In der portugiesischen Politik war die Einwanderung in den letzten Jahrzehnten immer irgendwie präsent, und es gab darüber immer wieder Streit. Für linke und rechte Kräfte war dies letztlich aber kein zentrales Thema. Infolge von jüngeren Ereignissen hat sich dies plötzlich geändert.
Wohl nie zuvor hatten so viele Menschen in Portugal gemeinsam ihre Stimme gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit erhoben wie am letzten Wochenende in Lissabon. Eine wahrscheinlich fünfstellige Zahl von Personen beteiligte sich in der Hauptstadt an einer friedlichen Demonstration gegen Xenophobie und polizeiliche Übergriffe.
Am selben Tag versammelten sich aber auch einige hundert Personen bei einer Kundgebung der rechtsextremen Partei Chega, um nach einer härteren Gangart gegen Migranten zu rufen. Hatten in Portugal die Gegensätze in der Frage der Einwanderung eher geschwelt, so sind sie innert kurzer Zeit so offen zutage getreten wie noch nie.
Eine Grossoperation der Polizei und ihre Folgen
«Stellt uns nicht an die Hauswand» lautete das Motto der grossen Demonstration. Es erinnerte an eine kurz vor Weihnachten realisierte Grossoperation der Polizei in der Lissabonner Rua do Benformoso, in der die Migranten aus Bangladesh das Ambiente dominieren. Ohne akuten Anlass hatten Spezialkräfte der Polizei mehrere Dutzende von Männern dazu gezwungen, sich mit erhobenen Händen an Häuserwände zu stellen und sich durchsuchen zu lassen. Ein Mann trug ein Messer und etwas Droge bei sich, ein anderer war verdächtig, einige Diebstähle begangen zu haben, so die eher magere «Ausbeute» der Operation.
Diese war nach Angaben des Innenministeriums nicht mit der Regierung abgestimmt, was angesichts der absehbaren Aufregung verwunderlich klingen musste. Ministerpräsent Luís Montenegro, der eine bürgerliche Minderheitsregierung führt, rechtfertigte die Operation aber mit einem «Gefühl» der Unsicherheit in der Bevölkerung, obwohl ein Zusammenhang zwischen der stark gestiegenen Anzahl der Ausländer im Land und der Kriminalität nicht nachweisbar ist.
Schnell meldeten sich Kritiker mit Zweifeln an der Verhältnismässigkeit der Operation zu Wort. Wer sie verteidigte, mochte sich am Tag nach der jüngsten Demonstration gegen Ausländerfeindlichkeit bestätigt fühlen. Just in der Rua do Benformoso kam es zu Zusammenstössen zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Gruppen, bei denen sieben Personen leichte Verletzungen erlitten.
Eine «schöne Aktion», findet ein Bischof
Von einer «schönen Aktion» hatte nach der Demonstration der – linker Sympathien unverdächtige – Vorsitzende der Bischofskonferenz, Dom José Ornelas, gesprochen. Nicht nur Angehörige und Sympathisanten linker Parteien markierten Präsenz, sondern auch Migranten. Manche von ihnen schwenkten portugiesische Fahnen. Andere trugen Plakate, die auf den positiven Nettobeitrag der Einwanderer zur staatlichen Sozialversicherung verwiesen oder würdige Arbeitsbedingungen für Reinigungskräfte forderten.
Schliesslich fehlte es nicht an Erinnerungen an einen 43-jährigen Einwanderer aus Kap Verde, der im letzten Oktober in einem Afro-Quartier bei Lissabon nach einer polizeilichen Verfolgung infolge von Schüssen aus einer Dienstwaffe den Tod gefunden hatte. In diesem Ambiente konnten die Erinnerungen an die Nelkenrevolution von 1974 und die Rufe «nie wieder Faschismus» nicht fehlen.
«Stellt sie an die Hauswand», rief Chega-Chef André Ventura derweil auf einem zentralen Platz der Hauptstadt seinen Anhängern zu. So prallten die Gegensätze aufeinander. An jenem Wochenende seien «die Extreme» auf die Strasse gegangen, kommentierte Regierungschef Montenegro, und da sei die Regierung «das Element des Ausgleichs». Er bekam von linker Seite vorgeworfen, ein Problem mit der Wahrnehmung zu haben.
20 Jahre ist es her, da wünschte sich der damalige Staatspräsident, Jorge Sampaio, dass Portugal die Einwanderer so aufnehme, wie es seine eigenen ausgewanderten Landsleute im Ausland gern aufgenommen sähe. Aber dieser Diskurs ist wohl nicht mehr «in».