
Im kommenden Jahr soll es soweit sein. Dann soll die 300 Kilometer lange Zugverbindung zwischen dem Pazifik und dem Atlantik voll betriebsbereit sein. Der Korridor zwischen den Ozeanen, auch «Kanal ohne Wasser» genannt, wird eine Ergänzung zum chronisch überlasteten Panamakanal sein, der immer mehr mit Wassermangel zu kämpfen hat.
Schon 1888 wurde unter der Leitung des deutschen Bauingenieurs Carl von Wagner eine gut 300 Kilometer lange Eisenbahnstrecke durch den Isthmus von Tehuantepec gebaut – also mehrere Jahre vor Baubeginn des Panamakanals. Von Wagner hatte mit enormen Problemen zu kämpfen. Der Dschungel, in dem die Schienen gelegt wurden, war durchseucht mit Cholera und Sumpffieber. 1893 waren die Bauarbeiten beendet.
Doch die Schienenverbindung verrottete mit den Jahren. Mit dem Bau des Panamakanals schien die Zugverbindung im Süden Mexikos nun überflüssig. Erst zu Beginn dieses Jahrtausends wurden wieder ehrgeizige Pläne zur Reaktivierung des Schienenstrangs ausgearbeitet. Vorangetrieben wurde das Eisenbahnprojekt vor allem vom letzten mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador von der Mitte-links-Partei «Moreno». Seine Amtszeit ging im letzten Herbst zu Ende. Seine Nachfolgerin und Parteikollegin Claudia Sheinbaum hat nun die Aufgabe, das Projekt zu Ende zu führen.
«Corredor Interoceánico»
Stolz verkündete sie im Februar: «Wir haben schon ein Datum. In der ersten Hälfte 2026 wird der Korridor zu 100 Prozent fertig sein.» Der «Corredor Interoceánico» verbindet die beiden Ozeane an der engsten Stelle Mexikos.
Die Zugfahrt zwischen den beiden Tiefseehäfen Salina Cruz am Pazifik und Coatzacoalcos am Golf von Mexiko beträgt sieben Stunden. Zwar wird die Strecke schon seit einigen Monaten mit Personenzügen einmal täglich befahren, doch noch steht sie für den Transport riesiger Mengen Container noch nicht voll bereit. Die Güterzüge, die ab dem nächsten Jahr verkehren, können je 5’200 Tonnen Fracht in 65 Waggons transportieren.
5 bis 10 Prozent der Panama-Fracht
Natürlich wird die Verbindung nur einen Bruchteil der Container transportieren können, die durch den Panamakanal geschifft werden. Deshalb, und das beteuert Mexiko immer wieder, ist die Eisenbahnverbindung auch keine Konkurrenz zum Panamakanal, sondern eine wichtige Ergänzung.
Gemäss mexikanischen Schätzungen könnten über die Schiene etwa 5 bis 10 Prozent der Fracht transportiert werden, die bisher durch den Panamakanal verschifft wurde. Vor allem in Ostasien ist das mexikanische Projekt im Isthmus von Tehuantepec sehr wohlwollend aufgenommen worden.
Allerdings ist der Corredor Interoceánico viel mehr als nur ein Schienenstrang («Linie Z»), der von Salina Cruz nach Coatzacoalcos führt. Weiterreichende Strecken führen nach Palenque im Bundesstaat Chiapas («Linie FA», 328 Kilometer) und nach Ciudad Hidalgo im südwestlichsten Mexiko («Linie K», 476 Kilometer) an der Grenze zu Guatemala.
Entwicklungsschub
Entlang der Linien entstehen zahlreiche Entwicklungsprojekte («Entwicklungspole»). Angesiedelt werden Industrieparks für die Elektro-, Elektronik- und Automobilindustrie. Ebenso entstehen petrochemische und pharmazeutische Betriebe. Insgesamt sollen hier in den nächsten zwanzig Jahren eine halbe Million Arbeitsplätze geschaffen werden. Riesige Strommasten werden gebaut, die Wasserversorgung der einzelnen Gemeinden wird verbessert (an vielen Orten fehlte es noch immer an Trinkwasser), Schulen, Krankenhäuser und acht Bahnhöfe entstehen. Entlang dem Z-Schienenstrang werden auch eine Autobahn, drei Flughäfen in Minatitlán Ixtepec und Huatulco sowie eine Gaspipeline und ein Glasfasernetz gebaut.
Einen Entwicklungsschub erleben jetzt schon die beiden Häfen Salina Cruz am Pazifik und Coatzacoalcos am Golf von Mexiko. Die Modernisierung der Hafenanlagen befindet sich in der Endphase. Bisher verfügten die Häfen über eine Fahrrinne von 14 Metern Tiefe. Diese wird jetzt auf 21 Meter Tiefe und eine Breite von 300 Metern erweitert. So können die riesigen Containerschiffe hier anlegen – auch die Frachter der Panamax-Klasse. Mit bis zu 40 Meter hohen Ship-to-Shore-Kränen, die bis zu 50 Tonnen Fracht transportieren können, werden die Container von den Schiffen auf die Züge verladen.
«Wiedergeburt von Tehuantepec»
Gesamthaft soll der Korridor dieser vernachlässigten Region im südlichen Mexiko einen gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung geben. Der frühere Präsident sprach von der «Wiedergeburt von Tehuantepec». Die Landenge (Isthmus) von Tehuantepec gehört zu den unterentwickeltsten Regionen Mexikos. Aufgescheucht von der Polemik um den Panamakanal beteuert Mexiko, dass es die volle Kontrolle über den Landstreifen behalten werde. Mexikanische Unternehmen würden die Häfen verwalten und für die Entwicklungsprojekte zuständig sein. Im Korridor werden 2’400 Soldaten der Marine-Infanteriebrigade für Sicherheit sorgen.
Die Errichtung des Korridors verlief nicht problemlos. Mexikaner und Mexikanerinnen, die Land abtreten mussten oder deren Häuser dem Bau zum Opfer fielen, wehrten sich bis vor die höchsten Gerichte. Einige der Enteigneten waren auch mit den Entschädigungen, die die Regierung zahlte, nicht einverstanden. Und Umweltschützer beklagten, dass eine der unberührtesten Gegenden Mexikos jetzt geopfert wird. Da und dort kam es zu Sabotageakten; Eisenbahnschienen wurden mutwillig beschädigt.
Noch gibt es da und dort Widerstand, noch sind nicht alle Probleme ganz gelöst. Der Korridor wird vermutlich etwa doppelt so teuer werden wie ursprünglich budgetiert. Probleme stellte die Topografie mit ihren steilen Hängen dar.
«Die Eisenbahn hat Zukunft»
Das Projekt kam vor allem durch den unermüdlichen Einsatz des früheren «linken» mexikanischen Präsidenten López Obrador zustand. Er hat in seiner sechsjährigen Amtszeit mehr erreicht als die meisten lateinamerikanischen Präsidenten. Der Lebensstandard von Millionen Mexikanerinnen und Mexikanern stieg unter ihm teils erheblich. Weniger erfolgreich war sein Kampf gegen die Drogenkriminalität und die mexikanischen Verbrecherkartelle.
«Corredor Interoceánico» ist vor allem das Vermächtnis von López Obrador: sein Prestigeprojekt. Er ist ein bekennender Zugliebhaber. Immer wieder sagt er: «Die Eisenbahn hat Zukunft.»