Heinrich Danzeisen und Hans Voser, beide 1919 geboren, eröffneten 1950 in St. Gallen ein Architekturbüro, das vermutlich auch im nationalen Vergleich zu den meistbeschäftigten gehört haben dürfte. Es war die Zeit der Hochkonjunktur, während der dank dem wirtschaftlichen Aufschwung der grosse Bedarf nach Räumen gestillt werden konnte.
Die Autorin Katrin Eberhard stellte eine Werkliste zusammen, die rund 670 Arbeiten umfasst, wobei zu berücksichtigen ist, dass gewisse Einträge ganze Quartierüberbauungen betreffen. Eberhard kam überschlagsmässig auf tausend Wohnungen, die das Team von Danzeisen+Voser bis 1986, als sich die beiden Gründer zurückzogen, erstellen konnte. Daneben entstanden Spitäler, Schulhäuser, Geschäftshäuser, Bürogebäude, Kirchen, Einfamilienhäuser und Industrieanlagen.
Gossauer Fabrikationshalle im MoMa New York
Unter den Indistriebauten des St. Galler Büros ist die schon 1955 vollendete Gummiband-Weberei in Gossau SG das bekannteste Werk. Für den Entwurf war Danzeisen zuständig. Er kippte sechs Betonschalen so, dass grosse linsenförmige Öffnungen entstanden, welche die Halle grosszügig mit Tageslicht versorgen. Vom Eingang her gesehen scheinen sich die ledliglich sieben Zentimeter dünnen Bögen aufzulösen. Die Aufnahmen kurz vor der Inbetriebnahme sind betörend, und dies fiel auch den Redaktoren der wichtigsten Architekturzeitschriften auf, in denen die Halle präsentiert wurde. 1965 fiel dem Büro sogar die Ehre zu, mit diesem Juwel der Ingenieurbaukunst an der Ausstellung Twentieth Century Engineering im Museum of Modern Art in New York vertreten zu sein.
Die Halle steht immer noch, auch wenn nicht mehr als Stätte der industriellen Produktion, sondern als Hülle für ein Fitnessstudio. Der Eindruck von schwebender Leichtigkeit stellt sich aber nach wie vor ein. Danzeisen liess das System patentieren, doch die Gummiband-Weberei blieb ein solitäres Denkmal, auch im Gesamtschaffen von Danzeisen+Voser. Von der Bedeutung her erinnert es – eine Analogie aus dem Bereich Sport – an den Jahrhundertsprung von Bob Beamon an den olympischen Spielen von 1968 in Mexiko City, den während seiner aktiven Karriere nie wieder erreichten Höhepunkt.
Verdichtetes Bauen in den Fünfzigern
Katrin Eberhard begegnet dem Gesamtschaffen von Danzeisen+Voser insgesamt wohlwollend, muss aber zugeben, dass nicht alle Entwürfe überzeugen. Das Auftragsvolumen war schlicht zu gross, um jedem Werk die nötige gestalterische Sorgfalt angedeihen zu lassen. Bemerkenswert sind sicher die Siedlungen Biserhof (1953/57) und Kammelberg (1970/82) im St. Georgen-Quartier hoch über der Altstadt von St. Gallen. Die flach gedeckten Einfamilienhäuser konnten dank dem zickzackförmigen Grundriss ineinandergeschoben werden. So wurde eine optimale Verdichtung erreicht, ohne die Privatsphäre der Bewohnerinnen und Bewohner zu vernachlässigen.
Bei den meisten der übrigen Bauten ist der heutige Betrachter geneigt zu sagen: Unverkennbar 1960er- und 1970er-Stil, wobei es vermutlich gar nicht so einfach ist, das Typische dieses Stils zu formulieren. Die schiere Masse des Gebauten dürfte der Hauptgrund sein, dass die Architektur dieser Phase als lieblos und eintönig empfunden wird. Die notwendig gewordene Rationalisierung führte dazu, dass die rasterartigen Fassaden kaum variiert wurden. Beton und verputztes Mauerwerk dominieren; teilweise kamen vorfabrizierte Elemente zur Anwendung. Die Farbpalette beschränkt sich auf Brauntöne. Die in historische Zeilen eingefügten Neubauten, in diesem Falle in St. Gallen, nehmen wenig Rücksicht auf die gewachsene Bausubstanz. Als Kontrast dazu orientierte man sich bei den Einfamilienhäusern, die noch auf grosszügigen Grundstücken platziert werden konnten, häufig an amerikanische Villen im Stil von Frank Lloyd Wright. Wer es sich leisten konnte, zeigte den Reichtum.
Fragen der Schutzwürdigkeit
Im Ausblick gibt die Autorin zu, dass diese Architektur noch immer einen schweren Stand hat, dass diese Phase für viele noch zu nah sei, um die Gebäude mit anderen Augen anzuschauen. Fragen über die Schutzwürdigkeit drängen sich auf, auch gerade in Bezug auf das Gesamtwerk von Danzeisen+Voser, zumal in der Zwischenzeit insbesondere durch die neuen Bestimmungen zur Isolation die später angebrachten Dämmungen das Gesamtbild einiger Siedlungen stark verändert haben.
Eberhard wollte mit ihrer Monografie explizit auch «die grossen Qualitäten dieser oft unterschätzten Häuser» aufzeigen und «die Architektur dieser Bauepoche in ein besseres Licht» rücken. Ob dies gelingen kann, wenn alles Gebaute zwischen 1955 und 1975 als schutzwürdig erachtet wird, wage ich zu bezweifeln. Das Besondere dürfte wohl erst dann ins Bewusstsein der Denkmalpflegerinnen und -pfleger rücken, wenn wie bei den vergangenen Epochen der Baubestand wesentlich reduziert ist.
Katrin Eberhard: Danzeisen+Voser. Bauten und Projekte 1950–1986, Scheidegger&Spiess, Zürich 2020, CHF 65.--