Nach dem Rücktritt von Regierungschef Costa hat Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa sein Machtwort gesprochen. Er kündigte die Auflösung des Parlaments und vorzeitige Neuwahlen am 10. März 2024 an. Der politische Langstreckenläufer Costa steht vor dem Abbruch seiner Karriere.
Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa stand in dieser Woche vor der Wahl. Nachdem Ministerpräsident António Costa am Dienstag seinen Rücktritt erklärt hatte, blieben ihm zwei Möglichkeiten: Er hätte Costas Partido Socialista (PS), die über die absolute Mehrheit verfügt, damit beauftragen können, eine neue Regierung unter neuer Führung zu bilden. Oder er konnte Gebrauch machen von seiner Kompetenz, Neuwahlen anzusetzen nach der gemäss Verfassung obligatorischen Anhörung der im Parlament vertretenen Parteien und des Staatsrats.
Am Mittwoch sprachen sich alle Parteien mit Ausnahme der Sozialisten für Neuwahlen aus. Im 18-köpfigen Staatsrat, dessen Votum nicht bindend ist, gab es unter den 16 anwesenden Mitgliedern am Donnerstag ein Patt. Rebelo de Sousa entschied sich für Neuwahlen.
Eine Abfuhr und eine Gefälligkeit
António Costa liess wissen, dass er dem Staatspräsidenten die Ernennung von Mário Centeno, Finanzminister 2015–2020 und jetzt Gouverneur der nationalen Zentralbank (Banco de Portugal), zum neuen Regierungschef vorgeschlagen hatte. Centeno wurde als Finanzminister bei der EU in Brüssel bewundert (der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble nannte ihn den «Ronaldo der Euro-Zone»). Im eigenen Land wird er auch im bürgerlichen Lager respektiert.
Marcelo Rebelo de Sousa liess sich von diesem Vorschlag nicht überzeugen. Den Sozialisten kommt der von Vertretern anderer Parteien kritisierte relativ späte Wahltermin, nämlich in erst vier Monaten, aber gelegen. Er lässt ihnen Zeit für die Prozeduren zur Wahl eines neuen Generalsekretärs und Spitzenkandidaten. Es gibt aber auch andere Gründe dafür, dass das Volk erst im März an die Urnen gerufen werden soll.
Kein Wahlkampf zu Weihnachten
Die Wahlen müssen laut Verfassung zwischen 55 und 60 Tage nach der Auflösung des Parlaments stattfinden. Rebelo de Sousa lässt sich Zeit, damit das Parlament am 29. November noch das Staatsbudget für 2024 endgültig verabschieden kann. Und dann soll der Wahlkampf weder in die Zeit von Weihnachten und Neujahr fallen noch soll es im Februar zu Verwechslungen mit dem Karneval kommen.
Für Costas Nachfolge im Amt des PS-Generalsekretärs gibt es bisher zwei Kandidaten. Als möglicher Anwärter auf diesen Posten galt seit längerer Zeit schon der 46-jährige Ökonom und Minister für Infrastruktur der Jahre 2019–2022, Pedro Nuno Santos, vom linken Parteiflügel. Für eine moderate Linie steht der 52-jährige Spezialist für internationale Beziehungen, Hochschullehrer und jetzige Innenminister José Luís Carneiro.
Unrühmlicher Abgang des Brückenbauers
António Costa dürfte sich das Ende seiner Zeit als Ministerpräsident in Portugal anders vorgestellt haben. Er übernahm dieses Amt im November 2015 und führte zunächst zwei Minderheitsregierungen, ehe sein Partido Socialista (PS) im Januar 2022 die vorgezogene Neuwahl des Parlaments mit absoluter Mehrheit gewann. Obwohl rechnerisch klare Verhältnisse herrschten, hatte Costa die Lage in der Regierung und im Land zuletzt immer weniger im Griff.
Mit seinem Rücktritt wegen einer Affäre um mutmassliche Korruption geht eine Ära zu Ende. Als der jetzt 62-jährige Costa seine erste Regierung bildete, hatte das überschuldete Land drei bleierne Jahre unter der Ägide der internationalen Troika hinter sich. Als Bedingungen für einen Notkredit musste es unter einer bürgerlichen Regierung in den Jahren 2011–2014 harte Anpassungen vornehmen: die Staatsausgaben kürzen, die Steuern erhöhen, und das bei schrumpfender Wirtschaft, steigender Arbeitslosigkeit und massenhafter Emigration. Costa versprach, das Blatt der Austerität zu wenden und dennoch das Staatsdefizit gemäss den Vorgaben der EU zu drücken. Gross war in Brüssel die Skepsis, klang das doch nach einer Quadratur des Kreises.
Schon um an die Regierung zu gelangen, musste Costa neue Brücken bauen und alte Mauern zwischen seinem PS und den kleineren Parteien am linken Rand des Spektrums niederreissen. Aus der Parlamentswahl im Herbst 2015 ging seine Partei nur als zweitstärkste Kraft hervor. Um die bürgerlichen Parteien in die Opposition zu verbannen, setzte er sich sogar über Warnungen mancher Genossen hinweg und verständigte sich mit Linksblock, Kommunisten und Grünen, die im Tausch gegen konkrete Zugeständnisse die neue Minderheitsregierung duldeten. Diese Konstruktion hielt ganze vier Jahre lang. Es waren vier Jahre mit wachsender Wirtschaft und einer deutlich besseren Stimmung im Land als in den Jahren davor.
