Elisabeth Bronfen stieg in die Sammlungsdepots des Aargauer Kunsthauses in Aarau und suchte nach Kunst von Frauen der Moderne und Postmoderne. Die Literaturwissenschafterin verfolgt ein offenes Konzept. Kritisches Nachfragen ist angezeigt.
Leiko Ikemura (*1951) malte 1997 ein zauberhaft-geheimnisvolles Bild: Aus dunklem Grund scheint sich eine Mädchenfigur zu lösen. Die Kleidung ist klar erkennbar, ebenso die Bubikopf-Frisur, während das Gesicht schemenhaft unscharf wirkt. Präzis erfasst ist eine blaue Katze, die das Mädchen in den Armen hält. «With Blue Miko in Black» lautet der Titel.
Klaudia Schifferle (*1955) schuf 1983 die grossformatige Acrylmalerei «Fräulein Wunderbar», ein fratzenhaft skizziertes Gesicht vor grellrotem Grund.
Ilse Weber (1908–1984) malte 1966 in abgedämpften Farben mehrheitlich in dunklem Blau und Rot ihr Werk «Das Traumsofa», die poetisch-verschlüsselte Schilderung des intimen Erlebens einer nächtlichen Welt.
Ein aufgedecktes leeres Bett, in dem eben jemand geschlafen hatte, malte Meret Oppenheim (1913–1985) im Jahr 1939.
Hannah Villiger (1951–1997) wurde bekannt mit den vergrösserten Polaroid-Aufnahmen ihres eigenen Körpers, die sie zu Blöcken zusammenfasste. Wir begegnen einer dieser Arbeiten der späten 1980er Jahre und ebenso einem zweiten, bereits 1980/81 entstandenen Block, der sich aus Körperaufnahmen sowie stilllebenartig präsentierten Alltagsgegenständen zusammensetzt.
Donatella Maranta (*1959) widmet sich im vielteiligen, 2000 vollendeten Bild «Ordentliches Porträt einer unordentlichen Familie» auf ihre bunt-naiv anmutende Weise Alltäglichem wie Kinderfinken, Handy, Glas, Spielzeug, Schlüssel usw.
Ein dunkel patinierter Schrein von Eva Wipf (1929–1978), eine streng komponierte und auf wenige Formen reduzierte Assemblage aus dem Jahr 1975 gemahnt mit einer in einen Kreis eingeschriebenen Kreuzform an Sakrales und rührt mit spitz-aufragenden Nägeln an Unheimliches.
Vierzig Künstlerinnen
Das sind einige zufällig ausgewählte Werke, die Eingang gefunden haben in die Ausstellung «Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau» im Kunsthaus Aarau. Sie stammen von rund vierzig Künstlerinnen – meist Schweizerinnen, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aktiv waren. Die meisten, aber nicht alle Werke stammen aus der eigenen Sammlung. Viele Künstlerinnen sind oder waren international aktiv und beachtet, Silvia Bächli zum Beispiel oder Louise Bourgeois, Heidi Bucher, Dorothy Iannone, Leiko Ikemura, Pipilotti Rist oder Hannah Villiger. Manche kommen selten zu Ausstellungsehren, und manche Namen sind aus dem kollektiven Gedächtnis entschwunden und, wenn überhaupt, nur in Fachkreisen bekannt.
Die Ausstellung mit dem Untertitel «Eine Geschichte der Künstlerinnen» ist in fünf Kapitel gegliedert: «Ausgestellt: Verwandelte Körperbilder» ist ein erstes betitelt, «Frauenzimmer: Das Interieur als intimer Schauplatz» das zweite, «Das versehrte Gesicht: Selbstbildnisse anderer Art» das dritte, «Pop als Haltung: Eigenwillige Aneignung der Alltagskultur» das vierte und schliesslich: «Ver-rücktes Sehen: Witz und visuelles Experiment». Ausgewählt und in die fünf Kapitel gegliedert hat die Künstlerinnen und ihre Werke die in Zürich lehrende Anglistin Elisabeth Bronfen mit Unterstützung von Simona Ciuccio, welche die Sammlung des Aargauer Kunsthauses betreut.
