
Nötiger als einen Canossa-Gang nach Mar-a-Lago zu planen, ist die Schaffung neuer Grundlagen zur Verteidigung schweizerischer Interessen angesichts des Trump-Tsunamis.
Anstatt FIFA-Präsident Infantino oder Callista Gingrich, die mutmassliche nächste US-Botschafterin in der Schweiz, mit einem helvetischen Bittgang zu Trump zu betrauen, um dessen ach so ungerechten Zoll-Entscheid gegenüber der Schweiz zu revidieren, müssen wir die Rahmenbedingungen für unsere künftige Aussen-, Handels- und Sicherheitspolitik verbessern. Und dies schnell, nicht im gemächlichen Gang helvetischer Politik «as usual»
Dies ist in der Schweiz ausser auf der nationalistischen Rechten unbestritten. Denn Trump hat mit dem sich abzeichnenden Verrat der Ukraine den Westen aufgegeben, bestraft ihn nun noch zusätzlich mit einem Handelskrieg und untergräbt die rechtsstaatliche Demokratie zuhause und weltweit. Von all dem ist die Schweiz direkt betroffen.
Wir sind aber erstens die einzige traditionelle Demokratie Europas, welche als Nicht-Mitglied von EU und Nato aussenpolitisch allein dasteht. Wir sind zweitens dringend auf verlässliche internationale Wirtschaftspartner und ein funktionierendes Weltwirtschaftssystem angewiesen. Wir können uns drittens leider nicht allein verteidigen, weder militärisch noch gegen hybride Angriffe.
Anbindung an die EU mit den Bilateralen III
Dem andauernden Kahlschlag wichtiger Pfeiler der bisherigen westlichen Welt durch Trump und dem Ersatz mit nackter Grossmachtpolitik kann nur durch ein gemeinsam vorgehendes Europa begegnet werden. Dem Europa, das weltweit eine erstklassige Wirtschaftsmacht darstellt und – verbunden unter einem gemeinsamen Dach – auch zu den wichtigsten Militärmächten zählt. Diesem Europa, das sich ständig und unter Druck nun plötzlich schnell entwickelt, muss sich die Schweiz rasch annähern. Nicht nur als Wirtschafts-, sondern ebenso als politischer Partner.
Im fertig verhandelten Paket der künftigen Beziehungen der Schweiz und der EU, den Bilateralen III, ist ein Paragraph enthalten, der institutionalisierte, allgemeine, nicht nur auf Vertragsbelange beschränkte Konsultationen zwischen den zwei Vertragsparteien vorsieht. Dies ist eine Plattform, die nun unverzüglich aktiviert werden sollte, um eine gemeinsame oder doch koordinierte Antwort auf Trump zu finden.
Ein Alleingang der Schweiz ins Weisse Haus, selbst wenn er gewisse Zollreduktionen mit sich bringen würde – was keineswegs sicher ist – wird uns allein schon darum nichts helfen, weil US-Zölle gegen die EU auch die mit Europa eng verflochtene schweizerische Wirtschaft trifft. Ganz zu schweigen von der wohl zu erwartenden unfreundlichen Reaktion aus Brüssel auf einen solchen Alleingang. So etwa in der Anwendung von Gegenzöllen auch auf schweizerische Exporte in den europäischen Binnenmarkt.
Die Nicht-EU-Mitglieder UK, Norwegen und Island als Vorbilder
Unter der Führung von Frankreich und Grossbritannien ist im Moment eine Gruppe von rund 30 Ländern, die sogenannte «Koalition der Willigen» damit beschäftigt, kurzfristig ein Sicherheitsnetz für die Ukraine zu spannen und längerfristig die Vereinheitlichung nationaler Aufrüstung innerhalb Europas voranzutreiben. Die Nicht-EU Mitglieder UK, Norwegen und sogar Island sind dabei, nicht aber die Schweiz. Dies ist im Moment das einzige wichtige Gremium, um der Ukraine zu helfen, Putin zurückzubinden und mittelfristig eine glaubwürdige europäische Verteidigung gegen russische Aggressionen aufzubauen. Verglichen damit erscheint die Bürgenstock-Initiative der Schweiz zum Wiederaufbau der Ukraine eher naiv. Ein Wiederaufbau, den Putin mit ständigen Bombardierungen der ukrainischen Zivilbevölkerung verunmöglicht und der für Trump und seinen Pseudodiplomaten, den Grundstückmakler Steve Witkoff, offensichtlich kein Thema ist.