Linke Zauberformel mit Verfalldatum
Ganz ohne Tricks gelang das Haushaltswunder nicht. So waren etwa Abstriche bei der Verfügbarkeit öffentlicher Dienstleistungen und Knausrigkeit bei den Gehältern nötig. An den Folgen, etwa in der Bildung und im Gesundheitswesen, hatte Costa gerade in den letzten Wochen zu knacken. Doch mit der Senkung des Staatsdefizits landete das linke Bündnis einen Überraschungscoup, der in Brüssel Wohlwollen und Entgegenkommen fand. Nachahmung fand sein linker Brückenschlag in Spanien, wo sich die Sozialisten unter Pedro Sánchez mit der Protestpartei Podemos verbündeten. In einer Zeit des Rechtsdralls in der EU weckte Costa mit seinen Wahlsiegen von 2019 und 2022 den Neid von Sozialisten und Sozialdemokraten anderer Länder.
Die linke Zauberformel wirkte aber nicht ewig. Costas PS verfehlte bei der Parlamentswahl 2019 die absolute Mehrheit. Entsprechende Hoffnungen gingen womöglich wegen der mehr als sechzig Todesopfer bei den schweren Waldbränden des Jahres 2017 in Rauch auf. Zu einer Neuauflage der Vereinbarungen mit den kleineren linken Parteien kam es aber nicht. Im Herbst 2021 liessen diese den Budgetentwurf der Exekutive für 2022 gar im Parlament scheitern. Staatspräsident Rebelo de Sousa setzte Neuwahlen an, und entgegen allen Umfragen kamen die Sozialisten auf die absolute Mehrheit der 230 Sitze. Sie ist ihnen nun zum Fluch geworden.
Mit absoluter Mehrheit auf weniger linkem Kurs
Wie links ist Costa noch? Ihm waren die gesunden Staatsfinanzen zuletzt wichtiger als die Saläre der Lehrerinnen und Lehrer, die noch immer um die Anrechnung ihrer Dienstjahre in den harten Jahren der Finanzkrise und des Beförderungsstopps kämpfen. Kurz bevor Costa als Regierungschef antrat, hatte die vorherige Exekutive die Airline TAP zu 61 Prozent privatisiert. Costa beharrte darauf, dass der Staat wieder die Mehrheit bekam, und setzte sich bei den privaten Eignern durch. Im Zuge der jüngsten Krise kam die TAP wieder voll in staatliche Hand, doch zuletzt wollte Costas Regierung die Kapitalmehrheit abgeben, nachdem der Staat die Airline mit 3,2 Mrd. Euro saniert hatte.
Mitunter machte es allgemein den Anschein, als sei die von Abgängen geplagte Regierung mehr mit sich selbst beschäftigt als mit der Lösung von konkreten Problemen. Nach der Vorlage eines Programmes gegen die arge Wohnungsnot im Februar war die Hoffnung im Land überschaubar.
Nun ist Costa über eine Affäre um mutmassliche Korruption gestolpert, wobei die bisher bekannten Verdachtsmomente auf keine schweren Delikte hinzudeuten scheinen. Costa fand aber, dass sie mit der Würde seines Amtes inkompatibel waren, und trat zurück.
Zu den fünf am Dienstag festgenommenen Personen gehörte Diogo Lacerda Machado, «Berater» und langjähriger Freund Costas. Nicht erst seit den Durchsuchungen von Dienstag stellt sich die Frage, wie persönlich und familiär es in der Politik zugehen darf. Schon zur Zeit von Costas erster Regierung gab es um diese Frage einige Polemik. Im Kabinett sassen damals gleichzeitig etwa eine Ministerin und, auf einem anderen Ministerposten, ihr Ehemann, sowie eine andere Ministerin und ihr Vater ebenso wie der Sohn eines früheren sozialistischen Ministers.
Sollte fast fünfzig Jahre nach der Nelkenrevolution von 1974 und selbst unter den republikanisch inspirierten Sozialisten die Familie immer noch die beste Kaderschmiede sein? Mit Offenheit und Transparenz tun sich die Sozialisten (und nicht nur sie) in dem Land mit seiner verfilzten Gesellschaft immer noch schwer.
Doch kein Amt in Brüssel?
Costa war in der Politik ein Langstreckenläufer, hatte er doch seit 1995 fast ununterbrochen irgendwelche Ämter gehabt. Er war Staatssekretär und dann Minister für parlamentarische Angelegenheiten (1995–1995), Minister für Justiz (1999–2002), zeitweise Vorsitzender der PS-Fraktion im Parlament, Innenminister (2005–2007), Bürgermeister von Lissabon (2007–2015) und seit 2015, also acht Jahre lang, Regierungschef.
Er galt als denkbarer Anwärter auf ein hohes Amt bei der EU nach der im Juni 2024 bevorstehenden Wahl des EU-Parlaments. In Anbetracht der Gründe, die ihn zum Rücktritt bewogen, könnte Costa nun aber nichts anderes übrigbleiben, als sich in seiner politischen Karriere eine Pause zu gönnen.