Morten Storm war Däne aus einer einfachen Familie. Sein Vater trank und verliess Frau und Kinder. Seine Mutter verheirate sich ein zweites Mal, doch der neue Stiefvater Mortens war gewalttätig, schlug seine Mutter und ihn. Der Junge lebte daher mehr auf der Strasse als zuhause.
Kaputte Famlie, vulkanischer Jugendlicher
In der Schule war er dermassen unbändig, dass er in eine Sonderschule für hyperaktive Kinder geschickt wurde. Dort lernte man nur zwei Stunden lang täglich. Den Rest der Zeit verbrachte man mit Sport und Bewegung. Doch sogar in dieser Schule erwies Morten sich als ein nicht zu bändigender Vulkan. Einmal setzte er die ganze Schule mit einem Hydranten unter Wasser.
Obwohl eigentlich niemand aus dieser Sonderschule entfernt werden konnte, erreichten seine Erzieher, dass er sie verliess. Er wurde ein Mitglied von "Bandidos", dem Motorradfahrerverband, der mit den "Hell's Angels" in blutiger Dauerfehde lebte. Er war gut im Boxen, nahm an Training teil und wäre gern ein professioneller Boxer geworden. Doch ihm fehlte, wie er selbst einräumt, die Disziplin, um regelmässig zu trainieren.
Ein Buch über Mohammed
Sein erster Kontakt mit dem Islam kam über ein Buch zustande. Er fand es in der Gemeindebibliothek seiner Heimatstadt. Die Beschreibung der Religion, die ihm unbekannt war, faszinierte ihn. Ihre Einfachheit leuchtete ihm ein. Er verbrachte gegen seine Gewohnheit mehrere Stunden mit dem Buch, las auch noch andere, fand bald einen Freund, der Muslim war, - türkischer Herkunft, und erhielt von ihm eine praktische Einführung in den Islam.
Er sympathisierte mit vielen der muslimischen Eingewanderten, weil er gerne Partei für die Unterlegenen nahm. Sein türkischer Freund brachte ihn in die lokale Moschee seiner Kleinstadt. Der dortige Scheich war ein alter Mann, der nicht viel Dänisch verstand. Der Freund musste für ihn übersetzen. Der Scheich führte die einfache Zeremonie durch, die notwendig ist, um Muslim zu werden: das vorgesprochene Glaubensbekenntnis nachsagen und annehmen, ist das wesentliche. Der Freund erklärte ihm auch, dass nach muslimischem Glauben ein jeder Mensch von Geburt an eigentlich Muslim sei. Er meinte auch, Bier trinken sei zwar eine Sünde. Doch könne man immer bereuen, und dann sei die Sünde vergeben.
Mehr Islam im Gefängnis
Die dänische Polizei förderte unwissentlich den Bekehrungsprozess. Sie klagte Morten Storm an, mit den "Bandidos" einen Bankraub begangen zu haben. Man nahm ihn für zehn Tage fest. Er war nicht wirklich beteiligt, und wurde wieder entlassen. Im Gefängnis traf er einen Muslim, der wegen eines Waffenvergehens einsass, Sulaiman. Er verstand mehr von der Religion. Er hatte seine Strafe beinahe ganz abgebüsst, und nach seiner Entlassung wurde der Kontakt fortgesetzt.
Sulaiman beschloss zu Verwandten zu reisen, die in England lebten, um dort ein neues Leben zu beginnen. Morten reiste mit ihm. In Dänemark war er vorbestraft wegen gewalttätigen Streitereien, die zu Verletzugen geführt hatten, und er war auch wegen einer weiteren Schlägerei zu einer Sechsmonatshaft verurteilt worden. Der Haftantritt war verschoben worden, weil kein Platz im Gefängnis war. Durch die Ausreise nach England entzog Morten Storm sich der Strafe.
Unter britischen Muslimen
In England, Milton Keynes, nicht weit von London, bewegte sich Storm im Umkreis der muslimischen Einwanderer. Er begann auch, sich muslimisch zu kleiden. Die Hauptsache war, stets eine Kopfbedeckung zu tragen. In Dänemark hatte er eine Freundin gehabt. Samar, eine palästinensische Christin. Sie hatte versichert, sie habe nichts gegen den Islam. Merten hoffte, sie würde ihn heiraten. Er sparte zum ersten Mal in seinem Leben Geld, für eine islamischen Hochzeit und um mit ihr eine Familie zu gründen. Dann lud er sie per Telephon ein, zu ihm nach England zu kommen. Doch sie wies ihn schroff und beleidigend ab.
