Am 22. April hat unsere Umweltministerin Doris Leuthard die in Paris beschlossene Klimakonvention und das "Paris Agreement" unterzeichnet. Ihr Tenor: Freude herrscht. In Wirklichkeit sind die Klimaziele der Schweiz ziemlich mickrig und völlig ungenügend.
Ankündigung mit Fragezeichen
Es sei ein ehrgeiziges, aber durchaus erreichbares Ziel, meinte Doris Leuthard, als sie Ende Februar vorigen Jahres die Zielvorgaben der Schweizer Klimapolitik für die Jahre nach 2020 vorstellte: Bis 2030 will die Schweiz ihre Treibhausgasemissionen um 50 Prozent unter das Niveau von 1990 senken, davon mindestens 30 Prozent im Inland.
Der erste Teil dieser Ankündigung klingt nicht schlecht: Eine ganze Reihe von Ländern, insbesondere einige der grössten Treibhausgas-Schleudern, streben weitaus geringere nationale Reduktionsziele an. So wollen die EU-Länder ihre Emissionen bis 2030 um 40 Prozent vermindern, die USA, Australien und Kanada (auf den Stand von 1990 umgerechnet) gar weniger als 20 Prozent, während China und Indien sich noch auf gar keine konkrete Reduktionsziele festlegen wollen.
Relativiert wird das Schweizer Klimaziel allerdings durch die Einschränkung, dass lediglich 30 Prozent im Inland eingespart werden sollen. Da die Schweiz nach geltendem CO2-Gesetz ihre Emissionen bis 2020 ohnehin um 20 Prozent reduzieren will, muss sie zwischen 2020 bis 2030 bloss noch 1 Prozent pro Jahr einsparen.
"Die Schweiz muss dringend mehr tun"
Dass dieser Richtwert bei weitem nicht ausreicht, weiss auch Doris Leuthard; sie redet denn auch bloss von einem grossen Schritt in die richtige Richtung und tut ansonsten so, als sei damit schon ein Blumentopf gewonnen. Selbst das ihr unterstellte Bundesamt für Umwelt (BFU) gibt unumwunden zu, dass man selbst mit dem geplanten, massiv verschärften CO2-Gesetz noch weit entfernt sei von dem, was notwendig sei, um die Auswirkungen des Klimawandels "in vertretbaren Grenzen" zu halten. Die 66 in der Klimaallianz Schweiz zusammengeschlossenen Umwelt- und Entwicklungsorganisationen fordern denn auch unmissverständlich: "Die Schweiz muss dringend mehr tun." Um ihren Verpflichtungen gerecht zu werden, müssten die Emissionen bis 2030 allein schon im Inland um mindestens 60 Prozent reduziert werden.
Demgegenüber argumentieren die Wirtschaftsverbände um economiesuisse, die FDP und SVP sowie etliche Politiker der CVP und GLP, dass ein schärferes Klimaziel der Schweizer Wirtschaft nicht zuzumuten sei, und dass es doch sinnvoller sei, die Treibhausgasemissionen dort zu reduzieren, wo der gleiche Effekt günstiger zu haben sei als in der Schweiz, also im Ausland. Und ohnehin betrage der Anteil der Schweiz an den globalen Treibhausgasemissionen gerade einmal 0,1 Prozent, sei also nahezu vernachlässigbar.
Die Schweiz gehört zur Spitzengruppe der CO2-Verschwender
Wie borniert und verantwortungslos solches Gerede ist, zeigt sich schnell, wenn man die einzige moralisch vertretbare Berechnungsbasis zum Massstab nimmt: den CO2-Verbrauch pro Kopf der Bevölkerung. Da liegt die Schweiz mit 7,3 Tonnen pro Kopf (Stand 2011) auf Rang 73 von insgesamt 210 Staaten, also schon deutlich im vorderen Mittelteil der Rangliste.
Noch sehr viel schlechter schneidet die Schweiz ab, wenn man die Emissionen nicht nach dem gängigen Produktions-, sondern nach dem gerechteren Konsumprinzip berechnet. Die CO2-Emissionen werden bei dieser Rechnungsweise nicht dem Land angerechnet, das diese Güter und Dienstleistungen produziert, sondern richtigerweise dem Land, in dem diese konsumiert werden. Laut einer Studie des Wegener Center der Universität Graz, die im November letzten Jahres in der Fachzeitschrift "Nature Climate Change" publiziert wurde, müsste sich die Schweiz drei Mal mehr anrechnen lassen, nämlich 23 Tonnen pro Kopf. Sie würde damit nach Kuweit (35,4), Australien (29,4), den USA (27,9) zur absoluten Spitzengruppe der Treibhausgas-Verschwender gehören. China, das eine riesige Menge CO2-intensiver Güter nicht für den Hausgebrauch, sondern für unseren Konsum im Westen produziert, kommt nach dieser Zählweise auf fast schon bescheidene 8,4 Tonnen pro Kopf.
