Die Parteienlandschaft ist fragmentiert, die Rechtspopulisten liegen im Aufwind. Drei Monate vor der vorgezogenen Parlamentswahl zeichnen sich weder ein klarer Sieger noch klare Verhältnisse ab. Gerade jetzt ist obendrein Staatspräsident Rebelo de Sousa aus Gründen, die mit der politischen Lage wenig zu tun haben, ins Zwielicht gerückt.
Erst war der Wirbel um die sozialistische Regierung von Ministerpräsident António Costa mit ihren diversen Affären und Abgängen. Am 7. November trat Costa zurück, nachdem bekannt geworden war, dass die Justiz in einer Affäre um mutmassliche Korruption gegen ihn ermittelte. Ins Gerede geriet dann das Amt der Generalanwältin, als herauskam, dass der Verdacht gegen Costa auf einem Irrtum bei der Transkription eines abgehörten Telefonats beruht hatte. Zwei andere Verdächtige hatten nicht von Ministerpräsident António Costa gesprochen, sondern von Wirtschaftsminister António Costa Silva. Als dies ans Licht kam, hatte Staatspräsident Marcelo Rebelo de aber schon die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen am 10. März 2024 angekündigt. Aus ganz anderen Gründen steht plötzlich der Präsident, der sich gern als moralische Instanz gibt, im Zwielicht.
Eine Affäre um ein Medikament für zwei Kinder
Ein seltsamer Name geistert derzeit durch die Medien, Zolgensma, so heisst ein Medikament des Pharmakonzerns Novartis zur Behandlung der spinalen Muskelatrophie (SMA), eine seltene schwere Erbkrankheit. Und wie die Medien betonen, zählt es zu den teuersten Medikamenten der Welt – die Rede ist von zwei Millionen Euro pro Therapie (obwohl offizielle Quellen dies bestreiten, ohne aber genaue Angaben zu machen). Aber wer will kleinlich sein, wenn das Medikament zwei schwer erkrankten kleinen Kindern helfen kann? Für Aufregung sorgt nun jedoch die Verabreichung dieses Medikamentes an ein Paar von Zwillingen aus Brasilien in den Jahren 2019-20. Nuno Rebelo de Sousa, in Brasilien lebender Sohn des schlicht als «Marcelo» bekannten portugiesischen Präsidenten, hatte vom Drama der Familie gehört und kontaktierte Papa in Lissabon, der ein Mail intern weiterleitete. Was dann genau passierte, wer von der Regierung und dem nationalen Gesundheitsdienst die Hände im Spiel hatte, ist nun zu klären. Es erklangen schon Rufe nach strafrechtlichen Ermittlungen und einer parlamentarischen Untersuchung. Um Genuss der Behandlung zu kommen, mussten die Zwillinge nebenbei auch erst die portugiesische Staatsbürgerschaft zuerkannt bekommen, was rechtlich unproblematisch war, da ihre Mutter diese schon besass. Aber das administrative Verfahren ging in nur 14 Tagen über die Bühne, seltsam schnell.
Erst konnte sich Präsident Marcelo an einen Kontakt mit seinem Sohn in dieser Sache nicht erinnern, dann aber doch. Er hatte in jüngerer Zeit der sozialistischen Regierung immer wieder die Leviten gelesen und ist nun selbst in Erklärungsnot, wobei er natürlich nichts zu entscheiden hatte und allenfalls gute Worte eingelegt haben könnte. Aber so funktioniert Portugal nun einmal. Und jetzt, wo nicht einmal der Präsident, der gern strahlend mit Landsleuten für Selfies posiert, wirklich über den Dingen steht, hat das Vertrauen in die Institutionen der Republik einen weiteren Schlag erlitten.
Parteienlandschaft zersplittert, Rechtspopulisten im Aufwind
Laut Umfragen hielt immerhin eine grosse Mehrheit seines Volkes seine Entscheidung zur Ansetzung für Neuwahlen für richtig. Gross war schon vorher der Verdruss über die sozialistische Regierung, der die Probleme im Land, vor allem im Bildungssektor und im Gesundheitswesen, trotz ihrer absoluten Mehrheit im Parlament über den Kopf wuchsen. Ihre absolute Mehrheit dürften die Sozialisten, die an diesem Wochenende einen neuen Generalsekretär und Spitzenkandidaten wählen, bei der Wahl am 10. März verlieren. Wer gewinnt, steht aber in den Sternen.