Moschee-Besuche
Die lokale Moschee war eine bescheidene Hütte. Doch sogar dort empfand Merten Trost und Beruhigung. Er reiste nach London, um die grosse und monumentale Moschee von Regent's Park zu besuchen. In dem dortigen Buchladen wollte er Literatur über Islam kaufen und seiner Freundin zustellen. Vielleicht würde sie dadurch beeinflusst. Der Verkäufer sandte ihn weiter zu einem Scheich der Moschee.
Dieser unterhielt sich mit ihm, offensichtlich geschmeichelt, dass ein hochgewachsener Europäer mit rotem Bart Muslim geworden war. Storm berichtete ihm die ganze Geschichte von seiner verfehlten Heirat. Der Scheich, der zur wahhabitischen Religionsrichtung gehörte, die von Saudi-Arabien aus gestützt und finanziert wurde, machte ihm klar, er müsse zuerst ein guter Muslim werden. Dann werde er auch eine muslimische Familie gründen können.
Der Scheich sagte, er könne ihm ein Stipendium verschaffen, um den Islam wirklich zu studieren. Etwas arabisch zu lernen sei dazu auch nötig. Das Stipendium sei für eine Hochschule in Dammaj, Jemen. Dort wirke ein berühmter Gelehrter namens Muqbil.
Saudisch gefärbter Islam in Jemen
Dammaj, in Nordjemen war eine mit saudischer Unterstützung gross aufgezogenene Madrasa mit Hunderten von Studenten, natürlich wahhabitischer Lehrrichtung. Die Madrasa wurde später berühmt, weil zwischen 2011 und 2014 mehrere "Kriege" um Dammaj ausbrachen. Die zaiditischen Huthis belagerten Dammaj mehrfach. Sie klagten die dortigen Studenten an, Waffen aus Saudi-Arabien erhalten zu haben. Stämme zaiditischer und sunnitischer Konfession ergriffen auf entgegengesetzten Seiten Partei. In den Zusammenstössen um Dammaj sollen rund 850 Personen ihr Leben verloren haben. Doch dies lag noch in der Zukunft.
Ein erstes Jahr Jemen
Morten Storm wusste nichts von Jemen. Doch das Abenteuer lockte ihn. Er nahm das Stipendium an. Der saudische Scheich sagte ihm, er solle sich nicht mehr rasieren und seinen Bart wachsen lassen - und halb im Scherz, er solle nur ja kein Sufi (Mystiker) und kein Schiite werden. Im Sommer 1997 flog der 21-jährige Däne nach Sanaa. Er verblieb ein Jahr lang in Jemen, etwa zwei Monate davon in der Schule von Dammaj.
Es gab dort auch einen konvertierten Amerikaner, dem er zur Einführung übergeben wurde. Es gab noch andere britische, französische und kanadische Konvertiten. Scheich Muqbil predigte Gewaltlosigkeit und Rückkehr zum wahren, ursprünglichen Islam. Diese Rückkehr sei über Erziehung der Muslime zu erreichen. Doch viele der rund 300 Studenten in Dammaj gingen weiter als ihr Lehrer. Sie waren der Ansicht, es sei Pflicht der Muslime, gegen die Regierenden vorzugehen, wenn diese unislamische "Erneuerungen" zuliessen und förderten.
Amerika erschien ihnen als die Quelle all dieser "Neuerungen". Sie waren der Ansicht, die auch Osama Bin-Ladin verbreitete, es sei unzulässig und müsse bestraft werden, wenn Saudi-Arabien dulde, dass amerikanische Truppen auf der Arabischen Halbinsel stationiert würden. Arabien sei den Muslimen heiliger Boden. Damals standen amerikanische Soldaten in Lagern in Saudi-Arabien. Sie waren im Zuge des Ersten Golfkriegs, der sich 1990 und 1991 um Kuwait drehte, dort stationiert worden.
Salafisten mit und ohne Gewaltanwendung
Alle Studenten von Dammaj waren Salafisten, das heisst sie suchten ihren Islam so zu leben, wie ihn der Prophet und seine Zeitgenossen gelebt hatten. Doch die Geister schieden sich an der Frage der Gewalt. War es erlaubt, oder gar geboten, mit Gewalt gegen Regierungen vorzugehen, die sich "unislamisch" verhielten?
