Robert Habecks neues Buch «Den Bach rauf» ist weit mehr als eine Bilanz seiner Amtszeit als Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz oder eine Bewerbungsschrift für ein neues politisches Mandat. Es bietet ein Resümee der Umbrüche, die unsere Gesellschaft in den vergangenen Jahren unvermutet getroffen haben und die nun zu bewältigen sind. Einige Projekte sind mit Erfolg begonnen worden, bei anderen befindet sich die Suche nach Lösungen noch ganz am Anfang.
Habeck hat mit seinen «Küchentischgesprächen» in den vergangenen Wochen für manche Erheiterung gesorgt. Man kann darin eine Strategie opportunistischer Anbiederung sehen. Ein Spötter meinte, auch seine Sprache sei «barrierefrei». Aber man sollte Robert Habeck nicht unterschätzen. Sein bisweilen defensives Auftreten, seine Nachdenklichkeit und das damit verbundene Zögern bei öffentlichen Auftritten sind kein Zeichen der Schwäche, sondern schützen ihn davor, dass seine Lust am Argumentieren als Arroganz ausgelegt wird.
Zeichen der Solidarität
In seinem neuen Buch gelingt Robert Habeck das Kunststück zu erklären, wie der Weg von den Alltagssorgen zu den grossen Fragen unserer Zeit führt. Die Dynamik der grossen Zusammenhänge muss die Motivation des Einzelnen nicht ausradieren. Er beginnt mit ganz einfachen Beispielen. So haben sich nach dem Hochwasser 2024 in einem Ort in Bayern spontan Helfer eingefunden, die nach Abzug der Flut beim Beseitigen der Schäden in den Wohnungen im Rahmen des Möglichen geholfen haben. Das sind Zeichen der Solidarität, deren Bedeutung für das gesellschaftliche Klima nicht unterschätzt werden sollte.
Ein anderes Beispiel steht im Zusammenhang mit dem viel gescholtenen Heizungsgesetz. Eine Hausbesitzerin, mit der Habeck eines seiner Bürgertelefonate geführt hat, fühlte sich finanziell überfordert. Sie tat sich mit anderen Betroffenen zusammen, und gemeinsam bildeten sie eine Genossenschaft, um die Massnahmen zu koordinieren und zu finanzieren.
Habeck beschreibt sich selbst als einen Menschen, der aus ähnlichen elementaren Erlebnissen und Empfindungen heraus den Weg in die Politik gegangen ist. Dieser Weg wiederum führt nicht nur nach oben, sondern auch zu Fragen von immer grösserer Komplexität. Unterschiedlichste Interessen sind auszutarieren, und jede Massnahme und jedes Gesetz haben Nebenwirkungen, die zum Teil vorab nicht gesehen werden können. Es gibt kein Labor, in dem Politiker experimentieren könnten. Im Gegenteil:
Merkels Versäumnisse
Das viel gescholtenen Heizungsgesetz wurde, wie Habeck schreibt, in einem erst halb fertigen Zustand durch ein «Leak» an die Öffentlichkeit getragen, so dass «im Debattenraum falsche Informationen wie Geschosse herumflogen». Sein Ruf wurde dadurch nachhaltig geschädigt. Weitere Beispiele für geradezu katastrophale Nebenwirkungen sind das gut gemeinte Lieferkettenkontrollgesetz, das sich als nicht praktikabel erwies. Auch fiel Habeck aus allen Wolken, als er erfuhr, dass für 100 Kilometer Stromtrasse 19’000 Seiten für die Anträge einzureichen sind. Und die Datenschutzbürokratie steigert das Grauen noch. «Ich selbst könnte oft genug in die Tischkante beissen, wenn ich sehe, wie kompliziert die Dinge sind.»
Nicht, um sich zu entlasten, sondern um die Schwierigkeiten zu beschreiben, macht Habeck auf vier Problemlagen aufmerksam:
Die Ampelregierung erbte aus den Merkel-Jahren die Lasten einer maroden Infrastruktur. Der Ukraine-Krieg wiederum erforderte eine extrem schnelle Umstellung der Energieversorgung, um die Industrie am Laufen zu halten und um Engpässe beim Heizen in den privaten Haushalten zu vermeiden. In kürzester Zeit mussten weitreichende Massnahmen ergriffen und Gesetze geändert oder neu auf den Weg gebracht werden. Dazu kommen als drittes Problem die Erfordernisse der Umstellungen der Energiegewinnung und des Energieverbrauchs im Zeichen der ökologischen Krise. Kritisch lässt sich anmerken, dass Habeck damals viel zu optimistisch einen enormen Wachstumsschub, der mit diesen Umstellungen verbunden sein würde, vorhergesagt hat. Dabei machte ihm aber auch das vierte Problem einen Strich durch die Rechnung: die Konkurrenz aus China und das teilweise Wegbrechen des chinesischen Marktes insbesondere für die Automobilindustrie.
Was ist Führung?
Leidenschaftlich plädiert Habeck dafür, in Anbetracht der raschen und radikalen Veränderung der politischen Grosswetterlage die europäischen Institutionen und die Verteidigungsfähigkeit Europas zu stärken. Das kann aber nur gelingen, wenn Politiker dafür das nötige Vertrauen in der Bevölkerung aufbauen. Auch wenn sich die Zeiten sehr geändert haben und rechte Parteien mit ihren Parolen die Probleme nur verschärfen, tritt Habeck gegen die Versuchung der Resignation und Rückzugs an, die ihm, wie er bekennt, nicht ganz fremd ist.
Wiederholt kommt er auf das Scheitern der Ampel am 6. November, «dem Tag, an dem wohl die meisten Menschen in Deutschland vor ihren Handys sassen und und die Nachrichten vom Wahlsieg Donald Trumps lasen», zu sprechen. Nicht nur dieses Zusammentreffen ist für ihn bitter. Bitterer noch ist seine Diagnose der Ursache für dieses Scheitern. «Wir haben den Teamgeist verloren. Es gab zu viel Sprachlosigkeit, zu viel Abwarten, zu wenig politische Gemeinsamkeit.»
Gegen Ende seines Buches, an dem er Deutschlands Rolle in Europa als führende Nation beschreibt, formuliert er einen Satz, der auch gut zum Thema des Führungsdefizits in der Ampel passen würde: «Führung ist nicht die Kunst zu sagen, wo es langgeht, sondern bei anderen so viel Vertrauen herzustellen, dass sie den Weg mitgehen wollen.»
Robert Habeck: Den Bach rauf. Eine Kursbestimmung. 144 Seiten, Kiepenheuer & Witsch, Köln, Januar 2025, 18 Euro