
Die Frage, ob Nicht-EU-Staaten in den europäischen Verteidigungsfonds einbezogen werden sollten, spaltet die EU. Während Deutschland eine breitere Zusammenarbeit mit Ländern wie Grossbritannien, Norwegen, der Schweiz und der Türkei befürwortet, plädiert Frankreich für eine ausschliessliche Nutzung der Mittel durch EU-Mitglieder.
Die Debatte weckt nicht nur politische, sondern auch sicherheitspolitische Bedenken – besonders im Hinblick auf die geopolitische Lage in der Ägäis und den Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland.
Die europäische Verteidigungspolitik steht erneut vor einer grundlegenden Frage: Sollten auch Nicht-EU-Staaten von den Verteidigungsfonds der Union profitieren? Diese Frage stellt sich im Kontext eines neuen Vorschlags der Europäischen Kommission, der vorsieht, 150 Milliarden Euro in die Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie zu investieren und indirekt bis zu 800 Milliarden auszulösen. Der Zweck dieses Fonds ist es, die europäische Sicherheitsarchitektur zu festigen und die Union militärisch unabhängiger zu machen. Doch ein zentraler Streitpunkt bleibt, ob diese Mittel auch Staaten jenseits der EU-Grenzen zugänglich sein sollten.
Deutschland spricht sich klar dafür aus, den Verteidigungsfonds auch mit Ländern wie Grossbritannien, Norwegen, der Schweiz und der Türkei zu teilen. Die deutschen Vertreter argumentieren, dass diese Staaten wesentliche Partner in der internationalen Sicherheitsarchitektur sind und enge geopolitische sowie wirtschaftliche Verbindungen zur EU pflegen. Deutschland fordert deshalb einen internationalen Ansatz, der eine stärkere Zusammenarbeit und eine umfassendere Verteidigungskooperation fördert.
Der scheidende deutsche Kanzler Olaf Scholz betonte kürzlich, dass die enge Partnerschaft mit diesen Ländern den europäischen Sicherheitsbereich insgesamt stärken würde. Schliesslich teilen diese Länder viele westliche Werte und sind militärisch bestens ausgebildet, sodass die Zusammenarbeit mit ihnen die EU in ihrer Verteidigungsfähigkeit unterstützen würde. Deutschland sieht in der Beteiligung dieser Staaten an den Verteidigungsfonds eine Möglichkeit, eine breitere, stärkere westliche Allianz zu schaffen, die auf gemeinsamer Sicherheit und gemeinsamen Interessen basiert.
Seit Bismarck Kanzler war, galt – mindestens bis zu Angela Merkel –, dass eine deutsche Aussenpolitik nicht ohne die Türkei konzipiert werden kann. Wenn Deutschland zwischen der Türkei und Griechenland wählen muss, dann wählt sie immer die Türkei. Daher kommt das, was Scholz sagt, kaum überraschend.
Frankreich hingegen stellt sich gegen diesen breiteren Ansatz und betont, dass die Mittel des Verteidigungsfonds ausschliesslich für EU-Mitglieder vorgesehen sein sollten. Präsident Emmanuel Macron sieht darin die Notwendigkeit, die Unabhängigkeit der Union zu wahren. Frankreichs Argumentation basiert auf der Auffassung, dass Europa seine eigene Verteidigungsindustrie und -kapazitäten stärken muss, ohne sich auf externe Partner ausserhalb der Union zu verlassen. Ein Ausbau der Zusammenarbeit mit Nicht-EU-Staaten könnte die strategische Autonomie der Union gefährden und zu einer Abhängigkeit führen, die langfristig das europäische Sicherheitsprojekt schwächen würde.
Frankreich fürchtet zudem, dass eine Einbeziehung von Ländern wie der Türkei, die geopolitisch nicht immer im Einklang mit den Interessen der EU stehen, zu Spannungen führen könnte. Die Türkei, die sowohl NATO-Mitglied als auch regionaler Akteur im Nahen Osten und in der Ägäis ist, hat in den letzten Jahren eine zunehmend eigenständige Aussenpolitik verfolgt. Insbesondere die politischen Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland in der Ägäis könnten durch eine verstärkte Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich weiter angeheizt werden.