Erhellendes Vergleichen
Die Ausstellung «Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau» will dem Anteil der Frauen am Kunstgeschehen zu mehr Beachtung verhelfen. Elisabeth Bronfen, Autorin vieler Aufsätze zu Gender- und Feminismusfragen, schreibt im Booklet zur Ausstellung, sie wolle «das Schweizer Kunstgeschehen der Moderne und der Postmoderne unter dem spezifischen Blickwinkel der sexuellen Differenz neu betrachten und fragen, was sich dabei in Bezug auf die Arbeit von Künstlerinnen entdecken lässt. Die Werke selbst sollen den Weg vorgeben, wie diese Geschichte weiblicher Kreativität sich rückblickend anders kuratieren lässt.»
Der Gang durch das Museum ist spannend, denn er bietet Gelegenheit zu mancherlei Einblicken in Kreativität und, da die Unterschiede die Konturen schärfen, zu erhellenden Vergleichen. Die Ausstellung wartet für manche Besucherinnen und Besucher mit Überraschungen auf und ist so angelegt, dass viele Künstlerinnen in mehreren Kapiteln vertreten sind und dass mehrere Sackgassen die Besucher zu mehrmaligen Begegnungen mit einzelnen Werken zwingen. Alles in allem also eine abwechslungsreiche, auch auf sinnliches Erleben angelegte und in ihrer Thematik trendige Ausstellung. Dem entsprach auch das teils euphorische und unkritische Medienecho.
Weibliche Kreativität?
Allerdings stellen sich auch mancherlei Fragen zu Bronfens Konzept. Eine erste: Die Kuratorin bindet die Werke ein in ihre «Geschichte weiblicher Kreativität» und ordnet sie ein in die erwähnten fünf Kapitel. Das führt manchenorts zu Reduktionen der Werke auf eine einzige Thematik und damit zu ihrer Simplifizierung. Ein Beispiel ist Hannah Villiger im Kapitel «Ausgestellt: Verwandelte Körperbilder». Dass in ihrem Werk «Voyeurismus und Exhibitionismus aufeinandertreffen» (so Bronfen im Booklet), ist ein Aspekt, jedoch beileibe nicht der einzige und vor allem nicht der wichtigste. Hannah Villiger dachte in ihrem Schaffen immer «skulptural» und griff für ihre Raumuntersuchungen konsequent auf jenes Material zurück, das ihr am nächsten war – auf den eigenen Körper. Hannah Villiger ist ein Beispiel dafür, wie der übermächtige Zugriff kuratorischer Konzepte die Kunst einengen kann.
Am fragwürdigsten erweist sich das Konzept vielleicht im Fall von Eva Wipf, deren zwei Schreine in keines der Kapitel passen. Bronfen will die Künstlerin trotzdem zeigen und präsentiert die Objekte an der Schnittstelle zwischen «Pop als Haltung» und «Ver-rücktes Sehen: Witz und visuelle Experimente». Mit beidem haben die Werke Eva Wipfs gar nichts zu tun. Sie sind wohl kraftvolle Äusserungen der Künstlerin, aber sie entstanden im Umkreis der Objektkunst der 1970er Jahre, und sie verweisen auf Spirituelles. Der ohnehin schwammige Begriff «weibliche Kreativität» führt nicht weiter und ist hier nur insofern sinnvoll, als Kreativität immer, frei nach Meret Oppenheims Rede anlässlich des Kunstpreises der Stadt Basel 1974, weibliche wie auch männliche Komponenten einschliesst. Oppenheims Meinungsäusserung liegt bald fünfzig Jahre zurück. Aus ihrer damaligen Rede liesse sich heute eine grundsätzliche Kritik von Elisabeth Bronfens Konzept ableiten.
Fragen der Auswahl
Die Kuratorin beleuchtet das «Schweizer Kunstgeschehen» und geht dabei grundsätzlich aus von der Aargauer Kunstsammlung, zu der auch, als Depositum, die Sammlung Andreas Züst gehört. Bronfen sprengt aber diese Beschränkung: Sie und Simone Ciuccio greifen beherzt auf Leihgaben zurück, wenn das ihrem Thema dient. Beispiele sind Meret Oppenheims überraschendes Bild «Das aufgeschlagene Bett» aus der Ursula Hauser Collection oder «Jeune femme à la pipe» von 1922 von Alice Bailly (1872–1938). Das Bild wurde von Winterthur nach Aarau geholt wurde, obwohl Aarau mehrere Werke der Künstlerin besitzt.
