Ernest Brantschen hat als Architekt namentlich mit Sakralbauten in der Ostschweiz wichtige, von Le Corbusier inspirierte Werke realisiert. Jetzt sind seine Arbeiten in einer Monografie dokumentiert.
Der Bund Schweizer Architekten (BSA) Ostschweiz gibt kurze Zeit nach der Veröffentlichung der Monografie über das Architekturbüro Danzeisen+Voser eine weitere Publikation über einen Architekten heraus, der in der Ostschweiz viele Spuren hinterlassen hat. Der gebürtige Walliser Ernest Brantschen (1922–1994) kam durch Zufall nach St. Gallen, wo er um 1955 das bereits etablierte Büro Ernst Hänny & Sohn übernehmen konnte. Bis Mitte der 1980er Jahre realisierte er mit seinem kleinen Team nebst Ein- und Mehrfamilienhäusern zahlreiche öffentliche Gebäude, worunter die Sakralbauten herausragen.
Gregory Grämiger legt nun eine Gesamtschau vor, die vor allem einzelne Bauwerke präsentiert. Eingeleitet wird die Sammlung mit dem Eigenheim auf dem Gäbris oberhalb von Gais, das Grämiger in Ermangelung theoretischer Schriften als eine Art Summa von Brantschens Wirken versteht. Wie bei anderen Arbeiten auch spielt hier die bildende Kunst eine grosse Rolle. So ermöglichte Brantschen seinem Freund Ferdinand Gehr die Bemalung eines Wandteils im Innern. Gehr sollte denn auch in anderen Realisationen von Brantschen wichtige Aufträge für Wandbilder und Glasfenster erhalten.
Einflüsse von Le Corbusier
Aus dem präzise erarbeiteten Werkkatalog am Schluss des Buches filtert Grämiger verschiedene Bautypen heraus, so Wohnbauten, Bürobauten, Schulhäuser, Industrieanlagen. Brantschen ist ein typischer Vertreter der Nachkriegsarchitektur, die vom wirtschaftlichen Aufschwung profitierte. Deutliche Einflüsse von Le Corbusier lassen sich einfach nachweisen, nicht nur bei den Kirchenbauten.
Als Werkstoffe bevorzugte Brantschen Beton und verputztes Mauerwerk, im Innern teilweise Holzverkleidungen. Würde man eine Beurteilung des Gesamtwerkes wagen, dann könnte man diesem das Etikett «solide, aber wenig innovativ» anheften (...), wäre da nicht die Gruppe von acht realisierten Kirchenbauten. Diese fallen durch ihre expressive Formgebung aus dem Rahmen, und das trifft insbesondere auf das Hauptwerk zu, die 1960 eingeweihte Pfarrkirche Bruder Klaus in St. Gallen-Winkeln mit ihrem kühn gebogenen Dach. Dieses benötigte jedoch die Hilfe des genialen Ingenieurs Heinz Hossdorf, der für die Berechnung der Kräfte ein Modell herstellen liess.
Die Hauptfassade der Kirche St. Peter und Paul in Sulgen, auf einer Geländekante errichtet, erinnert wohl nicht zufällig an die berühmte Ansicht von Ronchamp mit der aus dem Lot gekippten Wand, die vom gewaltigen Betondach überragt wird. In Glarus und Nussbaumen fallen die skulpturalen Türme auf, was für die damalige Kirchenarchitektur in der Schweiz typisch war. Die Türme durften nicht mehr in die Höhe streben, so konzentrierte man sich auf eine auffallende Formgebung.
Grämiger erläutert die Bemühungen um den liturgiegerechten Grundriss nach dem Aufbruch des zweiten Vatikanischen Konzils. Die axiale Ordnung wich dem in den 1960er Jahren üblichen Standard, gemäss dem die Bänke in mehreren Segmenten wie eine Arena um den Chorbereich gelegt wurden.