Im Moment herrscht zwischen den beiden NATO-Ländern bei den Luftstreitkräften etwa Parität. Zur See ist die Seefahrernation Griechenland überlegen, während die Türkei stärkere Bodentruppen hat. Im berühmten Artikel 5 des NATO-Vertrages steht in einer Fussnote, die auf Betreiben Deutschlands eingefügt wurde, dass ein Krieg zwischen zwei NATO-Ländern kein Bündnisfall sei. Das bedeutet, dass die NATO Griechenland in einem solchen Fall im Regen stehen lassen kann, was sie, so die gängige Überzeugung in Griechenland, auch tun würde.
Die griechischen Verteidigungsausgaben liegen denn auch schon heute weit über dem von der NATO gesetzten Ziel von 2% der Wirtschaftsleistung (BIP) und trugen das ihrige zur Finanzkrise und der Verarmung breiter Kreise bei.
Wenn nun die EU die Aufrüstung der Türkei fördert, dann trägt sie mindestens zur Intensivierung des Rüstungswettlaufs in der (unstabilen) Ostägäis bei, wenn nicht sogar zu einer militärischen Destabilisierung. Ich kann mich an einen der gefährlichsten Zwischenfälle erinnern, den ich aus nächster Nähe miterlebte: Ohne die besonnene Reaktion des damaligen Ministerpräsidenten Kostas Simitis wären die beiden Armeen wohl aufeinandergeprallt.
Wie funktioniert der Verteidigungsfonds?
Die Finanzierung dieses Fonds erfolgt durch Mittel, die auf den internationalen Finanzmärkten aufgenommen werden. Es ist geplant, diese Mittel über Anleihen oder andere Finanzinstrumente zu mobilisieren, wobei die EU-Mitgliedstaaten die Rückzahlung garantieren. Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten im Wesentlichen für die Rückzahlung der aufgenommenen Gelder verantwortlich sind. Sie bekommen diese denn auch nicht gratis, wenngleich zu einem günstigen Zins, da alle Mitglieder garantieren.
Die Finanzierung des Verteidigungsfonds durch internationale Finanzmärkte und die Garantie der EU-Mitgliedstaaten für die Rückzahlung der aufgenommenen Mittel erinnert stark an das Modell, das bei der Griechenlandrettung 2010 angewendet wurde. Damals stand Griechenland vor einer akuten Schuldenkrise und musste durch massive Kredite von anderen EU-Staaten und internationalen Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) gerettet werden. Diese Kredite wurden durch die Garantie der EU-Mitgliedstaaten abgesichert, was zu einer erheblichen Erhöhung der Schuldenlast führte.
Die EU-Mitgliedstaaten garantierten die Aufnahme von Schulden und ermöglichten Griechenland so, seine Zahlungsfähigkeit zu erhalten. In der Verteidigungsfonds-Initiative geht es ähnlich darum, dass die EU-Mitgliedstaaten als Garanten für die Rückzahlung der aufgenommenen Mittel auftreten. Wie bei der Griechenlandrettung bleibt die Frage, wie nachhaltig diese Finanzierungsstrategie langfristig ist. Zwar ist der Zweck des Verteidigungsfonds eine gemeinsame europäische Sicherheit, aber die Mitgliedstaaten könnten sich schnell mit einer hohen Schuldenlast konfrontiert sehen, die ebenfalls über Jahre hinweg abbezahlt werden muss.
Wie bei der Griechenlandrettung könnte auch im Falle des Verteidigungsfonds der Druck auf die Steuerzahler steigen, um die zurückgeholten Mittel zu finanzieren – entweder durch Steuererhöhungen oder durch eine schleichende Entwertung des Geldes, etwa durch Inflation. Dieses finanzielle System ist nicht nur politisch heikel, sondern könnte auch wirtschaftlich problematische Auswirkungen haben, wenn es zu einer weiteren Belastung der öffentlichen Haushalte kommt.
Fazit
Eine Einbeziehung von Nicht-EU-Staaten in den europäischen Verteidigungsfonds bedroht die interne Kohärenz der EU und betrifft auch ihre Aussenbeziehungen. Besonders die Türkei, ein NATO-Mitglied, das eine expansionistische Aussenpolitik verfolgt und weder eine lange noch eine erfolgreiche demokratische Tradition hat, stellt einen Risikofaktor dar, wenn es darum geht, wie der Verteidigungsfonds die europäische Sicherheit stärken kann, ohne bestehende Spannungen zu verschärfen.
Zudem zeigt die Finanzierung des Verteidigungsfonds Parallelen zur Griechenlandrettung, bei der EU-Staaten durch die Garantie von Schulden den Weg für die notwendigen Mittel ebneten. Die Rechnung werden in der einen oder anderen Art die Bürger begleichen.