
Trump lässt die Ukraine fallen und wendet sich von Europa ab. Der Kontinent muss sicherheitspolitisch rasch auf eigene Beine kommen. Und die Schweiz gehört dazu. Sie liegt nun mal mitten in diesem Europa, das sich sehr bald stark verändern muss.
Die Weltpolitik wird gerade kräftig durchgeschüttelt. Ausgelöst hat den Schock der amerikanische Präsident mit seinem spektakulären, aber eigentlich nicht völlig überraschenden Seitenwechsel. Schon vor der Wahl hat er sich ruppig von der Nato und Europa distanziert. Das amerikanische Engagement im westlichen Verteidigungsbündnis ist in seinen Augen nichts anderes als ein Deal. Er findet diesen für die USA zurzeit nicht vorteilhaft. «Sie zahlen ihre Rechnungen nicht», meinte er mit Blick auf die europäischen Partner; also werde er sie nicht beschützen, sondern die Russen im Falle eines Angriffs auf Europa «ermutigen zu tun, was immer sie wollen».
Das erschien damals als typisch Trumpsche Entgleisung bei der Aufheizung des Wahlkampfs. Doch das dramatische, Schlag auf Schlag folgende Umsteuern der jetzigen US-Regierung zeigt, auch wenn Trumps Äusserungen oft eine kurze Halbwertszeit haben, dass die Brüskierung Europas zum Kern der neuen Politik gehört: Trump nennt Selenskyj einen Diktator ohne demokratische Legitimität. Er hat ihm gar vorgeworfen, den Krieg begonnen zu haben (bei dieser Ungeheuerlichkeit hat Trump nun halbwegs zurückbuchstabiert).
Die Teilnahme Selenskyjs an Verhandlungen zwischen USA und Russland, die über die Zukunft der Ukraine entscheiden sollen, findet Trump im Übrigen nicht nötig – genauso wenig wie die der Europäer. Mit der Ukraine will er hingegen einen bilateralen Deal machen: die Hälfte der im Land schlummernden Rohstoffe als Entschädigung für geleistete amerikanische Hilfe (deren Geldwert Trump willkürlich aufbläht). Bei der Absicherung eines Waffenstillstands aber sind die USA raus; dafür sollen allein die Europäer einstehen.
Trump hat für seinen Kurswechsel zwei Arten von Gründen. Zum einen mag er die Europäer nicht. Sie nerven ihn mit ihrer Rhetorik von wertebasierter Politik, ihrer Pseudo-Entschlossenheit und dem ganzen Gutmenschen-Gehabe. Seine Sympathie gilt den Orbáns, Ficos, Le Pens, Melonis, Farages und Weidels.
Zum andern ist Europa in seinem Weltbild ganz einfach nicht mehr wichtig. Für ihn kommt es allein darauf an, dem aufstrebenden China die Stirn zu bieten. Und dazu muss er seine geopolitische Russland-Front entkrampfen. Trump sucht die Nähe zu Putin, der ihm ohnehin als «starker Mann» mächtig imponiert, um dessen Allianz mit China aufzusprengen.
Ob aber Trump in der politischen Gewichtsklasse der Putins und Xis überhaupt mithalten kann, wird sich über kurz oder lang zeigen. Wahrscheinlich wird dies für den Mann im Weissen Haus zu einem harten Test. Doch im Moment spielt dessen Resultat noch keine Rolle: Der amerikanische Kurswechsel ist im Gang. Die Ukraine wird nicht nur fallengelassen, sie soll auch kolonialistisch ausgepresst werden. Europa findet sich – schneller als erwartet – weitgehend oder vielleicht sogar ganz auf sich allein gestellt.
Unversehens sind die kürzlich noch in die Zukunft verweisenden Appelle, Europa müsse selbst für seine Sicherheit sorgen, an die Spitze der Prioritäten gerückt. Prädestinierte Akteure für die Ertüchtigung des Kontinents sind die EU und die europäischen Nato-Mitglieder. Sie müssen nun in sehr kurzer Zeit ihrerseits eine fundamentale Wende hinlegen und Europa entscheidungs-, handlungs- und verteidigungsfähig machen. Noch stehen die Europäer unter Schock. Ihre gemeinsame Reaktion auf Trumps Verrat muss aber bald klare Konturen gewinnen.
Und mittendrin die Schweiz, die sich nun endlich als Teil Europas verstehen und bekennen muss. Die Bundespräsidentin hat mit ihrer Reaktion auf die Münchener Rede des US-Vize J. D. Vance nicht den Eindruck gemacht, sie hätte die Tragweite des aktuellen Geschehens verstanden. Offensichtlich versuchte sie mit ihrer positiven Deutung der Vance-Rede eine etwas verdruckste Anbiederung.
Wenn Europa nun aufwacht, muss auch die Schweiz sich einen Ruck geben. Sie kann sich nicht von gemeinsamen Anstrengungen des Kontinents dispensieren. Die Doktrin der bewaffneten Neutralität muss auf den Prüfstand mit dem klaren Ziel, die Schweiz neu zu positionieren. Mit der sicherheitspolitischen Trittbrettfahrerei ist es vorbei.