Ungeklärte Urheberschaft bei Kirchenbauten
Wer ist der Autor dieser Sakralbauten? Das ist in der Monografie von Grämiger kein zentrales Thema, aber im Falle des Büros von Ernest Brantschen betrifft dies eine unbeantwortete Frage, die zu allgemeinen Überlegungen anregen kann. Brantschens wichtigster Mitarbeiter war Alfons Weisser (1931–2016), der nach seinem Diplom im Jahr 1956 im Büro von Brantschen angestellt wurde und an den Entwürfen insbesondere bei den Kirchenbauten wesentlichen Anteil hatte. In den offiziellen Dokumenten wird er stets als Mitarbeiter aufgeführt, nie als Mitinhaber. Es bleibt unklar, warum ihm diese letzte Schwelle verwehrt blieb. 1965 ging er eigene Wege, ob freiwillig oder aufgrund von Sachzwängen ist nicht mehr eruierbar.
Grämiger erwähnt das Problem der Urheberschaft in einer Anmerkung. So hinterlegte Weisser nach Brantschens Tod sowohl im gta-Archiv wie im Staatsarchiv St. Gallen eine eigene Darlegung in Bezug auf seinen Anteil an den Entwürfen. Weisser schrieb mir als Verfasser einiger Arbeiten über den modernen Kirchenbau 2010 einen dreiseitigen handgeschriebenen Brief, in dem er die Urheberschaft aller im Büro Brantschen entstandenen Kirchenbauprojekte reklamiert. Man spürt zwischen den Zeilen eine gewisse Bitterkeit und Enttäuschung darüber, dass ihm so wenig Wertschätzung seitens von Brantschen entgegengebracht wurde. Wer nun der Schöpfer der erwähnten Sakralbauten war, lässt sich nicht mehr ergründen, und in diesem Sinne tut Grämiger das einzig Richtige: Er nennt konsequent beide Namen gleichberechtigt als Entwerfer.
Bauen ist Teamwork
Abgesehen davon wird damit ein Problem virulent, das im Grunde unter den Tisch gewischt wird. Aus dem Schneider sind jene Architekturbüros, die auf konkrete Namen verzichten. Vorbildlich war diesbezüglich Atelier 5, dessen Mitarbeiter ganz bewusst anonym blieben. In jüngster Zeit werden vermehrt Teams gegründet, die keine Personennamen verwenden, man denke an Pool Architekten, E2A, oder EM2M. Bei grossen Firmen mit den Namen der Gründer im Label wie etwa Herzog & de Meuron können die verschiedenen Handschriften der beteiligten Architektinnen und Architekten wohl kaum präzise voneinander geschieden werden.
In seltenen Fällen kommt es dazu, dass ein angestellter Mitarbeiter nach seinem Ausscheiden aus der Bürogemeinschaft das Copyright seiner Entwürfe erhält. Bekannt ist das Beispiel der Kapelle Oberrealta, die zu Beginn als Werk des in Domat Ems domizilierten Büros von Rudolf Fontana veröffentlicht wurde. Zwar wurde die Mitarbeit von Christian Kerez von Anbeginn genannt, doch mit der Zeit rückte dieser mehr und mehr zum alleinigen Urheber auf.
Es ist offensichtlich, dass in der Vergangenheit zu wenig berücksichtigt wurde, dass insbesondere das Bauen eine Angelegenheit eines Teams ist, in dem der Entwerfer eine wichtige, aber nicht in allen Belangen entscheidende Rolle spielt. In dem Sinne dürfte Ernest Brantschen als Inhaber des Büros die Hauptverantwortung getragen haben, gleichwohl war er auf alle Mitarbeitenden angewiesen, vor allem auf seinen zeitweise engsten Mitarbeiter Alfons Weisser.
Gregory Grämiger: Ernest Brantschen. Bauten und Projekte, 224 Seiten, Scheidegger & Spiess, Zürich 2021, ISBN 978-3-85881-670-2, CHF 65