Vor sieben Monaten hat Portugal den Sturz seiner faschistischen Diktatur durch die «Nelkenrevolution» vom 25. April 1974 gefeiert. Für die Rechte im Land gewinnt derweil ein anderes Datum immer mehr an Bedeutung – der 25. November 1975. Erstmals hat das Parlament in einer Feierstunde am Montag der Niederschlagung einer ultralinken Revolte vor 49 Jahren gedacht. In einer Abrechnung mit teils rabiaten Tönen wurde klar, wie sehr sich an den Nelken mittlerweile die Geister scheiden.
Portugal am 25. November 1975. Am frühen Morgen verlassen rund 50 Fallschirmspringer ihren Stützpunkt im mittelportugiesischen Tancos, um eine Basis bei Lissabon unter ihre Kontrolle zu bringen. In den folgenden Stunden werden andere Einheiten weitere strategisch wichtige Stellen im Land besetzen. Steht Portugal, wo aufständisches Militär mit seiner «Nelkenrevolution» vom 25. April 1974 eine 48-jährige faschistische Diktatur gestürzt hat, vor einem Bürgerkrieg? So weit kommt es nicht, die von linksextremen Kräften angezettelte Revolte – nach verbreiteter Lesart ein Putschversuch – wird niedergeschlagen, und nicht nur das. Nach 19 Monaten der Richtungskämpfe und Turbulenzen seit dem friedlichen Sturz der Diktatur gewinnen moderate Kräfte endgültig die Oberhand. Zum ersten Mal hat das Parlament an diesem Montag auf rechte Initiative hin am Montag dieses Datums gedacht – und 49 Jahre danach alte Wunden aufgerissen.
Ein turbulenter Aufbruch
Die Nelkenrevolution war alles andere als ein Putsch, wie er im Buche steht. Es war ein Umsturz fast ohne Blut, der mit begeisterter Anteilnahme der Bevölkerung über die Bühne ging. Und die aufständischen Militärs – überwiegend junge Offiziere, die es satt hatten, sich in aussichtslosen Kolonialkriegen in Afrika verheizen zu lassen – wollen nicht etwa eine neue Diktatur errichten. Sie versprechen vielmehr, das Land zu demokratisieren, die Kolonialkriege zu beenden und den Weg zur Entwicklung des armen Landes zu ebnen. Sie wollen aber die Macht so schnell wie möglich abgeben.
Zur Beschreibung von dem, was folgt, wurde mitunter der Vergleich mit einer Flasche Champagner bemüht – einer Flasche, die vor dem Öffnen kräftig geschüttelt wird. Früher verbotene politische Kräfte – wie die Kommunistische Partei, Hauptkraft des antifaschistischen Widerstandes, und die erst 1973 gegründete Sozialistische Partei – ebenso wie neue linke und rechte Parteien treten auf den Plan. Gewerkschaften rufen nach raschen wirtschaftlichen Verbesserungen. Unter den vom Militär eingesetzten Übergangsregierungen wendet sich Portugal deutlich nach links. Nur besteht im Militär, dessen «Revolutionsrat» den Neubeginn überwacht, kein Konsens über die «richtigen» Modelle für Demokratie und Sozialismus. Erst im Juli 1974 ringt sich Portugal zudem dazu durch, den Kolonien in Afrika das bis dahin umstrittene Recht auf Selbstbestimmung – inklusive auf Unabhängigkeit – zuzuerkennen.
Die anfängliche linke Einheit zerbricht
Am 11. März 1975 scheitert ein rechter Umsturzversuch, und danach überschlagen sich die Ereignisse. Eine linke Übergangsregierung lässt Banken und Grossunternehmen verstaatlichen. Auf den Latifundien der Südregion Alentejo übernehmen Kooperativen der Tagelöhner das Land und gründen Kooperativen, nach dem Motto «Das Land denen, die es bearbeiten». Anfangs spielen die Sozialisten unter Parteigründer Mário Soares – Aussenminister in Übergangsregierungen, später dreimaliger Ministerpräsident (1976–1978 sowie 1983–1985) und Staatspräsident (1983–1985) bei dieser Revolution noch mit, gehen im Frühjahr und Sommer 1975 aber zunehmend auf Distanz zu den Regierungen von Ministerpräsident Vasco Gonçalves, den vor allem die Kommunisten unterstützten.
Unterdessen zeigt sich das Militär zunehmend gespalten. Während die sogenannte «Gruppe der Neun» für einen moderaten Kurs eintritt, erlebt das Land im «heissen Sommer» von 1975 eine Welle von Brandanschlägen auf Büros linker Organisationen. Auch mit Gonçalves‘ Ablösung durch den moderaten Admiral Pinheiro de Azevedo im September 1975 kommt das Nato-Land nicht zur Ruhe, obwohl der revolutionäre Prozess an Dynamik verloren hat. Am 24. November wird der charismatische ultralinke Major Otelo Saraiva de Carvalho – bekannt als Stratege des 25. April 1974 – als Kommandant der Militärregion Lissabon abgesetzt. Am nächsten Morgen stürzen sich ultralinke Kräfte in das Abenteuer des 25. November, den moderate Militärs niederschlugen. Eine Schlüsselrolle spielte der heute allgemein hoch angesehene General Ramalho Eanes, den das Volk im Sommer 1976 zum ersten Staatspräsidenten der jungen Demokratie wählen wird.