Einige Umfragen gaben dem bürgerliche Parido Social Democrata (PSD) als jetzt grösster Kraft der Opposition zwar einen Vorsprung von einigen Prozentpunkten gegenüber den Sozialisten. Als glaubwürdige Alternative hat sich der PSD mit seinem Vorsitzenden, Luís Montenegro, aber nicht profilieren können. Angesichts einer zunehmenden Zersplitterung der Parteienlandschaft und einem absehbaren Anstieg des Stimmanteils für die nicht salonfähige rechtsextreme Partei Chega, der nach manchen Umfragen rund 16 Prozent der Stimmen winken könnten, zeichnet sich aber keine tragfähige Mehrheit ab.
Ohne die Rechtsextremisten ein Patt?
Ohne Chega sah eine Umfrage noch im November ein Patt der Parteien des rechten und linken Lagers. Auf je rund 40 Prozent summierten sich links die Stimmanteile für die Sozialisten (PS), Linksblock, Kommunisten und kleinere linke Parteien und rechts die für PSD, Iniciativa Liberal (IL) und Centro Democrático Social (CDS-PP).
Vielleicht profitieren die Sozialisten nach dem Irrtum, der zum Rücktritt von Costa führte, von einem «Opferbonus». Sollten die linken Parteien zusammen eine absolute Mehrheit im Parlament erringen, wäre eine Neuauflage der in den Jahren 2015-19 von Costa praktizierten Lösung nicht undenkbar, eine PS-Minderheitsregierung, toleriert von kleineren Parteien. Für eine solche Lösung stünde unter den Kandidaten für das Amt des PS-Generalsekretärs eventuell der frühere Minister für Infrastruktur Pedro Nuno Santos, ein «enfant terrible» vom linken Parteiflügel.
Sein wichtigster Rivale ist der jetzige Innenminister, José Luís Carneiro, der für einen moderaten Kurs steht und sich in einem Fernsehinterview am Dienstag um Festlegungen über Allianzen drückte. Er bekundete jedoch die Offenheit für Dialoge mit links und rechts als möglich. Vorher hatte er schon gesagt, dass die rechtsextreme Partei Chega seinetwegen nicht an die Macht kommen würde. Dies galt als Andeutung dafür, dass die Sozialisten unter seiner Führung eine vom PSD geführte Minderheitsregierung dulden könnten. PSD-Chef Montenegro hatte vor länger Zeit eine Verständigung mit Chega relativ klar ausgeschlossen.
Das Fiasko des «Sündenfalls» auf den Azoren
Einen solchen «Sündenfall» gab es aber schon auf den Azoren, einer Autonomen Region mit neun Inseln und knapp einer Viertelmillion Einwohnern. Nach der letzten Regionalwahl im Jahr 2020 bildete der regionale PSD-Chef, José Manuel Bolieiro, eine Minderheitsregierung, die im 57köpfigen Parlament noch auf die Tolerierung durch die insgesamt drei Abgeordnete von Chega und Iniciativa Liberal angewiesen war. Nun ist diese Lösung kollabiert. An diesem Montag beschloss Staatspräsident Rebelo de Sousa die Ansetzung vorgezogener Regionalwahlen am 4. Februar, nur fünf Wochen vor der Wahl des nationalen Parlaments.
Nun «ticken» die Azoren politisch nicht genau so wie das Land mit gut 10 Millionen Bewohnern insgesamt. Vielleicht geht von den Azoren aber doch eine Signalwirkung aus. PSD-Chef Luís Montenegro könnte etwa vor der Stimmabgabe für potenziell unzuverlässige rechte Rivalen warnen und die Sozialisten vor einem rechten Wortbruch, also davor, dass sich der PSD irgendwie doch mit den Rechtsextremisten verständigt.
Der Präsident vor einem turbulenten Ende der Amtszeit?
Für Präsident Rebelo de Sousa, könnten die letzten zwei Jahre seiner im März 2026 ablaufenden zweiten Amtszeit nicht leicht werden. Er stammt aus dem bürgerlichen Lager, er hatte einst den PSD gefühlt. Für ihn käme ein klarer Sieg dieser Partei natürlich gelegen, nach acht Jahren der meist guten, zuletzt aber zunehmend turbulenten Kohabitation mit sozialistischen Regierungen. In den besseren Zeiten machten manche PSD-Leute oft gute Miene zum bösen Spiel, weil sich der Präsident ihrer Ansicht zu gut mit den Sozialisten verstanden hatte. Nun hat der PSD die Chance, ans Ruder zu kommen, aber wohl nicht unter den Umständen, die sie diese Partei erwünscht hätte.