Fragwürdige Zuordnung
Im Klartext: Wie praktisch alle hochentwickelten Industrienationen schönt auch die Schweiz ihre CO2-Bilanz auf Kosten jener Länder, die all jene CO2-intensiven Güter produzieren, die wir in der Schweiz dann konsumieren und die einen wesentlichen Teil unseres Lebensstandards ausmachen.
Es gibt aber kein vertretbares Argument, warum Amerikaner, Australier, die meisten Europäer dreimal mehr Abgase in die Luft blasen dürfen als die Milliarde Chinesen und zehn, fünfzehn Mal mehr als die Milliarde Inder oder die Bewohner der meisten afrikanischen, pazifischen und karibischen Länder.
Rhetorische Pirouetten
Böse Zungen behaupten denn auch, am ambitiösesten würden die Rechenkünstler des BFU arbeiten, um die bescheidenen Fortschritte zu Erfolgsmeldungen schönzurechnen. (Allerdings ist das weder eine Schweizer Spezialität, noch sind die Erfolgszahlen in irgendeiner Weise gefälscht; sie nutzen bloss alle möglichen Schlupflöcher, alle erlaubten Tricks und alle rhetorischen Pirouetten.) Schon bei den Vorgaben zum Kyoto-Protokoll, das für die Periode 2008 bis 2012 ein Minus von 8 Prozent gegenüber 1990 vorsah, liefen einige Bereiche völlig aus dem Ruder, so etwa die Sektoren Verkehr und Industrie, die zusammen für immerhin 50 Prozent der Emissionen verantwortlich sind. Der Sektor Industrie schaffte gerade einmal ein Minus von 2 Prozent, während der Verkehr, der seine Emissionen um 10 Prozent hätte mindern sollen, gar um 11 Prozent zulegte.
Insgesamt haben die Emissionen fossiler Brenn- und Treibstoffe, um die es ja in der Hauptsache geht, über alle Bereiche hinweg um lediglich 2 Prozent abgenommen, von 53,7 im Jahr 1990 auf 52,7 Mio. Tonnen im Mittel der Jahre 2008 bis 2012.
Rechenkunststücke
Um diese, wie das BFU selber schreibt, "ernüchternde Bilanz" wenigstens zu einem halben Erfolg aufzuhübschen, zieht das BFU in seiner Broschüre "Schweizer Klimapolitik auf einen Blick" alle rhetorischen Register. Obwohl das BIP im Vergleich zu 1990 um 36 Prozent, die Gebäudefläche um 31 Prozent, der Verkehr um 36 Prozent und die Bevölkerung um 19 Prozent zugelegt haben, sei es gelungen die Emissionen zu "stabilisieren". Und: Ohne die klimapolitischen Massnahmen wäre das Emissionsniveau bis 2012 gar auf 57 Mio. Tonnen angestiegen: Gemessen an dieser fiktiven Grösse habe sich das Emissionsvolumen also nicht bloss um eine, sondern um 4,5 Mio Tonnen reduziert. Bloss: Von all diesen konjunktiven Rechenkunststücken steht im Kyoto-Protokoll und in den diversen CO2-Gesetzen kein Wort. Die Schweiz hat sich ungeachtet aller Rahmenbedingungen verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen um 8 Prozent, also um 4,3 Millionen Tonnen, zu senken. Punkt. Schluss.
Um dennoch auf dieses Reduktionsziel zu kommen, rechnet das BFU unter anderem die sogenannte CO2-Senke der Waldbewirtschaftung (-1,5 Mio.t) und die Emissionsreduktionen im Ausland durch den Zukauf von Zertifikaten (-3 Mio. t) dazu. Das ist zwar gemäss dem Kyoto-Protokoll erlaubt, hat aber faktisch nur wenig mit der tatsächlichen Verminderung der Treibhausgasemissionen in der Schweiz zu tun.
Die bittere Wahrheit der Schweizer Klimapolitik
Ob die Schweiz unter diesen Umständen ihr Klimaziel von minus 20 Prozent gegenüber 1990 bis im Jahr 2020 erreicht, steht derzeit in den Sternen. Erst recht gilt das aber für das Reduktionsziel von insgesamt 50 resp. 30 Prozent im Inland bis zum Jahr 2030, das mit dem zukünftigen CO2-Gesetz und einer Reihe weiterer Massnahmen erreicht werden soll. Schon bevor der Entwurf zur Revision des CO2-Gesetzes Mitte Jahr in die Vernehmlassung gehen wird, haben die bürgerlichen Parteien und die Unternehmerverbände um economiesuisse und Swissmem Widerstand angemeldet. Ob das Gesetz in Anbetracht der neuen Mehrheitsverhältnisse in den eidgenössischen Räten überhaupt eine Chance hat, ist mehr als ungewiss.