Storm war nicht vorbereitet, auf die Vielfalt der Meinungen innerhalb seiner neuen Religion und auf die Schärfe der inneren Gegensätze. Er lehrte seine Mitstudenten zu boxen und ging mit ihnen auf Geländelauf, wodurch er sich ihre Anerkennung erwarb.
Sozialfall in Dänemark
Seine übrige Zeit in Jemen verbrachte er in Sanaa in Gesellschaft der dortigen Salafisten und Jihadisten. Manche von ihnen waren aus den Kämpfen in Afghanistan, in Tschetschhenien und in Bosnien zurückgekehrt. Von dieser ersten Jemen Reise kehrte der Däne nach England zurück. Als sein Pass ablief, konnte er ihn nicht erneuern, bevor er seine Strafe in Dänemark abgebüsst hatte.
Nach "Verhandlungen" mit der dänischen Gesandtschaft kehrte er in der Tat nach Hause zurück. Er hatte sich versprechen lassen, dass er nicht zusammen mit anderen "Bandidos" eingesperrt werde, weil er deren Gewaltakte fürchtete. Er hatte ihre Gruppierung bei seiner Bekehrung verlassen und war in ihren Augen ein Abtrünniger geworden.
Die Gefängnisverwaltung hielt sich nicht an das Versprechen der Botschaft. Doch Merten Storm entdeckte zu seiner Erleichterung, dass die Muslime in dem Gefängnis ihrerseits eine Gegenbande gebildet haben, um sich gegen die Bandidos zur Wehr zu setzen. So überstand er die sechs Monate Gefangenschaft.
Die Sozialarbeiter des Gefängnisses vermittelten ihm nach seiner Entlassung ein Stipendium für eine kaufmännische Lehre in der kleinen dänischen Stadt Odense. Dort lebten Somali in den Vorstädten. Auch unter ihnen tobte die Diskussion zwischen taditionellem Islam und der Ideologie des Islamismus.
Blutgeld erlaubt Heirat
Storm war zu einer somalischenHochzeit eingeladen. Auf dem Hochzeitsfest brach ein Streit aus zwischen den Somali, die auf der Hochzeit tanzen wollten, und den Fundamentalisten, die dies als verboten ansahen. Storm gehörte zu den strenggläubigen. Ein Gegner zog ein Messer. Seine Boxertechnik erlaubt es Storm, dem Angreifer das Messer aus der Hand zu schlagen. Doch gleichzeitig schlug ihn ein anderer Gegner von hinten mit einer Flasche über den Kopf. Blut strömte.
Die Hochzeitsväter wollten vermeiden, dass die Polizei zugezogen werde. Sie suchten den Urteilsspruch eines muslimischen Gelehrten. Dieser erklärte, der Däne habe die Wahl, entweder seinerseits den Angreifer mit einer Flasche über den Kopf zu schlagen, oder Blutgeld in der Höhe von 3000 Dollar entgegenzunehmen.
Storm entschloss sich für das Geld und war zum ersten Mal wohlhabend. Er suchte sich eine muslimische Frau im Internet und fand eine gut aussehende, gebildete und fromme Marokkanerin, Karima, die ihm einfach erklärte: "Ich will Dich heiraten". Er flog nach Rabat, wo ihn zuerst ihr Bruder traf, dann besuchte er ihre Familie. Seine Verbindungen mit angesehenen Scheichs in Jemen imponierten den Brauteltern. Die Hochzeit wurde durchgeführt.
Zurück nach Jemen
Storm beschloss erneut nach Jemen zu reisen. Der dänische Staat bezahlte ihm ein Studium des Arabischen in Jemen. Er reiste voran, seine Frau sollte ihm folgen. Doch drei Monate vergingen, bis sie ihr jemenitisches Visum erhielt. Ein Sohn wird in Jemen geboren, den Storm Osama nennt, zum Entsetzen seiner Mutter in Dänemark. Storm verkehrt in jihadistischen Kreisen und gewinnt eine gewisse Bekanntheit in Sanaa.
Er erlebt dort 2001 den Anschlag auf das World Trade Center in New York und die darauf folgenden Diskussionen in den islamistischen Kreisen, über die Frage, ob Anschläge auf Zivilisten erlaubt seien oder nicht. Die Fatwa eines Saudi-Predigers, Humud bin Uqla, der den Anschlag von New York rechtfertigten wollte, war heftig umstritten, in Jemen und in Saudi-Arabien selbst.
