ministerpräsident her. Und da beginnt das Problem.
Ich bereite mich darauf vor, die Nation zu regieren.
Seit langem fordern die rechtspopulistische Lega und die postfaschistischen Fratelli d’Italia Neuwahlen. Nicht umsonst. Zusammen wären sie eine geballte Macht und könnten nach Neuwahlen den Ministerpräsidenten stellen. Solche wären nach einem Wechsel von Draghi ins Staatspräsidium nicht ausgeschlossen.
Vor allem Meloni will Draghi ins Staatspräsidium hissen, um selbst Ministerpräsidentin zu werden. Sie fühlt sich dazu berufen, weil sie laut Umfragen die weitaus beliebteste rechtsgerichtete Politikerin ist – weit vor Salvini. Sie sagt offen: „Ich bereite mich darauf vor, die Nation zu regieren.“
Würde aber Berlusconi Staatspräsident, bliebe Draghi Ministerpräsident – und Meloni würde vorerst leer ausgehen und nicht Regierungschefin werden. Also muss Meloni dafür kämpfen, dass nicht Berlusconi, sondern Draghi Staatspräsident wird – damit der Posten des Regierungschefs für sie frei wird. Natürlich ist Meloni so schlau und stellt sich nicht offen gegen ihren Bündnispartner Berlusconi.
Das Skurrile an den Spekulationen ist, dass niemand weiss, ob Draghi überhaupt Staatspräsident werden möchte. Er ist so klug und äusserst sich nicht zum Thema.
Wenn Berlusconi kandidiert, werden wir ihn selbstverständlich unterstützen.
Das politische Rom liebt Spekulationen und Planspiele. Wie auch immer: Eine Kandidatur Berlusconis ist mehr als ein Hirngespinst: Der Vorsitzende des Justizausschusses von Forza Italia, Pierantonio Zanettin liess durchblicken, dass der Freispruch in Siena den Weg für eine Kandidatur freimache. Und Salvini sagt: „Wenn Berlusconi kandidiert, werden wir ihn selbstverständlich unterstützen.“
Berlusconi selbst gab diesen Spekulationen am Donnerstag neuen Auftrieb. Draghi wäre ein ausgezeichneter Staatspräsident, sagte er. Aber: Für Italien sei es besser, wenn er als Ministerpräsident weitermache. Die Botschaft ist klar: Draghi soll bleiben, wo er ist. Und für mich, Berlusconi, bleibt dann der Platz als Staatspräsident frei.
Berlusconi, der „hochbegabte Lügner“
Bekommt Italien einen Staatspräsidenten, der mit der Mafia zusammenarbeitet, der lügt, der in 54 Prozesse verwickelt war und ist, der mehrmals verurteilt wurde, der, der sagte: „Mussolini hat viel Gutes getan und niemanden umgebracht?“ Er, der „Bunga-Bunga-Mann“, der das Land ins wirtschaftliche Chaos ritt, der Mitglied der Geheimloge P2 war, der minderjährige Mädchen ins Bett holt, der Steuerbetrüger und Bilanzfälscher, der zeitweise aus dem Parlament ausgeschlossen wurde?
Indro Montanelli, einer der einflussreichsten Star-Journalisten und Historiker Italiens und Kolumnist des „Corriere della sera“, bezeichnete Berlusconi einst als „hochbegabten Lügner“. Der ehemalige Regierungschef Mario Monti nannte ihn den „Vater aller Populisten“. Richter in Mailand forderten ein psychiatrisches Gutachten über den geistigen Zustand des „Christus der Politik“.
Berlusconi Staatspräsident? Längst ist es noch nicht soweit. Nicht nur die Fratelli d’Italia könnten ihm einen Strich durch die Rechnung machen.
Berlusconi hat viele Gegner
Neben Draghi zirkulieren viele Namen, auch drei Frauen werden genannt. Marta Cartabia, ehemalige Präsidentin des Verfassungsgerichts, Paola Severino, ehemalige Justizministerin und Senatspräsdidentin Maria Elisabetta Casellati. Ebenso Paolo Gentiloni, der frühere Aussenminister, Romano Prodi, der ehemalige Ministerpräsident und EU-Präsident, sowie David Sassoli, Präsident des EU-Parlaments. Meist war es allerdings so: Wer früh genannt wird, hatte keine Chance. Vielleicht wird man Mattarella beknien, noch zwei, drei Jahre weiterzumachen – so, wie es sein Vorgänger Giorgio Napolitano tat.
Berlusconi hat viele Gegner. Die erstarkte Linke und die Fünf Sterne werden alles tun, um ihn zu verhindern. Doch auch auf der rechten Seite polarisiert er, gerade jetzt – auch in seiner eigenen einst staatstragende Partei. Sie dümpelt bei 6 bis 8 Prozent dahin und ist zurzeit zerrissener denn je. Berlusconis Anbiederung an die Lega und die Postfaschisten gefällt keineswegs allen.
„Das war Prostitution“
Und schon fängt ihn die Vergangenheit wieder ein. Am Sonntag wurde bekannt, dass der Kassationsgerichtshof bestätigte, dass sich in Berlusconis Villen Prostituierte tummelten – auf Wunsch des damaligen Ministerpräsidenten. „Das waren keine ‚eleganten Abendessen‘“, wie Berlusconi immer sagte, „Das war Prostitution“, erklärten die höchsten Richter.
Dazu kommt sein Alter. Der jetzige Staatspräsident Mattarella tritt zurück, weil er, wie er sagt, mit 80 Jahren zu alt dazu sei. Und Berlusconi mit seinen 85 Jahren?