Bei aller Rücksichtslosigkeit ihrer Politik waren die USA doch auch Garantiemacht der freien Welt. Einem Trump jedoch ist Bündnistreue und verlässliche Verpflichtung völlig fremd. Er kennt nur situative Deals. Wer ihm nicht nützt, ist sein Feind.
Heute, am 20. Januar 2025, wird in Washington DC Donald Trump für seine zweite Amtszeit als US-Präsident inauguriert – oder, seinem eigenen Verständnis vielleicht eher entsprechend: inthronisiert. Er hat im Vorfeld alles dafür getan, diesen Tag mit der Erwartung weitreichender und disruptiver Massnahmen zu verbinden. So hat er angekündigt, gleich am ersten Tag im Amt mit der Verhaftung und Deportation von Millionen illegal Eingewanderter zu beginnen. Gegen Kanada, Dänemark und Panama will er, falls diese sich seinen Einverleibungswünschen nicht beugen sollten, zu wirtschaftlichen oder auch militärischen Zwangsmitteln greifen. Zudem droht er der halben Welt mit ruinösen Zöllen.
Kann sein, dass alles nicht ganz so schlimm oder wenigstens nicht so schnell kommt wie angedroht. Der Dealmaker pokert gerne hoch und ist dann eventuell mit der Hälfte des Geforderten zufrieden. Aber er steht bei seinen fanatisierten Anhängern im Wort. Das Angekündigte nicht zu liefern, wird er sich nicht leisten können. Auf die Beschwichtigungen, die demokratischen Institutionen der USA würden den Wüterich schon im Zaum halten, sollte man besser nicht setzen. Trump tritt sein zweites Präsidium wesentlich besser vorbereitet an als beim ersten Mal, als «die Erwachsenen» in der Administration noch etliche Malheurs verhindern konnten.
Trump will der Boss einer ruppigen Supermacht sein, die ihren Willen rigoros durchsetzt. Nach dem Muster, wie er als Immobilien-Tycoon seine Profitinteressen durchpaukte, gedenkt er auch als US-Präsident zu agieren. Er kennt keine Verbündeten, sondern nur Personen oder politische Konstellationen, die ihm nützen. Alle anderen sind Feinde. Das muss sich auch ein Elon Musk hinter die Ohren schreiben. Der Absturz von der ersten in die zweite Kategorie dauert nur einen Wimpernschlag.
In rechten und linken Spielarten des Antiamerikanismus wird man sicherlich der Meinung sein, die hier beschriebene Art der weltpolitischen Rüpelei sei schon immer Kennzeichen der US-Politik gewesen. Doch das ist weniger als die halbe Wahrheit – und damit eine grobe Verfälschung. Richtig daran ist, dass die USA – wie jeder andere Staat – selbstverständlich immer auch die eigenen Interessen verfolgt haben und dass sie dies – wie andere mächtige Akteure – oft robust und manchmal mit roher Gewalt praktiziert haben. Seine hehren Werte und Ziele hat dieses Land immer wieder verraten, und häufig hat es diese mit einer kräftigen Portion Eigennutz versetzt.
Zur Wahrheit über die bisherige Rolle der USA in der Welt gehört aber auch, dass dieses Land mehrfach und auch unter hohen Opfern für Freiheit eingetreten ist. Zweimal im 20. Jahrhundert haben die USA entscheidend zur Beendigung von Weltkriegen beigetragen. Aktuell haben sie die führende Rolle bei den Verbündeten der Ukraine im Kampf gegen den russischen Angriffskrieg. Sie bilden den Kern der Nato, die als Gegenmacht allein Putins Expansionsstreben in Schach halten kann.
So lange die USA bereit waren, eine Führungsrolle im Lager der freien, der nicht von Autokraten regierten Welt zu spielen, hatte dieser sogenannte Westen Bestand. Die längst nicht mehr stimmige geographische Etikettierung ändert nichts daran, dass die USA trotz aller berechtigten Kritik an ihrer konkreten Politik für das globale freiheitliche Lager eine Garantiefunktion hatten, die von niemandem sonst übernommen werden kann.
Seit dem heutigen Tag muss von diesem westlichen Lager wohl in der Vergangenheitsform gesprochen werden. Ohne die Idee und die Praxis eines Bündnisses und ohne die Bereitschaft der USA, einen solchen Zusammenschluss über das Mass ihres Eigennutzens hinaus solidarisch mitzutragen, gibt es «den Westen», wie wir ihn kannten, nicht mehr. Gegenwärtig machen drei expansionistische Grossmächte die Welt instabil: Russland drängt massiv westwärts, China beansprucht Taiwan, und Trump hat eben seine Ambitionen auf territoriale Zugewinne kundgetan.
Unter diesen geopolitischen Bedingungen wäre der Westen ganz besonders auf die stabilisierende Wirkung einer freiheitlichen Führungsmacht angewiesen. Letztere wird wohl ausfallen, und zwar nicht einmal so sehr wegen bestimmter Entscheidungen der neuen US-Regierung, sondern mehr noch wegen einer veränderten Mentalität, die vom Präsidenten vorgegeben wird: Sie kennt keine langfristigen Bündnisse und Verpflichtungen mehr, nur noch situative Deals.