Die Koalition der Willigen wird sich gewisse Nato-Strukturen zu eigen machen, ohne die USA aktiv einzubinden – was Trump ohnehin ausgeschlossen hat. Dabei geht es um Infrastruktur sowie Kommando- und Leitungssysteme für den Konfliktfall. Solche Strukturen bestehen seit langem und sind eingespielt; die Schweiz sollte sich offensiv bemühen, hier mit eingespannt zu werden, um im Konfliktfall – konkret der Weiterführung russischer Aggression gegen Europa – nicht wehrlos dazustehen.
Weiter hat Grossbritannien eben einen Plan für eine «Supranational Institution» vorgestellt, in welche europäische Länder mit Direktzahlungen und Staatsgarantien für die Finanzierung via Privatmärkte investieren würden, um im gemeinsamen Vorgehen günstiger und koordiniert Kriegsmaterial beschaffen zu können – was bekanntlich auch die Schweiz tun muss und will. Als Einzelgängerin bei Bestellungen aber riskiert sie, zuhinterst eingereiht zu werden. Auch hier ist rasches Bemühen gefragt, ob und wie die Schweiz teilnehmen kann. Sowohl mit Einkäufen als auch als Lieferant unserer entsprechenden Industrie, welche durch unsinnige, weil überholte Neutralitätsvorbehalte bereits europaweit in Verruf geraten ist.
Uno-Charta als Neutralitätsgrundlage
Genau hier liegt die Krux für die Schweiz. Allgemein hat sich auch bei uns angesichts der dramatischen Umwälzungen im europäischen Umfeld – die Aggression von Putin und die sich abzeichnende Aufgabe des Westens durch Trump – die Erkenntnis Bahn gebrochen, dass nicht wie üblich weitergewurstelt werden kann.
Was aber noch fehlt, ist die praktische Umsetzung dieser Erkenntnis. Ausgangspunkt von Gesetzgebung und Beschlüssen sollten die erwähnten Umwälzungen sein, nicht traditionelle Neutralität, welche im Urteil wichtiger Experten seit der weltweiten Adoption der Uno-Charta so nicht mehr existiert. Damit muss zunächst das endlose Hin und Her über Details von Kriegsmaterialexport aufhören. Weiter sollte sich die Erkenntnis Bahn brechen, dass unsere unmittelbaren Bedürfnisse und Interessen das schweizerische Verhältnis zur Nato prägen muss, nicht hergebrachte Neutralität. Ebenso sollte das resultatlose Bemühen aufhören, unter der geltenden Schuldenbremse neue Aufgaben bewältigen zu können. Ukraine-Hilfe und Aufrüstung sind ausserhalb des Budgets zu finanzieren, so wie das Deutschland, ein Musterland der Schuldenbremse, tut und wie das in der Schweiz durchaus möglich ist, wie anlässlich der Covidkrise bewiesen.
Beschleunigte Abstimmung über Bilaterale III?
Einleitend wurde gezeigt, dass die Bilateralen III die im Moment einzige institutionelle Brücke für generelle Konsultationen der Schweiz mit der EU und damit den EU-Ländern bieten. Um diese demokratisch einwandfrei benutzen zu können, wäre zu prüfen, ob der sakrosankte Trott helvetischer Politik nicht beschleunigt werden könnte, was institutionell ohne weiteres möglich wäre: Die entsprechende Botschaft liegt wohl verwaltungsintern bereits vor, sie könnte noch dieses Jahr in den beiden Räten behandelt werden; und dann könnte das Verhandlungspaket unverzüglich, und nicht erst 2028, zur Abstimmung gebracht werden. Unter dem Eindruck des Trump-Tsunamis würde sie wohl positiv ausfallen, ungeachtet nationalistischer Sperrfeuer von rechts, wo man mit verschiedenen Initiativen und mit viel Geld die Schweiz noch mehr isolieren will.