Storm beschloss schlussendlich für seinen Eigengebrauch: Es gebe die Muslime und die Feinde der Muslime, wie Bush selbst es bestätigt habe. Er, Storm gehöre zu den Muslimen und habe sich auf ihrer Seite zu halten.
Rückkehr nach Dänemark und weiter nach Grossbritannien
Die Beobachtung durch die jemenitischen Sicherheitsdienste wurde strikter. Karima ist zum zweiten Mal schwanger und fühlt sich nicht wohl in Jemen. Die Familie reist nach der Stadt Taez im Süden Jemens und schliesslich nach Dänemark zurück. Sie findet zuerst Unterschlupf bei Storms Mutter. Die Atmospäre für Musliminnen, die verschleiert gehen und Muslime in langen Gewändern ist auch in Dänemark schlechter geworden. Ein Mädchen wird geboren, und die Familie findet einen Wohnsitz in Vollensmose, einer Vorstadt von Odense, wo es mehr Araber gibt als Dänen.
Karima fühlt sich sicherer in dieser Umgebung. Doch Storm ist nicht in der Lage, lohnende Arbeit zu finden. Seine Vorbestrafungen verhindern bessere Arbeitsposten als Handlangerarbeit. Er entschliesst sich, ein zweites Mal nach England auszuwandern und findet dort Arbeit als Kranführer. Später wird er in Luton zum Herauswerfer von zwei Nachtclubs, was mehr Geld einbringt.
Er verkehrt weiterhin in den Kreisen von Salafisten und Jihadisten. Einer der radikalen Prediger macht ihn zum sportlichen Ausbilder seiner jugendlichen Gefolgsleute. Er lehrt sie boxen und führt sie zur körperlichen Ausbildung auf Touren über Land. Dabei inspiriert er sich an den Videos, die über die Trainingslager in Afghanistan umgehen.
Wenn Storm in den Nightclubs Personen findet, die Kokain auf sich tragen, gibt er ihnen die Wahl, entweder die Polizei zu rufen, oder ihm sebst den Stoff zu übergeben. So gewinnt er bald einen Vorrat von Kokain und fängt selbst an, die Droge zu nehmen. Dies führt zur Entfremdung von Karima, Episoden von Ausschweifung mit einer anderen Frau, Streit über die Kinder. Dann Versöhnung mit Karima und schliesslich dazu, dass sie einen neuen Mann findet und die Wohnung verlässt. Im Streit über die Kinder bleibt dem Dänen sein dreijähriger Sohn. Die jüngere Tochter nimmt Karima mit sich, und sie kehrt schliesslich mit ihr nach Marokko zurück.
London im Schock, in Sanaa weiter radikalisiert
In London ereignet sich das Grossattentat in der Untergrundbahn vom 7. Juli 2005 mit 52 Todesopfern und gegen 700 Verwundeten, und die demonstrativ gekleideten Muslime werden scheel angesehen. Auch die Sicherheitsdienste ziehen andere Töne auf. Strom findet eine Möglichkeit, sich zum zweiten Mal nach Jemen zu begeben. Ein Film über Jihadisten soll dort gedreht werden, und der Regisseur trägt ihm an, als Wegbereiter und Kontaktmann in Jemen mitzuarbeiten. Dies erlaubt ihm erneut mit seinen dortigen Freunden zusammenzukommen.
Auch in Jemen hat sich inzwischen die Lage weiter angespannt. Die radikalen Muslime haben sich weiter radikalisiert, und die Sicherheitskräfte beobachten sie schärfer. Storm, den sein junger Sohn begleitet, lernt Anwar al-Awlaki kennen. Dieser unterrichtet an der islamischen al-Iman (Glaubens-) Universität. Al-Awlaki ist amerikanischer Bürger, geboren in den USA, als sein Vater dort studierte.
Sein Vater ist das Oberhaupt eines jementischen Stammes und ein Vertrauter des Staatschefs Ali Abdullah Saleh. Er hatte als Landwirtschaftsminister unter Saleh gewirkt. Sein Sohn wurde bekannt unter den amerikanischen Salafisten und über das Internet weltweit berühmt als Prediger in englischer Sprache. Nach dem Anschlag von New York war das Leben in den USA für ihn schwierig geworden, das FBI verdächtigte ihn, in Verbindung mit den Attentätern gestanden zu sein und sagte ihm auch nach, er habe mit Prostituierten in Washington zu tun gehabt.
