Ministerpräsident Costa, der im Zuge einer Affäre um mutmassliche Korruption seinen Rücktritt erklärt hatte, ist einem Irrtum der Ermittler zum Opfer gefallen. Wie geht es weiter in dem Land, wo das Stimmvolk am 10. März vorzeitig sein Parlament neu wählen soll?
In Portugal ist knapp fünfzig Jahre nach der Nelkenrevolution in manchen Kommentaren wieder von einem Staatsstreich die Rede. Geputscht hätten diesmal aber nicht, wie am 25. April 1974, die Streitkräfte, sondern die Strafermittler. Ein unmittelbares Opfer ihrer Operation mit dem Namen «Influencer» wäre die sozialistische Regierung von Ministerpräsident António Costa, der am 7. November seinen Rücktritt erklärte, nachdem er erfahren hatte, dass die Justiz im Rahmen einer Affäre um mutmassliche Korruption auch ihn – wenngleich eher als Randfigur – im Visier hatte.
Allzu schneller Entscheid für Neuwahlen
Das war an einem Dienstag. An jenem Morgen teilte das Amt von Generalanwältin Lucília Gago in einem Communiqué mit, dass 42 polizeiliche Durchsuchungen im Gange seien, eine davon im Amtssitz des Ministerpräsidenten. Es gehe um den Verdacht der aktiven und passiven Korruption sowie um Untreue in Verbindung mit Projekten für den Abbau von Lithium in Nordportugal, für die Gewinnung und Nutzung von grünem Wasserstoff in der Hafenstadt Sines und für den Bau eines riesigen Datenzentrums, ebenfalls in Sines. Wegen Flucht- und Verdunklungsgefahr sowie drohender öffentlicher Unruhe sei die Festnahme von fünf Personen angeordnet worden.
Erst im letzten Absatz war von Costa die Rede, und zwar konkret in der Erwähnung von Verdächtigen seines Namens. Sein Fall jedoch sei, weil es sich bei Costa um den Regierungschef handle, Gegenstand eines separaten Ermittlungsverfahrens beim Obersten Gerichtshof. Costa bestritt jedwede Schuld, fand jedoch, dass schon die Existenz von Verdächtigungen mit der Würde des Amtes unvereinbar seien und trat zurück. Zwei Tage später kündigte Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa die vorzeitige Auflösung des Parlaments und Neuwahlen am 10. März an.
Folgenschwere Verwechslung
Am 12. November jedoch wurde klar, dass Costa einer Verwechslung zum Opfer gefallen war. In einem abgehörten Telefonat hatte ein Verdächtiger gesagt, es sei nicht klar, ob eine bestimmte Frage ein Thema für Finanzen (also das entsprechende Ministerium) oder Wirtschaft sei. Und dann war von António Costa die Rede. Gemeint war aber nicht Ministerpräsident António Costa, sondern der Wirtschaftsminister mit dem ähnlichen Namen António Costa Silva. In einem anderen Telefonat ist lediglich von António die Rede, ohne Nachnamen. Und Antónios gibt es in Portugal wie Sand am Meer.
Damit nicht genug. Nach Vernehmungen durch den Ermittlungsrichter wurden die fünf festgenommenen Männer alle auf freien Fuss gesetzt. Zwei von ihnen mussten Kautionen hinterlegen und dürfen das Land nicht verlassen. Einer von ihnen ist Costas bisheriger (mittlerweile abgesetzter) Kabinettschef, in dessen Büro, in Büchern versteckt, 75’800 Euro gefunden wurden. Vom schwersten der mutmasslichen Delikte, nämlich von Korruption, war gar keine Rede mehr (die Staatsanwaltschaft kündigte jedoch Widerspruch an). Und auf einer der fünf Personen, nämlich dem Bürgermeister der Hafenstadt Sines, lastet gar kein Verdacht mehr.
Staatsstreich oder Versehen?
Wie das Amt der Generalanwältin mittlerweile bekanntgab, lief das Ermittlungsverfahren gegen Costa schon am 17. Oktober an, also drei Wochen vor den Durchsuchungen vom 7. November. Und den Absatz über Costa im Communiqué von jenem Tage verfasste die Generalanwältin persönlich. Sie wollte sich dem Vernehmen nach nicht dem Vorwurf aussetzen, einen Verdacht gegen den Ministerpräsidenten verschwiegen zu haben.
Soll alles nur das Ergebnis eines Versehens gewesen sein? Zu den bekannten Figuren, die einen «Staatsstreich» sehen, gehört der Verfassungsrechtler Vital Moreira, der einst den Partido Socialista als Abgeordneter im EU-Parlament vertreten hatte, dieser Partei aber nicht angehört. António Costa warf Präsident Rebelo de Sousa derweil vor, mit der Entscheidung zur Auflösung des Parlaments auf unverantwortliche Art eine politische Krise verursacht zu haben.
Parlamentspräsident Augusto Santos Silva – zweithöchste Figur im Staat, wie Costa ein Sozialist – sprach sich in einem Interview derweil für eine schnellstmögliche Klärung des Sachverhalts um Costa aus, dies offenbar mit Blick auf die Wahlen am 10. März kommenden Jahres. Er handelte sich damit den Vorwurf ein, Druck auf die Justiz ausüben zu wollen.
Verdacht auf Politisierung der Justiz
Kritisch über die Arbeitsweise der Ermittler äusserte sich derweil an diesem Sonntag in einem Gastkommentar für die Tageszeitung «Público» die beigeordnete Generalanwältin Maria José Fernandes, wenngleich in allgemeiner Form, ohne auf die Operation «Influencer» einzugehen. In den letzten Jahrzehnten, schrieb sie, hätten die Staatsanwälte graduell an individuellem Handlungsspielraum gewonnen. Mitunter werde die Strafermittlung als Ausweitung der Gewalt über andere Staatsgewalten verstanden. So komme es manchmal zu Durchsuchungen ohne Notwendigkeit und Nutzen. Wer widerspreche, könne als Beschützer der Korrupten etikettiert werden.
Der zurückgetretene Ministerpräsident Costa hatte schon am Abend des 11. November in Anspielung auf die lange Dauer von Ermittlungen gesagt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit keine öffentlichen Ämter mehr einnehmen werde. Aber das war am Tag bevor die Verwechslung ans Licht kam. Sollte sich alles bis zur Wahl des EU-Parlaments im Juni in Luft auflösen, könnte sich Costa dies noch einmal überlegen. Er war schon öfter für ein Spitzenamt bei der EU im Gespräch, und vielleicht hätte er doch noch eine entsprechende Chance.