Die Geiselnahme und Massakrierung von zwanzig Gästen in einem Café in der bangalischen Hauptstadt Dhaka etabliert Bangladesch als neuen Hotspot auf der internationalen Terror-Karte. Düstere Anzeichen dafür machen sich schon lange bemerkbar in den Morden an einzelnen Vertretern ausgewählter Personenkategorien: säkularistische Blogger, Hindus und Christen, ausländische Entwicklungshelfer. Es waren Hit-and-Run-Angriffe; die Opfer wurden auf der Strasse überfallen und mit Hackmessern kaltblütig niedergestochen.
Das Attentat vom Freitag, dem letzten Feiertag vor dem Ende des Ramadan, hat andere Dimensionen. Die Zielscheibe war ein öffentlicher Raum, der Zeitpunkt sorgfältig gewählt, und die Zielgruppe waren Ausländer – Diplomaten, Entwicklungshelfer, Geschäftsleute – und ihre einheimischen ‚Helfershelfer’. Während die Täter bei den früheren Einzelaktionen spurlos verschwanden, sahen sich die Geiselnehmer als Shaheeds – Märtyrer. Gegenüber den bangalischen Angestellten rechtfertigten sie ihre Tat mit dem baldigen Ende ihres eigenen Lebens.
Im Dunstkreis des IS
Die Indizien verweisen auf eine Täterschaft im Dunstkreis des Islamischen Staats, der sich umgehend dazu bekannt hat. Allerdings ist es noch zu früh, darin eine direkte Kommando-Aktion der internationalen IS-Zellen festzustellen. Beobachter verweisen auch auf AQIS, die Kaida im Indischen Subkontinent, die von Aydan al Zaqarawi vor anderthalb Jahren von Pakistan aus lanciert worden ist. Im Gegensatz dazu waren die früheren Einzelaktionen gegen individuelle ‚Feinde des Islam’ von Gruppen geplant und ausgeführt, die laut den Behörden auf lokalem Boden gewachsen sind.
Bangladesch ist ein islamisches Land – die grosse Mehrheit sind Sunniten - , und das Wort Shaheed hat auch hier einen besonderen Klang. Allerdings verweist es im Volksempfinden (noch) nicht auf islamistische Suizidtäter – im Gegenteil. Die ersten Shaheeds waren Studenten gewesen, die in den Fünfziger Jahren im damaligen Ostpakistan von westpakistanischen Truppen erschossen wurden, als sie für Bengali als zweiter Nationalsprache neben Urdu demonstriert hatten.
Säkularistisch geprägtes Selbstverständnis
Der Kampf für eine bangalische Identität war damals auch ein Kampf gegen die islamisch begründete gesamtpakistanische Ideologie. Das Selbstverständnis des neuen Staats Bangladesch war daher säkularistisch geprägt und wies der Religion einen Platz im Bereich des persönlichen Glaubens zu. Religiöse Parteien wie der Jamaat Islami, die sich im Unabhängigkeitskrieg auf die Seite Westpakistans geschlagen hatten, wurden als dessen Quislinge stigmatisiert. Sie wühlten im neuen Staat weiter, so der Vorwurf, um die ethnische Identität des Landes in eine religiöse zu verwandeln.
Vor drei Jahren kam es im Gefolge des Arabischen Frühlings auch in Dhaka zu grossen Studenten-Demonstrationen gegen die Führungsriege des Jamaat. Sie seien nie für die Pogrome von 1971 bestraft worden, lauteten die Slogans; sie verdienten den Tod. Im Gegensatz zu den arabischen Staaten förderte die Regierung und ihre Awami-Liga den Volksauflauf rund um das Denkmal der Shaheed-Studenten. Sie konnten damit den Druck auf die Sondergerichte erhöhen, die Premierministerin Sheikh Hasina eingesetzt hatte, um die Jamaat-Führungsriege hängen zu sehen.
Opferlogik
Die meisten Jamaatis wurden zum Teil mit fragwürdigen rechtlicher Begründung zum Tod verurteilt. Mehrere von ihnen sind inzwischen hingerichtet worden. Es entspricht der Opferlogik dieser (und aller) Ideologien, dass damit eine neue Kategorie von Shaheeds geschaffen wurde – Märtyrer für eine islamische Staatsidee. Obwohl der Jamaat nicht verboten wurde, tauchten viele seiner Anhänger in den Untergrund ab.
Dort werden sie heimlich von der politischen Opposition der Awami-Liga unterstützt. Diese Parteien argwöhnen, dass die orchestrierte Volkshetze auf islamistische Parteigänger allein dem Plan Sheikh Hasinas dient, ihre eigene Macht und die der Liga so zu stärken, dass sie zur permanenten Staatsmacht wird. Die Angstmache um den Terrorismus, so Hasinas Rivalin und frühere Premierministerin Khaleda Zia, sei nur ein Vorwand, um die demokratischen Rechte einzuschränken.
Empfänglich für die Ideologie des Terrors
Der Macht-Opportunismus der Regierung sowie die Brachialjustiz gegen ihre Gegner bilden eine ideale Voraussetzung, um konservative bangalische Muslime für die Ideologie des Terrors empfänglich zu machen. Die demografische Dichte des Landes – die doppelte Fläche der Schweiz, auf der die doppelte Bevölkerung Deutschlands lebt - , die grosse Armut und die Schwäche des staatlichen Verwaltungsapparats bilden dafür ein günstiges Biotop. Und schliesslich bietet eine lange Grenze von 2200 Kilometern mit dem grossen Nachbarn Indien vielfache Infiltrations- und Rückzugsmöglichkeiten.
Dies zeigt die Reaktion Indiens auf das Attentat vom Freitag. Die Grenzschutztruppen wurden verstärkt, um zu verhindern, dass sich Terrormilizen aus dem Umkreis der kaschmirischen Guerilla oder indischer Kaida-Ableger mit den radikalislamischen Zellen in Bangladesch austauschen können.
Beobachter vermuten allerdings, dass ein solcher Austausch schon längst stattfindet. Spuren der meisten Anschläge der letzten Jahre auf indischem Boden lassen sich auch nach Kalkutta zurückverfolgen. Von dort sind es nur Stunden bis zur Grenze nach Bangladesch. Und diese ist löchrig. Der Grenzschutz soll in den letzten beiden Jahren dort 330'000 Stück Vieh requiriert haben, die nach Bangladesch geschmuggelt werden sollten. Ein Vielfaches davon ist vermutlich durchgeschlüpft, und mit ihm wohl auch andere Konterbande.