Seine Vorträge, in englischer Sprache gehalten, zeichneten sich durch Klarheit aus, und seine Verteidigung der ideologischen Positionen der Islamisten erschien stets einleuchtend. Er wurde deshalb unter den Islamisten radikaler Ausrichtung einflussreich. Nach den USA wirkte er in London, wurde jedoch aus Grossbritannien ausgewiesen. Der kämpferische Gelehrte kam nach Saudi-Arabien und später nach Jemen, wo er zuerst ins Gefängnis gebracht wurde, dann aber freikam, dank des Einflusses seines Vaters.
Englischer Studienzirkel al-Awlakis
Storm und andere englisch sprechende Konvertiten lud al-Awlaki ein zu einem regelmässigen Studienzirkel in seinem Haus in Sanaa. Die Polizeiverfolgung in Amerika hatte bewirkt, dass er ein heftiger Feind der Amerikaner geworden war. Sie wurden zum Hauptziel seiner Angriffe. Kurz nach 9/11 veröffentlichte er einen Vortrag mit dem Titel "Gott bereitet uns auf den Sieg vor!"
In dem Studienzirkel kamen die englischsprachigen Islamisten zusammen, die sich in Sanaa befanden, und Storm lernte sie alle kennen. Al-Awlaki gewann einen grossen Namen in den englischsprachigen digitalen Netzwerken der Islamisten. In seinem Kreis in Jemen wurde der Widerstand gegen die Amerikaner im Irak gefeiert: Fallouja und die Untergrundkämpfer Zarqawis. Die Vorkommnisse im Foltergefängnis von Abu Ghraib sorgten für Empörung.
Zweite Heirat in Jemen
Storm fand eine neue Frau in Jemen. Sie hiess Fadia, und es war der kleine Sohn Storms, der sie auswählte, indem er sich in ein Büro begab, wo Frauen Unterricht im Autofahren erhielten und unter den dortigen jungen Frauen eine aufforderte, mit seinem Papa Kontakt aufzunehmen. Der Knabe erwarb sich so eine Ersatzmutter.
Die Heirat kam zustande trotz einigen Widerständen in ihrer Familie. Sie stand unter gegensätzlichen Erwartungen, wie Storm selbst schreibt. Fadia war nicht besonders fromm. Storm meinte, er könne sie leicht zu mehr Frömmigkeit führen, aber sie gedachte seine übertriebene Frömmigkeit aufzulockern.
Al-Awlaki flieht in die Wüste
Als die Behörden von Sanaa, unter Druck durch die Amerikaner Anstalten machten, al-Awlaki zum Schweigen zu bringen, zog dieser sich in die Wüste zurück, wo er im Schutz seines Stammes und ausserhalb des Machtbereiches der jementischen Regierung leben und über das Internet wirken konnte. Von dort aus entfaltete er eine sich immer verschärfende Internet-Präsenz mit Predigten, Aufrufen und Fatwas (d.h. Gutachten nach der Schari'a) zur Rechtfertigung der Gewalt gegen Amerika, die er natürlich als "Gegengewalt" gegen die amerikanische Vergewaltigung der islamischen Welt definierte.
Da al-Awlaqi die englische Sprache wirklich beherrschte, fielen seine Verurteilungen sehr viel beredter und daher auch überzeugender aus als die meisten anderen, die von nicht anglophonen Muslimen stammten. Kein Wunder also, dass der Gelehrte den amerikanischen Behörden als einer der wichtigsten Aufwiegler zum Terrorismus erschien.
Storm blieb mit ihm in Verbindung. Er hatte Zugang erhalten zu einer Verschlüsselung für geheime Botschaften über E-mail, die von den Jihadisten entwickelt worden war.
Triumph und Debakel in Somalia
In Somalia war 2006 die Union der Islamischen Gerichte als die erste unter vielen kämpfenden Gruppen nach zwei Jahren chaotischer Stammeskämpfe zur Vormacht gelangt. Den Jihadisten in Jemen erschien dies als ein bedeutender Sieg für ihre Sache. Nach den Taliban in Afghanistan, die 2001 durch dem amerikanischen Angriff besiegt worden waren, waren die Islamischen Gerichte in Somalien die erste islamistische Gruppierung, die territorialen Besitz erlangte, nicht nur eine Untergrundkämpfer-Präsenz.
