Die Geiselnehmer von Dhakar waren junge Leute, deren Sprache und Benehmen deutlich machte, dass sie eher zu den gebildeten Mittelschichten gehörten als zu den breiten Unterschichten der bengalischen Gesellschaft. Sie sprachen nicht Dialekt, sondern Schrift-Bengali, verhielten sich höflich gegenüber den Angestellten des Lokals und einige konnten offenbar Englisch. Sie waren so gekleidet, "dass sich niemand vorstellen konnte, sie würden das tun, was sie taten", wie einer der Angestellten sich ausdrückte.
Die Geiselnehmer gingen von vorneherein darauf aus, die Ausländer von den einheimischen Angestellten zu trennen. Sie versicherten dem Personal, sie würden "nie Mit-Muslime und Mit-Bengali töten". Sie erklärten den Bengali auch, dass die Ausländer mit ihrer "unsittlichen" Kleidung und ihrem "unislamischen" Verhalten den einheimischen Islam korrumpierten. Sie forderten die bengalischen Angestellten auf, ihren Gebetspflichten nachzukommen. Im Verlauf der Nacht sorgen sie dafür, dass ihnen und den bengalischen Mitbürgern Tee zubereitet und später das Frühstück serviert wurde, das die Muslime im Ramadan einnehmen, bevor der Fastentag beginnt.
Mit Buschmessern zerstückelte Leichen
Die Polizei traf schon früh ein und versuchte, zuerst das Lokal zu stürmen. Doch die Terroristen benützten Handgranaten, um den Angriff zurückzuschlagen. Dadurch starben zwei Polizisten; 20 weitere wurden verwundet. Die Polizei beschloss darauf zuzuwarten bis die Armee eingreift. Das Restaurant sei wie eine Festung gewesen, die sie nicht stürmen konnten, erklärten die Polizisten. Die Armee wurde von Ministerpräsidentin Sheikh Hasina zum Einsatz aufgeboten. Doch die nächste dazu brauchbare Einheit befand sich 150 Kilometer von Dhaka entfernt und musste erst in die Hauptstadt verlegt werden. In den frühen Morgenstunden stürmte sie dann das Lokal.
Während der langen Nacht wurde nicht gekämpft. Die Terroristen verweigerten jeden Kontakt mit der Polizei. Sie machten den bengalischen Angestellten und Gästen klar, dass sie entschlossen waren, zu sterben. Mehrere ausländische Gäste erschossen sie offenbar schon zu Beginn der Geiselnahme. Ihre Leichen zerstückelten sie mit Buschmessern. Andere der 20 Todesopfer fielen erst im Verlauf der Armeeaktion, welche die Geiselnahme beendete. Sechs der sieben Terroristen wurden erschossen, einer wurde gefangen genommen.
Auf die Mittel kommt es nicht an
Am frühen Morgen, kurz vor dem Armeeeingriff, sollen die Geiselnehmer einem der bengalischen Angestellten gesagt haben: "Wir gehen jetzt hinaus. Im Himmel werden wir uns wiedersehen!" Dann begann die Armee, das Lokal zu stürmen.
Dass Leichen mit Buschmessern zerstückelt werden, muss vor dem Hintergrund zahlreicher früherer Angriffe auf "Atheisten", Hindus und andere den Fanatikern missliebige Personen gesehen werden. Es gab in Bangladesh bisher 40 solch tödlicher Attacken, fast immer von Einzeltätern durchgeführt. Buschmesser, Macheten, sind eine „Waffe“, die überall erhältlich und vorrätig ist. Für Schusswaffen und Kriegsgerät, wie sie die Geiselnehmer vom Freitag und Samstag besassen, braucht man Bewilligungen. Leichenschändung hatten zum Ziel, anderen künftigen Terroristen klarzumachen, dass man auch ohne Schusswaffen morden kann. Mit ihrer blutigen Untat machten die „Terror-Eliten“, die über Schusswaffen verfügten deutlich, dass ihr Ziel das gleiche ist, wie jenes der "spontanen" Nachahmungstäter, nämlich das Blut der "Ungläubigen" zu vergiessen. Die Botschaft ist: Auf die Mittel kommt es dabei nicht an.
Vorkämpfer gegen die "ausländische Ausbeutung"
Bei den ausländischen Opfern (Italiener, Japaner, einige im Ausland studierende Bengali) handelte es sich in erster Linie um Fach- und Geschäftsleute, die mit der lokalen Textilindustrie in Verbindung standen. Manche von ihnen lebten seit langer Zeit in Dhaka. Das Lokal war als einer ihrer Treffpunkte bekannt.
Die Arbeiter der lokalen Textilindustrie, die für den Export in reichere Länder arbeiten, sind notorisch harten, oftmals unmenschlichen und manchmal lebensgefährdenden Bedingungen, ausgesetzt. Deshalb kann man vermuten, dass es den Geiselnehmern und ihren Auftraggebern auch darum ging, aus den unvermeidlichen Ressentiments der Textilarbeiter Gewinn zu ziehen, indem sie als Vorkämpfer gegen die "ausländische Ausbeutung" auftraten.
Potential in der weiten islamischen Welt
Klar ist: Es ging den Attentätern und ihren Auftraggebern darum, die Doktrinen des IS und Al-Kaida in Bangladesh zu verbreiten. Die Geiselnahme muss deshalb in einem Gesamtrahmen gesehen werden.
Der grösste Erfolg des „Islamischen Staats“ besteht bisher in der Errichtung des „Kalifats“ im Irak und in Syrien. Doch dieses „Kalifat“ steht unter Druck. Die IS-Kämpfer selbst dürften erkennen, dass es nicht mehr auf unbefristete Zeit weiterbestehen wird. Sie kennen jedoch sehr wohl die gewaltigen Potentiale, die in der weiten islamischen Welt für sie bestehen. Unter den anderthalb Milliarden Muslimen der Welt können sie mit kleinen Prozentsätzen rechnen (1 Prozent von einer Milliarde sind immer noch 10 Milionen!), die mit ihrer Lage dermassen unzufrieden sind, dass sie sich für ihre Ideologie anwerben lassen.
Sie wissen auch: Ihr Werbepotential bleibt grösser, solange das "Kalifat" noch besteht und eine Verheissung für die Zukunft bietet. Doch auch wenn es zusammenbrechen sollte, kann die Ideologie des IS fortleben. Sie wirkt, wo es Muslime gibt, die mit der Lage in der "globalisierten" Welt – oft nicht ohne Grund - radikal unzufrieden sind. Angesprochen sind vor allem Minderheiten unter den heutigen Muslimen. Diese Minderheiten zuerst aufspüren und dann mobilisieren - das ist heute das Ziel und die Aufgabe der IS-Ideologen. Diese Aufgabe ist vielleicht noch wichtiger als die Bewahrung ihrer zurzeit unter Druck stehenden territorialen Enklaven.
Dass die Jihadisten bestrebt sind, weltweit in muslimischen Ländern Fuss zu fassen, zeigen die Anstrengungen und Erfolge in Jemen, Libyen, Jordanien, Nigeria, Mali, Indonesien, Indien, Afghanistan, Pakistan.
Und jetzt auch in Bangladesh.