Das italienische Parlament wählt im Januar einen neuen Staatspräsidenten. Was vor kurzem noch als Witz abgetan wurde, könnte bitterer Ernst werden. Die Chancen, dass Silvio Berlusconi das höchste Amt im Staat erobert, steigen.
Sergio Mattarella, der jetzige Staatspräsident, ist ein geachteter Mann: eine moralische Instanz in diesem oft sehr unmoralischen Land. Jetzt geht seine siebenjährige Amtszeit zu Ende. Mehrmals hat der nun 80-Jährige angekündigt, er stünde für eine weitere Amtszeit nicht bereit – auch nicht für ein, zwei zusätzliche Jahre.
Mattarella gehört dem gemässigten Mitte-Links-Bündnis an. Sein Vorgänger Giorgio Napolitano, war ein ehemaliger Kommunist. Die italienische Rechte fordert nun, dass nach 16 Jahren endlich wieder ein Vertreter des rechten Lagers Staatspräsident wird.
Würden sich die Mitte-Rechts-Parteien und jene rechts der Mitte zusammentun, hätten sie eine klare Mehrheit und freie Hand, einen Staatspräsidenten zu küren. Doch das Rechtslager ist keineswegs ein homogenes Gebilde.
Noch schweigt Draghi
Aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge Mattarellas wäre der parteilose, gegenwärtige Ministerpräsident Mario Draghi, dessen Arbeit weit herum gelobt wird. Doch will er überhaupt Staatspräsident werden? Er hat sich bisher nicht geäussert. Einige sagen, er strebe 2024 das Amt des Weltbankpräsidenten an, wo er den Trump-Adlatus David Malpass ersetzen würde.
Viele möchten, dass Draghi Regierungschef bleibt, denn als zuverlässiger und bisher recht erfolgreicher Ministerpräsident wird er gebraucht. Und wer würde dann Staatspräsident?
Wenn eine Person nicht integer ist, so ist es der mehrmals verurteilte Silvio Berlusconi, ein Polit-Clown, dessen Beziehungen zur Mafia und zu Rechtsextremen verbrieft sind, er, der das Land ins Schlamassel gewirtschaftet hat.
Der italienische «Präsident der Republik» (Staatspräsident) hat keineswegs nur eine repräsentative Rolle. Vor allem in Krisenzeiten kann er kraft seiner Autorität viel bewirken. Verlangt wird also vor allem eine moralisch integre Persönlichkeit.
Wenn eine Person in Italien moralisch nicht integer ist, so ist es der mehrmals verurteilte Silvio Berlusconi, ein Polit-Clown, dessen Beziehungen zur Mafia und zu Rechtsextremen verbrieft sind, er, der das Land ins Schlamassel gewirtschaftet hat. Als im Sommer bekannt wurde, dass der jetzt 85-Jährige Ambitionen auf das Staatspräsidium hat, lachten zunächst einmal fast alle. Inzwischen lachen viele nicht mehr. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass er es schafft.
«Viel Geschirr wird er nicht mehr zerschlagen»
Diese Woche will Matteo Salvini, der Chef der rechtspopulistischen Lega, Gespräche mit Parteisekretären beginnen. Einigt man sich auf einen Kandidaten? Wohl noch nicht. Giorgia Meloni, die Chefin der postfaschistischen «Fratelli d’Italia» hat sich bereits für Berlusconi ausgesprochen. Auch Giuseppe Conte, der frühere Ministerpräsident und jetziger Parteichef der Protestbewegung «Cinque Stelle» ist offenbar bereit, Berlusconi zu wählen. Eine wenig rühmliche Rolle spielt einmal mehr der Taktiker Matteo Renzi, ein früherer sozialdemokratischer Ministerpräsident. Er deutet immer wieder an, dass auch er und seine Mini-Partei «Italia Viva» für den ehemaligen Erzfeind stimmen könnten. Renzi ist alles zuzutrauen. Für viele wäre Berlusconi das geringste Übel. «Er ist 85», sagen einige zynisch, «viel Geschirr wird er nicht mehr zerschlagen.» Und: «Lange müssen wir ja nicht mehr mit ihm leben.»