Jihad in Somalia?
Schon eine Woche nach seiner Heirat in Sanaa erklärte Storm seiner neuen Gemahlin, er werde nach Somalia in den Heiligen Krieg ziehen, dies sei seine Pflicht als Muslim. Er entschied sich jedoch dafür, mit seiner Frau nach Europa zurückzukehren und von dort aus seine Intervention für die somalischen Gesinnungsgenossen vorzubereiten. Er flog mit Fadia nach Dänemark und liess sich erneut in einem Quartier nieder, wo viele eingewanderte Muslime lebten. Da seine erste Frau, Karima, die gemeinsame Tochter Sarah in Obhut hatte und Storm den Kontakt mit seiner Tochter bewahren wollte, kam er überein mit Karima, dass sie von Marokko nach Birmingham ziehen sollte, und er zwischen Dänemark und England pendeln werde, um mit der Tochter in Verbindung zu bleiben.
Dies verstärkte auch seine Verbindungen zu den Somalis, von denen viele in Mittelengland lebten. Als auf amerikanische Ermunterung hin die äthiopische Armee in Somalia einmarschierte, um die Islamischen Gerichte zu bekämpfen, brodelten die Leidenschaften aller Somalier hoch, denn die Äthiopier waren Erbfeinde der Somalier. Die Islamischen Gerichte wurden von einer noch radikaleren Gruppe in den Schatten gestellt. Sie nannte sich die Schebab (die Jungen) und ist bis heute in Somalien blutig aktiv.
Fehlgeschlagene Aktion in Somalia
Übers Internet blieb Storm in Kontakt mit seinen Freunden aus dem Studienkreis in Sanaa. Manche von ihnen waren bereits nach Somalia gezogen, um für die Islamischen Gerichte zu kämpfen. Andere sassen im Gefängnis in Sanaa, weil die Behörden begannen, gegen die ausländischen Jihahdisten einzuschreiten, zweifellos auf Antrieb aus Amerika.
Storm bereitete sich in England vor, in Somalia einzugreifen. Er hatte sich schon das Flugbillet gekauft. Seiner Frau versprach er, sie werde ihm nachreisen, sobald der Sieg für die islamischen Gerichte errungen sei. Er hatte auch auf Wunsch seiner somalischen Internetkontakte Material eingekauft, das dort benötigt werde. Schweizer Armee-Messer waren dabei. Dann erhielt er plötzlich eine Botschaft aus Mogadiscio: "Komm nicht mehr. Der Flughafen ist zu gefährlich geworden. Die äthiopischen Truppen haben ihn umzingelt , und alle ausländischen Jihadisten, die ankommen, werden verhaftet." Ein Teil der islamischen Kämpfer hatte sich schon aus der Hauptstadt zurückgezogen zum südlichen Hafen von Kismayo.
Zusammenbruch der Glaubensgewissheit
Die Enttäuschung löste bei dem Dänen eine Depression aus, und es folgten Fragen über den Islam, die er sich bisher nie gestellt hatte. "Warum lässt Allah Seine Feinde über Seine Freunde siegen? - ER ist allmächtig und bestimmt all unser Tun - also auch unsere Untaten? Storm setzte sich an den Küchentisch mit seinem Laptop, machte sich einen Kaffee und tippte ein: "Widersprüche im Koran ?" Eine Flut von Antworten kam. Viele waren von Polemik geprägt. Doch es gab auch Hinweise auf einander klar widersprechende Verse des Heiligen Buches.
Das hatte Stom bisher ignoriert. Hatte er den Islam misverstanden?
Mit 31 Jahren und nach zehn Jahren betonter und demonstrativer Zugehörigkeit zum Islam, beginnt der Däne plötzlich zu zweifeln. Er gelangt sogar zur Kritik an seinen bisherigen islamischen Vorbildern. Ist es wirklich berechtigt, Unschuldige zu ermorden, um dem Islam zu dienen, oder um vermeintliche Erniedrigungen des Islams zu rächen?
Er ist sich auch des Umstands bewusst, dass er und seine Familie in Lebensgefahr schweben, wenn er sich nun plötzlich vom Islam abkehrt. Seine bisherigen Gefährten haben ihm beigebracht: "ein zum Islam Bekehrter, der abfällt, ist doppelt so schuldig wie ein Muslim, der seinen Glauben verliert." Er muss ihre Rache fürchten.
