Der sozialdemokratische Kandidat Roberto Gualtieri wird neuer Bürgermeister von Rom. „Demütigende Niederlage“ für die Rechtspopulisten.
Laut dem definitiven Schlussergebnis gewinnt Gualtieri in der Stichwahl um das Bürgermeisteramt 60,2 Prozent der Stimmen. Auf seinen von den Rechtsparteien portierten Gegenspieler Enrico Michetti entfallen demnach 39,8 Prozent.
Auch in Turin triumphiert die Linke. Der Sozialdemokrat Stefano Lo Russo erhält gemäss Schlussergebnis 59,2 Prozent der Stimmen. Sein von den Rechtsparteien unterstützter Gegenkandidat Paolo Damilano kommt auf 40,8 Prozent.
In Triest hingegen gewann Roberto Dipiazza, der Kandidat der Rechten, mit 51,3 Prozent der Stimmen. Der Linke Francesco Russo kam auf 48,7 Prozent.
5:0 für die Linke
Die fünf grossen italienischen Städte werden jetzt von Linken regiert: Rom, Mailand, Turin, Bologna und Neapel (in Mailand, Bologna und Neapel stand der Sieg schon nach dem ersten Wahlgang vor zwei Wochen fest). „5:0 gewinnt die Linke“, kommentiert die linksliberale Römer Zeitung „La Repubblica“. Für die Rechte sei dies eine der „demütigsten Niederlagen“. Überraschend ist nicht nur der Sieg der Linken in den grosen Städten, sondern auch das Ausmass des Sieges.
Das Interesse konzentrierte sich vor allem auf die Hauptstadt. Nachdem es Virginia Raggi, die bisherige Bürgermeisterin und Kandidatin der Protestbewegung Cinque Stelle, nicht in die Stichwahl geschafft hatte, standen sich der Sozialdemokrat Roberto Gualtieri und der Anwalt und Radio-Talkmaster Enrico Michetti gegenüber.
Ein pragmatischer Linker
Es gibt viele Gründe für den Sieg des Sozialdemokraten. Sein Leistungsausweis ist beträchtlich. Er hat politische Erfahrung und war Wirtschafts- und Finanzminister. Zudem sass er zehn Jahre im EU-Parlament. Gualtieri gilt als seriöser, nicht dogmatischer, pragmatischer und nicht fanatischer Linker. Ein Populist ist er beileibe nicht.
Gualtieri war bisher ausserordentlicher Professor für Zeitgeschichte und hat mehrere Bücher über die italienische Geschichte geschrieben. Dass er sich für das Amt des Römer Stadtpräsidenten (Bürgermeisters) bereitstellte, war ein Geschenk für die Linke.
Michettis grösstes Handicap war er selbst
Im Gegensatz zu Gualtieri konnte der Kandidat der Rechtspopulisten nur wenig vorweisen. Vor allem war er ein Verlegenheitskandidat, politisch völlig unerfahren. Portiert wurde er von Giorgia Meloni, der Parteichefin der postfaschistischen „Fratelli d’Italia“, der zur Zeit stärksten Rechtspartei. Doch bei den anderen Rechtsparteien, der Lega von Matteo Salvini und der Forza Italia von Silvio Berlusconi fand Michetti zuerst keine und dann nur zögernde Unterstützung.
Das grösste Handicap Michettis waren aber er selbst und seine Entourage. Je länger der Wahlkampf dauerte, desto mehr wurden ihm und einigen seiner Leute antisemitische und rassistische Vorwürfe gemacht. Fast täglich wurden neue Details bekannt. Auf dem von ihm betriebenen Römer Lokalradio durften Leute mit klar antisemitischer und rassistischer Gesinnung auftreten.
Kein Kranz im Juden-Ghetto
Auf seiner Liste befanden sich ausgewiesene Mitglieder und Sympathisanten der rechtsextremen Organisationen CasaPound und Forza Nuova.
Giorgia Meloni erkannte schnell die Gefahr und wollte im Römer Ghetto am Jahrestag des „Judenmassakers von Rom“ einen Kranz niederlegen. So wollte sie Michetti und seine Leute vom antisemitischen Ruf reinwaschen. Die Römer Juden fielen nicht darauf hinein: sie verzichteten gerne auf einen Kranz der Postfaschisten.
„Faschistischer Samstag“
Auch die Demonstration in Rom am vorletzten Samstag hat Michetti geschwächt. Neofaschisten hatten an diesem „Faschistischen Samstag“ Barrikaden niedergerissen, eine Gewerkschaftszentrale gestürmt und Mobiliar zertrümmert. Bei Hausdurchsuchungen der Demonstranten fand man Schlagstöcke und Rauchbomben.
Als Reaktion darauf demonstrierten am vergangenen Samstag, am Tag vor der Wahl zwischen 60‘000 und 200‘000 Menschen (je nach Quelle) gegen den Faschismus, gegen Antisemitismus und gegen Rassismus – und damit gegen Michetti und seine Leute. Der Aufmarsch war eine riesige Wahlkampfveranstaltung für die Linke.
Draghi freut’s
Die italienische Linke, in den letzten Jahren nicht gerade verwöhnt, feiert jetzt einen ihrer grössten Siege. Und für Enrico Letta, der von den Bürgerlichen eher belächelte und als uncharismatisch bezeichnete frühere Ministerpräsident und jetzige Parteichef der Sozialdemokraten könnte plötzlich die Sonne aufgehen.
Was bedeutet das für Ministerpräsident Mario Draghi? Er, der Parteilose und Pragmatiker, freut sich über die erstarkte Linke. Denn mit ihr hat er in seiner Regierung wesentlich weniger Probleme als mit den flatterhaften Rechtspopulisten.