Demokratischer Neubeginn
Einige Details über die Hintergründe des 25. November sind bis heute nebulös. Klar ist nicht einmal, wer den Befehl für die Revolte gab. Man sagt mitunter den Kommunisten nach, sie hätten eine Diktatur nach sowjetischem Vorbild errichten wollen, was diese bestreiten. Zeitzeugen halten dem entgegen, dass in jenem Jahr 1975 für Leonid Breschnew die Unabhängigkeit von Angola und Moçambique wichtiger gewesen sei als ein Abenteuer in Portugal – Nato-Land hin, Nato-Land her. Für die Sozialisten ist der 25. November das Datum, an dem moderate Kräfte endgültig die Oberhand gewonnen, für die bürgerlichen und rechten Parteien hingegen das Datum, an dem Portugal der Gefahr einer sowjetisch geprägten Diktatur entging. Aber sogar die Kommunisten haben etwas zu feiern, hätten einige Hardliner doch allzu gern das Rad der Ereignisse etwas weiter zurückgedreht und linke Parteien wieder verboten.
Portugal wurde zu einer parlamentarischen Demokratie. Schon im April 1975 hatte das Volk eine verfassungsgebende Versammlung gewählt. Im April 1976 trat die Verfassung in Kraft, und sie reflektierte anfangs noch den revolutionären Geist, etwa indem sie als ein Ziel den «Übergang zum Sozialismus» definierte – eine Formulierung, die längst aus dem Text verschwunden ist. Geblieben ist ein umfangreicher Katalog von sozialen Grundrechten. Geblieben ist auch der Artikel 7, laut dem Portugal nicht nur für die Abschaffung von «Imperialismus» und «Kolonialismus» eintritt, sondern auch für die «allgemeine, simultane und kontrollierte Abrüstung» sowie für die «Auflösung der politisch-militärischen Blöcke».
Leere Sitzplätze im Parlament
Viele alte Wunden aus der wirren Zeit nach dem 25. April 1974 galten als mehr oder weniger verheilt. Und schon vor dem 25. November hatte es Versuche militärischer Interventionen gegeben – auch von rechts. Nun aber hat das Parlament zum ersten Mal in einer Feierstunde an die Ereignisse jenes 25. November erinnert. Ein entsprechender Vorschlag kam vom kleinen Centro Democrático Social (CDS), einst mit Hilfe der Konrad Adenauer Stiftung gegründet. Für die Initiative stimmten der derzeit regierende bürgerliche Partido Social Democrata (PSD) wie auch die rechtsextrem-xenophobe Partei Chega und die populistische Iniciativa Liberal (IL). Alle Parteien des linken Spektrums stimmten dagegen – und markierten am Montag eine limitierte Präsenz. Während die Kommunisten ganz fernblieben, liess sich der Linksblock nur durch eine Abgeordnete vertreten; im Lager der Sozialisten blieben diverse Sitze leer. Und als Schmuck der Rednertribüne dienten weisse Rosen statt der roten Nelken wie bei den alljährlichen Festakten für den 25. April 1974.
Harte Töne
Die von aufständischen Militärs gegründete Associação 25 de Abril schlug die Einladung zur Teilnahme aus. Ihr Vorsitzender, Oberst Vasco Lourenço, kritisierte die Initiative als «heuchlerisch» und als Versuch, die Geschichte umzuschreiben. Präsenz markierte der inzwischen 89-jährige General Eanes, der einen entscheidenden Anteil an der Niederschlagung der Revolte hatte und als Held jenes Tages gilt, aber Vorbehalte gegen diese Art der Feier bekundet hatte. Immer wenn sein Name fiel, erklang Applaus – obwohl Eanes als Staatspräsident bis 1986 diverse Konflikte sowohl mit den Sozialisten als auch mit den bürgerlichen Parteien auszutragen hatte.
In der Feierstunde schlug Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa noch versöhnliche Töne an. Insgesamt aber dominierte die Konfrontation. Nach den Worten des CDS-Abgeordneten Paulo Núncio hatte der 25. April 1974 einen Weg geöffnet und der 25. November 1975 vermieden, dass dieser sich verschliesse. Gerade CDS hatte nach 1974 als Sammelbecken für Leute mit Sympathien für die gestürzte Diktatur gegolten. Von linker Seite war zu hören, dass nicht «diese Rechte» einst gegen die Unterdrückung im Land eingetreten sei. Von links war auch zu hören, dass sich die Rechte im Land bis heute nicht mit einigen sozialen Errungenschaften des 25. April abgefunden hatte.
«Nie wieder Faschismus und Kommunismus» forderte Rui Rocha von der Liberalen Initiative. Ohne den 25. November gäbe es in Portugal keine politische Vielfalt und nicht einmal «das Recht auf Privateigentum», behauptete der PSD-Abgeordnete Miguel Guimarães. Chega-Vorsitzender André Ventura meinte, dass 1975 die Gefahr einer sowjetischen Diktatur gebannt worden sei, um prompt aber vor Gefahren einer unkontrollierten Einwanderung zu warnen. Nachdem eine linke Abgeordnete daran erinnert hatte, dass der 25. November auch der internationale Tag gegen die Gewalt an Frauen sei, machte Ventura just die Einwanderung für eine Zunahme der Gewalt an Frauen verantwortlich. Zur Chega-Fraktion im Parlament gehört derweil Diogo Pacheco de Amorim, einst Aktivist des rechten Movimento Democrático para a Libertação de Portugal (MDLP), der sich 1975 mit Terroranschlägen hervorgetan hatte.
Es blieb allerdings bei der Feier im Parlament. Wenigstens vorerst ist nur der 25. April ein gesetzlicher Feiertag. Und nur der 25. April bringt Jahr für Jahr viele Menschen auf die Strasse – vor allem solche, die 1974 noch nicht geboren waren und vom 25. November nur aus den Geschichtsbüchern erfahren haben.