Wichtiger für viele ist, dass Draghi Ministerpräsident bleibt. Denn würde er Staatspräsident, ginge das Gerangel um den Ministerpräsidenten los – und das würde Italien in einer Zeit, in der es wieder sachte aufwärts geht, erschüttern. Auch im rechten Lager brächen dann die Hahnenkämpfe offen aus. Neuwahlen wären nicht ausgeschlossen, doch solche will niemand. Denn das nächste Parlament, so hatten es die Italiener in einer Volksabstimmung entschieden, wird viel kleiner sein. Viele der jetzigen Abgeordneten und Senatoren werden dann also nicht mehr gewählt. Deshalb wollen sie bis Ende der Legislatur 2023 im Parlament bleiben – und so lange ihre stolzen Diäten beziehen.
Der Traum vom Quirinal ist für Silvio Berlusconi vielleicht gar nicht so unerreichbar
Also, sagen sich viele: «Wählen wir Berlusconi, dann bleibt Draghi Ministerpräsident, dann gibt es keine Neuwahlen und wir beziehen unsere Taggelder und Spesen weiter.» Laut einer Umfrage des Magazins «L’Espresso» sprechen sich die meisten Abgeordneten und Senatoren der Mitte-Parteien (der «misti») für Berlusconi aus. «Der Traum vom Quirinal ist für Silvio Berlusconi vielleicht gar nicht so unerreichbar», schreibt die Römer Zeitung «Il Tempo». Gemäss einer Umfrage des Instituts Tecné, möchten 20 Prozent der Italienerinnen und Italiener Berlusconi auf dem Thron des Staatspräsidenten sehen. Tritt er heute irgendwo auf, wird er wieder von Journalisten, Fotografen und Kameraleuten umringt. Wieder ist er ein Medienstar.
Dreissig Jahre lang hat er polarisiert und Gräben aufgerissen
Doch Berlusconi hat viele Gegner. Für die Linke ist er seit Jahrzehnten der Lieblingsfeind. Die Sozialdemokraten, die zur Zeit stärkste italienische Partei, werden alles daran setzen, um ihn zu verhindern. Doch selbst innerhalb seiner eigenen Partei, der Forza Italia, ist Berlusconi mehr und mehr umstritten. Sein Abdriften nach rechts gefällt vielen nicht.
Viele vernünftige Parlamentarier sagen sich, der Staatspräsident muss ein Brückenbauer sein und einen möglichst grossen Teil der Bevölkerung hinter sich haben, einer, der die Italiener versöhnen kann, so wie es in den Achtzigerjahren Sandro Pertini konnte. Berlusconi kann das sicher nicht. Dreissig Jahre lang hat er polarisiert, beleidigt, die Gegner verunglimpft, Gräben aufgerissen, immer nach dem Prinzip: Wer nicht für mich ist, wird fertig gemacht.
Sein Handicap ist auch, dass es durchaus fähige Kandidaten und Kandidatinnen gäbe. Unter anderen der Mitte-Politiker Pier Ferdinando Casini. Oder Marta Cartalbia, eine hochgeschätzte Verfassungsrechtlerin. Sie wäre die erste Frau auf dem «Colle», dem Hügel, auf dem sich der Qurinalpalast befindet. Oder Paola Severino, Strafrechtlerin, Universitätsprofessorin und frühere Justizministerin. Oder Paolo Gentiloni, der frühere (sozialdemokratische) Ministerpräsident und jetzige EU-Kommissar für Wirtschaft. Selbst der 83-jährige Giuliano Amato, ein früherer Ministerpräsident, wird gehandelt. Die Liste aussichtsreicher, fähiger Kandidaten und Kandidatinnen liesse sich beliebig verlängern.
Die Wahl des Staatspräsidenten ist immer unberechenbar. Im italienischen Parlament tut jeder und jede, was sie wollen. Fraktionsdisziplin gibt es kaum noch. Alle kochen ihr eigenes Süppchen. Deshalb sind Prognosen schwierig. Überraschungen und Unfälle sind nicht auszuschliessen.
Eine Wahl Berlusconis wäre allerdings nicht nur ein Unfall, sondern ein Gau: eine Blamage für Italien.