
Als designierter Kanzler ist Friedrich Merz in den Umfragen bereits abgestürzt, bevor er überhaupt sein Amt angetreten hat. Als Grund für den Absturz werden die von Merz gebrochenen Wahlversprechen angesehen: neue Schulden statt Sparen, laue Kompromisse bei der Migration, schleppende Koalitionsverhandlungen statt energischer und schneller Regierungsbildung. Doch das sind nicht die eigentliche Ursachen für den Niedergang.
Friedrich Merz hatte zwei starke Auftritte: Der eine bestand darin, auch mit den Stimmen der AfD einen dicken Pflock beim Thema Migration einzuschlagen, der zweite bestand darin, direkt nach der Bundestagswahl die Schuldenbremse über Bord zu werfen. Wie auch immer man diese Positionen bewerten mag, zeigte sich Merz hier als eine starke Führungsperson mit Ecken und Kanten. Entsprechend wurde er auch auf der internationalen Bühne hofiert. Von Emmanuel Macron wurde er als neuer Hoffnungsträger für die deutsch-französische Freundschaft zu einem «privaten» Abendessen eingeladen, und bei einem Nato-Treffen Anfang März verband sich mit seinem inoffiziellen Auftritt die Erwartung, dass Deutschland nun endlich auch in der Verteidigung das Zepter in die Hand nimmt.
Das Grollen an der Basis
Doch dann begannen die Koalitionsverhandlungen zwischen der CDU/CSU und der SPD. Koalitionsverhandlungen sind die Feste der Funktionäre. Funktionäre haben Zeit und noch mehr Wünsche. Wird ihnen ein Wunsch erfüllt, kriegt der augenblicklich Junge. Und weil dank Merz mit einem Mal viel mehr Geld als ursprünglich gedacht zur Verfügung steht, lassen sich Ansprüche an soziale Wohltaten argumentativ kaum abweisen: Wer will an der Mütterrrente, dem Kita-Ausbau oder dem Bürgergeld Abstriche machen, um damit ein paar Panzer oder Flugzeuge mehr zu kaufen, wenn doch dafür sowieso genügend Geld da ist?
Die CDU-Basis grollt laut vernehmbar. Manche CDU-Mitglieder grollen gar nicht mehr, sondern geben schlicht und einfach ihre Parteibücher zurück. Sie haben Merz fürs Sparen und fürs harte Durchgreifen an den Grenzen gewählt, und jetzt kommen die Genossen von der SPD und setzen sich mit ihrer Taktik des Weichspülens durch.
Und in der ganzen Zeit ist Friedrich Merz so still wie ein Kind, das auf sein Geburtstagsgeschenk wartet. Natürlich weiss er, dass es unklug wäre, an den erst halbfertigen Päckchen herumzuzurren, aber er könnte und müsste etwas ganz anderes machen: national und international in Erscheinung treten.
Richtungen angeben
Es gibt viele Fragen, zu denen er sich äussern könnte, ohne den Koalitionsverhandlungen vorzugreifen. Man wüsste gerne von ihm, wie er die Probleme der künftigen Verteidigung Europas sieht, für die er in einem «Sondervermögen» einen nahezu unbegrenzten Betrag lockergemacht hat. Wie stellt er sich die Zusammenarbeit mit den Bündnispartnern vor, wie will er vorgehen, um die Verteidigung in Deutschland zu stärken? Man erwartet von ihm keine detaillierten Vorschläge, aber er müsste Richtungen angeben. Denn man möchte den Eindruck von ihm bekommen, dass er diese Probleme versteht und dass er dazu etwas Substantielles zu sagen hat..
Und zum Thema Migration wüsste man auch gern mehr, nachdem er sich unter Beiziehung der AfD aus dem Fenster gelehnt hat, wobei er schon während der damaligen Abstimmung wissen konnte, dass sein kühner Sprung mit grösster Wahrscheinlichkeit ein peinlicher Seitensprung bleiben würde.
Die Bündnispartner wollen wissen, ob ein Friedrich Merz wirklich deutlich mehr Gewicht auf die Waage bringt als der federleichte Scholz. Und nicht nur sie, sondern auch die Wähler wollen wissen, ob er anders als Angela Merkel Diskussionen führt und gestaltet, anstatt abzuwarten, wohin sich der Wind dreht, um dann «entschieden» den Finger zu heben.
Man weiss: Merz will Kanzler werden. Aber man weiss nicht: Was will Merz als Kanzler? Sein Wille kann doch nicht das Ergebnis von Koalitionsverhandlungen sein. Man möchte wissen, wie er die Welt sieht, in der er künftig regieren will.
Warum nimmt Friedrich Merz die Möglichkeiten nicht wahr, die ihm die Neugier der Medien ganz sicher bietet? Seriöse Blätter würde ihm ganz sicher vernünftige Fragen in Interviews stellen. Andere Formate lassen sich denken. Friedrich Merz müsste sich als ein künftiger Kanzler präsentieren, der Probleme auch jenseits von Koalitionsverhandlungen beziehungsweise den daraus folgenden Verträgen anzugehen weiss. Das kann man auch Führung nennen.