Die Champagnerkorken werden knallen, es wird einige schöne Sonntagsreden von Ban Ki Moon, von Frankreichs Ministerpräsident François Hollande, vom kanadischen Premierminister Justin Trudeau und einigen anderen wichtigen Staatsmännern geben. Vielleicht wird auch unsere Umweltministerin Doris Leuthard ihre Begeisterung kundtun. Am Ende werden alle Delegierten applaudieren, die einen lauter, die anderen, etwa die Delegierten der «Least Developed Countries» (LDCs) oder der «Alliance of Small Island States» (AOSIS), vermutlich nur sehr verhalten.
Denn: Wirklich beschlossen ist eigentlich noch gar nichts. Der neue Vertrag tritt nämlich erst dann in Kraft, wenn ihn 55 Länder, die zusammen 55 Prozent der Emissionen ausmachen, ratifiziert, also in ihre nationale Gesetzgebung überführt haben. Ob er also tatsächlich zustande kommt und vor allem bis wann, weiss niemand. So dauerte es über neun Jahre, bis das 1997 beschlossene Kyoto-Protokoll im Februar 2005 endlich in Kraft treten konnte – und das, obwohl die hartnäckigsten Bremser, die USA, Australien, Kanada oder auch China und Indien, damals gar nicht mit von der Partie waren.
Und seit dem Klimagipfel in Montreal 2005 dauerte es auch schon wieder zehn Jahre, bis die Klimadiplomaten es im vergangenen Jahr überhaupt schafften, sich auf einen Vertragstext zu einigen. (Kleine, aber nicht ganz unwichtige Nebenbemerkung: Selbst wenn das Abkommen irgendwann in Kraft treten sollte, kann jedes Land innerhalb eines Jahres ohne weiteres wieder aus dem Vertrag aussteigen.) Man braucht kein alarmistischer Pessimist zu sein, um zu ahnen, dass es noch einmal acht oder zehn Jahre dauern wird, bis das «Paris Agreement» wirklich in Kraft tritt.
Was steht eigentlich in dem Vertrag?
Zwar wollen die Länder gemäss Paragraph 17 «Anstrengungen unternehmen, um den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen». Weil aber die von den einzelnen Ländern bislang «angebotenen» Reduktionsziele noch nicht einmal ausreichen, um die Erderwärmung auf den 2-Grad-Pfad zu bringen, sondern eher in Richtung 3 Grad und mehr weisen, soll der Gesamtklimanutzen 2018 und 2023 überprüft und sollen die Klimaziele entsprechend verschärft werden. Dies soll die Länder «ermutigen», ihre Reduktionsziele zu erhöhen.
Wie dieses «Intended Nationally Determined Contributions» (INDCs) genannte Verfahren funktionieren soll, ist noch völlig ungeklärt. Es eröffnet den einzelnen Ländern jede Menge an Tricksereien und Schlupflöchern und wird, wie leicht vorauszusehen ist, in den verschiedenen Arbeitsgruppen zu jahrelangem erbittertem Hickhack führen.
Denn die ermittelten globalen Reduktionsziele sind völlig unverbindlich. Das Prinzip der NDCs ist Freiwilligkeit: Jedes Land entscheidet in eigener Kompetenz über seine Reduktionsziele. Insofern sind auch alle Reduktions-«Angebote» nichts als Absichtserklärungen, die von den Länderparlamenten erst noch beschlossen werden müssen. Was dies angesichts der politischen Situation in zahlreichen Industrie- und Schwellenländern bedeutet, kann man sich leicht ausmalen.
Basar der Reduktions-«Angebote»
Was da auf der Ebene der internationalen Klimadiplomatie zu erwarten ist, zeigen die derzeitigen nationalen Reduktions-«Angebote»: Während fast alle Länder ihre Reduktionsziele am Basisjahr 1990 messen – die EU etwa will ihre Emissionen im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent senken, die Schweiz (theoretisch) um 50 Prozent –, wählen die USA für ihr Reduktionsangebot von 28 Prozent 2005 als Basisjahr. Verglichen mit 1990 wäre das nur ein Minus von 19 Prozent. Japan bezieht sich auf das Jahr 2013.
Andere Länder, etwa Südkorea, wollen ganz auf ein Basisjahr als Vergleichsmassstab verzichten. Stattdessen extrapolieren sie ihre derzeitigen (wachsenden) CO2-Emissionen in die Zukunft und wollen ihre Reduktionsziele an diesen rein fiktiven zukünftigen Zahlen bemessen. China bietet gar lediglich an, die CO2-Emissionen nur noch bis 2030 steigen zu lassen; wie stark sie bis dann steigen werden und danach sinken sollen, bleibt offen. Indien gibt für seinen Peak nicht einmal ein Datum an. Beide Länder wollen statt dessen ihre CO2-Intensität, also das Verhältnis von Emissionen zur Wirtschaftsleistung, verbessern.
Utopisches Freiwilligkeits-Prinzip
Unklar bleibt nicht nur, wie man dieses Zahlen-Tohuwabohu auf einen vergleichbaren Nenner bringen könnte, ob und wie sogenannte CO2-Senken wie Waldaufforstungsprogramme eingerechnet werden sollen. Ebenso schleierhaft ist, wie man die Emissions-Grossmächte, die mit härtesten Bandagen um ihre Wirtschaftsinteressen kämpfen, dazu bewegen könnte, freiwillig eine faire Verteilung der Klimalasten zu akzeptieren.
Und zu guter Letzt haben die USA durchgesetzt, dass mit dem Pariser Abkommen «keine Grundlage für Haftung und Schadenersatz geschaffen wird». Mit dem Verzicht auf jegliche Sanktionen wurde dem Klimaabkommen auch noch der letzte scharfe Zahn gezogen.
Unverminderte Erderwärmung
Der Kampf um die globalen Reduktionsziele ist neben dem Streit um den Klimafonds der vielleicht wichtigste Teil des Pariser Abkommens. Daneben gibt es zahlreiche weitere Verhandlungsstränge, um die seit Jahren heftig gerungen wird, so den Clean Developement Mechanism (CDM) um den Zertifikatehandel, um Massnahmen in den Bereichen der Landwirtschaft und des Waldraubbaus oder den Einbezug der Emissionen des Flug- und Schiffsverkehrs in den Klimaschutz. Bei kaum einem dieser Verhandlungsstränge sind in den letzten Jahren namhafte Fortschritte erzielt worden, obwohl verbindliche Massnahmen in diesen Bereichen wesentlich zum Klimaschutz beitragen.
Während die Staatsmänner und -frauen in New York sich am kommenden Freitag selber feiern und die Unterzeichnung des Paris Agreement als sensationellen Durchbruch in der Klimapolitik bejubeln, steigen die CO2-Emissionen unaufhaltsam weiter: Die CO2-Konzentration nimmt in der Atmosphäre jedes Jahr um rund 2,2 ppm (parts per million) zu.
Wenn nicht endlich radikal gehandelt statt trickreich geredet wird, wird in zehn oder fünfzehn Jahren jener kritische Schwellenwert erreicht sein, ab dem es zu verheerenden, nicht mehr steuerbaren und vor allem irreversiblen Folgen für das globale Klimasystem kommt. Von Wolf Biermann stammt der trotz seiner derzeitigen konservativen Verwirrung immer noch richtige Satz: «Wer eine Niederlage in einen Sieg umlügt, bereitet nur seine nächste Niederlage vor.»