Spion in islamischer Kleidung
Ein Gärungsprozess von einigen Monaten führt ihn schliesslich dazu, Kontakt mit dem dänischen Geheimdienst zu suchen und sich diesem als Spion zur Verfügung zu stellen. Die Dänen hatten ihn bereits früher kontaktiert und ihm Zusammenarbeit vorgeschlagen. Er hatte sie brüsk zurückgewiesen. Doch eine Visitenkarte mit einer Telefonnummer war in seinem Besitz geblieben. Er nimmt den Kontakt auf und wird eine Quelle der Information über all seine bisherigen Mitbrüder.
Der Rest seiner Selbstbiographie ist ein spannender Spionageroman, voll von Einzelheiten über die Treffen mit den Geheimdienst-Beamten und ihre Pläne. Zu den dänischen Diensten kommen die britischen und die CIA hinzu. Storm bleibt nach aussen hin der islamistsche Aktivst und Eiferer, der er gewesen war. Doch nun identifiziert er auf den Fotographien der Geheimdienstfotographen all seine bisherigen Freunde. Er besucht die Moscheen von London, um die Prediger aufzuspüren, die ihre Zuhörer zu Gewaltakten anfeuern.
Auf den Spuren al-Awlakis
Der Däne reist einmal mehr nach Jemen, diesmal im Dienst der CIA. Diese schmiedet ein Komplott, um al-Awlaki, den Islamgelehrten und Eiferer amerikanischer Nationalität, in seinem Wüstenversteck aufzuspüren.
Der kämpferische Gelehrte hat Storm anvertraut, er würde gerne eine Frau finden, die sein Exil teilt. Al-Awlaki ist bereits zweimal verheiratet, doch seine aristokratischen Gemahlinnen wollen beide seine Wüstenzuflucht nicht teilen. Sie sind in der Stadt geblieben. Al-Awlaki schwebt eine zum Islam bekehrte Europäerin vor, und Storm findet eine für ihn.
Über das Internet meldet sich eine Bosnerin, fromme Muslimin, die sich bereit erklärt, al-Awlaki zu heiraten. Sie kennt seine Internet-Predigten und bewundert ihn. Die CIA hat Storm ein Viertelmillion Dollar versprochen, wenn er es erreiche, eine Braut für al-Awlaki nach Sanaa zu bringen. Der Geheimdienst plant, ihr Gepäck elektronisch zu markieren, so dass er das Versteck von al-Awlaki ausfindig machen kann, wenn sie mit ihm zusammenkommt. Storm trifft die Bosnerin in Wien und geleitet sie nach Sanaa. Die Dollars, ein Koffer voll, den Storm fotografiert, werden ausbezahlt.
Doch der Plan schlägt fehl, weil ein wachsamer Sicherheitsmann von al-Awlaki in Sanaa die Frau dazu zwingt, ihren Koffer zu leeren und in Sanaa zurückzulassen. Ihre Kleider muss sie in einen Plastiksack umpacken.
Tödlicher Drohnenschlag
Später, 2011, wird ein zweiter Versuch unternommen. Storm, in Verabredung mit den Dänen und den Amerikanern, übermittelt al-Awlaki von Sanaa aus Nachrichten in die Wüste, über einen Datenträger, der elektronisch markiert ist. Eine Drohne tötet al-Awlaki und einen Verwandten, der sich bei ihm befindet. Storm hat Gewissenbisse, weil er einen Freund verraten hat. Er sucht sie mit Kokain zu beschwichtigen. Die CIA hatte ihm fünf Millionen Dollar Belohnung versprochen. Doch sie zahlt sie nicht aus. Sie behauptet, sie habe auf eigene Faust gehandelt und den Gelehrten selbst ausfindig gemacht.
Es gibt zahlreiche andere Episoden. Schliesslich verlässt Storm das Spionagehandwerk , bricht mit den Geheimdiensten und zieht sich nach England zurück. Es sind Journalisten der „Jyllands-Posten“, unter Muslimen verhasst wegen ihrer Mohammed-Karikaturen, die Morton Storms Geschichte zuerst an die Öffentlichkeit bringen.
Agent Storm - My Life inside al-Qaeda by Morten Storm, Penguin, London 2014