Zu begegnen ist zudem Künstlerinnen, die in der Aarauer Sammlung überhaupt nicht vertreten sind. Und doch bleiben wichtige Positionen von Schweizerinnen im Abseits. Heidi Bucher (1926–1993) zum Beispiel hat, obwohl nicht in der Sammlung, einen raumgreifenden Auftritt. Andere Künstlerinnen, die für «die Geschichte weiblicher Kreativität» in der Schweiz der 1970er bis 1990er Jahre sehr wichtig sind, fehlen ganz. Beispiele sind Eva Aeppli (1925–2015) oder Agnes Barmettler (*1945). Barmettlers aus Körper- und Naturbewusstsein heraus entwickelte Malereien aus den 1970er Jahren zeigte kürzlich das Solothurner Kunstmuseum. Beispiel ist aber vor allem Niki de Saint-Phalle (1930–2002), durch Heirat mit Tinguely Schweizerin und mit ihm und seiner Arbeit und mit vielen Schweizer Künstlerinnen und Künstlern eng verbunden. Ihre Teilnahme wäre bei diesem Ausstellungsthema unverzichtbar. Dafür figurieren die Deutschen Ina Barfuss und Nanne Meyer sowie die Amerikanerin Dorothy Iannone auf der Liste. Sie haben mit dem Schweizer Kunstgeschehen nichts oder nur am Rande zu tun.
Elisabeth Bronfen betont, dass Themen wie Aspekte der künstlerischen Qualität und der kunsthistorischen Entwicklung für sie zweitrangig sind, und dass sie sich auch nicht für «Meisterwerke» und kommerzielle Erfolge interessiert. Das ist wohltuend in einer Zeit, in der die Museen allzu oft kommerziellen Trends und Hypes nachrennen. Aber in der Arbeit eines Kunstmuseums geht es immer um Aspekte der Qualität und um kunstimmanente Fragen. Da gibt’s in «Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau» erhebliche Unterschiede. Zwei Beispiele: Die frühen Malereien Ilse Webers sind wohl solide, aber kaum mehr als durchschnittliche und typische dunkeltonige Aargauer Malerei – im Gegensatz zu ihrem poetisch-vielschichtigen, mehrheitlich zeichnerischen Spätwerk. Marianne Eigenheer (1945–2018) hinterliess bedeutendere Arbeiten als jene, die in Aarau zu sehen sind. Die Kuratorinnen zeigen von ihr offenbar einfach, was sie in der Sammlung fanden.
Subjektivität
«Eine Geschichte der Künstlerinnen» lautet der Untertitel der Ausstellung «Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau». Mit dem Titel nimmt die Gastkuratorin und Anglistin Elisabeth Bronfen Bezug auf Gertrude Steins «Rose is a rose is a rose is a rose» (so das Originalzitat aus dem Gedicht «Sacred Emily») – und bleibt damit bewusst orakelhaft: Wer die Ausstellung besucht und über den Titel sinniert, soll sich aufgrund der gezeigten Werke, die ausschliesslich von Frauen stammen, selber Gedanken machen darüber, was denn nun warum eine Frau ist. Und der Untertitel? Er lautet «Eine Geschichte der Künstlerinnen» und bleibt offen und unbestimmt. «Die Geschichte» wäre anmassend, denn das können weder das Aargauer Kunsthaus noch Elisabeth Bronfen leisten. «Eine Geschichte» weicht dem Anspruch an Auswahl, Vollständigkeit und Akzentsetzungen – weicht vielleicht fast allen Ansprüchen – geschickt aus und lässt an Geschichten und so auch an ein Erzählen denken: Da ist Subjektivität nicht nur gestattet, sondern erwünscht.
Am Bekenntnis zur Subjektivität perlt jedes kritische Nachfragen ab.
Aargauer Kunsthaus Aarau. Bis 15. Januar