Obwohl die seit 2015 regierenden Sozialisten in Portugal gestärkt aus der Parlamentswahl im letzten Oktober hervorgingen, herrschen weniger klare Verhältnisse als vorher.
In den Parlamenten auf der iberischen Halbinsel haben letzte Woche bei gleich zwei wichtigen Abstimmungen die Enthaltungen den Ausschlag gegeben. In Spanien gelang Sozialistenchef Pedro Sánchez am Dienstag dank Enthaltungen die Wiederwahl zum Ministerpräsidenten. Nach demselben «Rezept» fand sich in Portugal am Freitag eine einfache Mehrheit für den Budgetentwurf der sozialistischen Minderheitsregierung von Regierungschef António Costa für dieses Jahr.
Einen Kuhhandel vermieden
Wie die Abstimmung in Portugal genau ausgehen würde, war zu Wochenbeginn noch unklar. Irgendwie würde sich für den Entwurf, der zum ersten Mal in der Geschichte der portugiesischen Demokratie einen Überschuss – nämlich von 0,2 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) – vorsieht, eine Mehrheit finden, so war die allgemeine Überzeugung. Und weil das am 6. Oktober letzten Jahres gewählte Parlament mit jetzt zehn Parteien so bunt ist wie nie zuvor, waren potenzielle Mehrheitsbeschaffer nicht knapp.
Die Parteien des bürgerlichen Lagers stimmten gegen den Entwurf. Eine Mehrheit fand sich dank den linken Parteien, deren Abgeordnete sich allesamt enthielten – allen voran die des Linksblocks (19 Sitze) und der Kommunisten (10 Mandate). Hätten sie ein Votum gegen das Budget angekündigt, hätten die Sozialisten wohl einen Kuhhandel mit kleineren Parteien einfädeln müssen. Allzu schwierig wäre das nicht gewesen, hatten sich die Sozialisten bei der Wahl doch 108 der insgesamt 230 Sitze gesichert, 22 mehr als bei der Wahl von 2015.
Nach jener Wahl hatte sich Costa mit Linksblock, Kommunisten und Grünen zusammengetan, um die bürgerlichen Regierungsparteien der Jahre 2011 bis 2015 in die Opposition zu verbannen. Er versprach der Bevölkerung des Euro-Krisenlandes, «das Blatt der Austerität zu wenden». Im Tausch gegen konkrete Detailzugeständnisse an Linksblock, Kommunisten und Grüne sicherte er sich deren Ja-Stimmen für alle vier Budgets der vergangenen Legislaturperiode. Nun aber stehen die Sozialisten allein. Schon kurz nach dem Gang an die Urnen war klar, dass es zu keiner Neuauflage der als «geringonça» – sinngemäss Wackelbau – bekannten Konstrukts der vorherigen vier Jahre kommen würde.
Die Kosten für die Quadratur des Kreises
Mit Finanzminister Mário Centeno war in jenen Jahren die Quadratur des Kreises gelungen. Costas Regierung nahm krisenbedingte Kürzungen der Saläre im Staatsdienst und Erhöhungen der Steuern zurück, sie hob auch die niedrigen Altersrenten und einige andere Sozialleistungen an. Es gelang dennoch, entgegen einer anfangs ausgeprägten Skepsis bei der EU, das überhöhte Staatsdefizit gemäss den Vorgaben der EU zu drücken.
Rückenwind kam vom starken Wirtschaftswachstum, insbesondere einem Touristenboom. Zu einem Teil gelang der Defizitabbau aber auch mit einer «neuen Austerität». Der Staat praktizierte Enthaltsamkeit bei den eigenen Investitionen und geizte bei den öffentlichen Diensten, deren Verfügbarkeit und Qualität sich oft verschlechtert hat. Gerade in guten wirtschaftlichen Zeiten lässt sich das politisch schwer «verkaufen» – obwohl Centeno verständlicherweise auch die öffentliche Schuld drücken will. Sie soll in diesem Jahr sinken, am Jahresende aber immer noch mit rund 116 Prozent des BIP zu Buche schlagen. Und da soll der Anteil der Steuern und Sozialabgaben am BIP noch leicht steigen, nämlich auf gut 35 Prozent – obwohl einige punktuelle steuerliche Erleichterungen geplant sind.
An welches Spital wenden sich Mütter und Väter aus Lissabons südlichem Vorort Almada, wenn ihre Kinder am Wochenende erkranken? Almada hat ein grosses und vollständig ausgestattetes Spital. In den letzten Monaten ging das dortige Spital Garcia de Orta aber laufend durch die Nachrichten, weil die pädiatrische Notaufnahme immer wieder schliessen musste, zumal Kinderärzte fehlten. Und das ist nur ein Beispiel für Unzulänglichkeiten im staatlichen Gesundheitswesen. Ministerpräsident Costa macht es sich sehr einfach, wenn er auf einschlägige Kritik mit dem Hinweis auf Tausende schon erfolgte Neueinstellungen reagiert, denn davon allein werden die Wartezeiten in den Notaufnahmen oder für Untersuchungen bei Ärztinnen und Ärzten bestimmter Fachgebiete nicht kürzer.
Zu den beliebtesten Massnahmen der letzten Regierung gehört die starke Verbilligung der Monatsabonnements. Sie kosten in den Grossräumen von Lissabon und Porto nur noch 40 Euro pro Monat, womit manche Pendler 20, 40 oder gar über 100 Euro weniger zahlen als früher. Viele Menschen sind tatsächlich vom Auto auf Busse, Bahnen und Boote umgestiegen, nur hat sich das Angebot nicht spürbar verbessert. «Wenn Busse und Züge fehlen, kommen die Menschen nicht mit dem Haushaltsüberschuss zur Arbeit», sagte in der Budgetdebatte der kommunistische Abgeordnete Bruno Dias.
Früher fehlten Jobs, jetzt fehlt Wohnraum
Während Finanzminister Centeno nun mit dem Überschuss glänzen will, bemängelten die Parteien links der Sozialisten, dass für 2020 ein Anstieg der Saläre im Staatsdient um 0,3 nur einkalkuliert ist. Aber vielleicht ist das nur Teil einer linken Inszenierung. Es gilt als ausgemachte Sache, dass die Regierung etwas mehr gibt, damit nach den Detailberatungen auch die Endversion des Budgets eine parlamentarische Mehrheit findet.
Wie gut geht es dem einstigen Krisenland, das 2011 einen Notkredit der internationalen Troika aufgenommen und in den Jahren 2011 bis 2014 ein hartes Hilfsprogramm absolviert hatte? Seine Wirtschaft wächst, wenngleich nicht gar so stark als die einiger anderer EU-Staaten. War die Arbeitslosenquote im Krisenjahr 2013 auf über 16 Prozent gestiegen – nur dank massenhafter Emigration war sie nicht noch höher –, so ist sie inzwischen auf weniger als 7 Prozent gefallen. In der Zeit vor Weihnachten waren die Umsätze des Detailhandels so hoch wie nie zuvor.
Fehlten vor wenigen Jahren vor allem Jobs, so fehlt jetzt erschwinglicher Wohnraum. Eine Revision des Mietrechts in der Troika-Zeit hat den Weg zu teils drastischen Mieterhöhungen geebnet. Nun hat der Tourismus zu einer Verknappung des Angebots beigetragen und die Mieten weiter in die Höhe getrieben. Er lässt die Unterschiede der Kaufkraft von Ausländern und Einheimischen zutage treten – und zeigt den Menschen in Portugal, dass ihr Land immer noch zu den ärmeren in der EU gehört.