Die Ansprache Barack Obamas vor dem Brandenburger Tor wird nicht in die Geschichtsbücher eingehen. Die Zeiten von Auftritten wie die John F. Kennedys und Ronald Reagans sind vergangen. Der Kalte Krieg ist überholt, auch wenn die Rivalität Russlands in der Nachfolge der Sowjetunion fortbesteht.
Asymmetrische Kriege sind zur Norm geworden und verlangen nach einer neuen Definition von Sicherheit, die die sozialen und kulturellen Komponenten einbeziehen muss. Die Not vieler Millionen Flüchtlinge steigt, die grösste Freihandelszone der Welt wird sie nicht lindern. Der Aufruf zur rechtlichen Gleichstellung von Schwulen und Lesben war ein Tribut an die amerikanische Innenpolitik.
Die atomare Abrüstung
Die Überwindung der Kluft zwischen Rhetorik und operativer Diplomatie suchte man im Auftritt des Präsidenten vergebens. Stattdessen warnte er vor dem Klimawandel. Das kann man als an die amerikanische Innenpolitik gerichtete Bemerkung deuten, denn die stellt ihn vor das Fracking-Dilemma. Und wieder kündigte Obama die Schliessung des Gefangenenlagers Guantánamo an.
Als zentrale Botschaft war deshalb seine Initiative zur atomaren Abrüstung zu sehen, die freilich nicht die Vernichtungsgewalt konventioneller Waffensysteme einbezieht. Der Einmarsch in den Irak 2003 hat zwar der Diktatur Saddam Husseins ein Ende bereitet, doch an ihre Stelle ist nach der Reduzierung der amerikanischen Präsenz im Lande der schiitisch-sunnitische Terrorismus getreten - keine vertrauenserweckenden Aussichten für Afghanistan nach 2014, die Obama beschwor.
Philosophie statt Politik
Ansonsten begnügte sich der Präsident mit moralischen Appellen und Mahnrufen an die menschliche Vernunft. Jene Aussagen werden in vager Erinnerung bleiben, in denen der Präsident sein Begriffspaar Frieden mit Gerechtigkeit variierte. Die Geschichte werde jene bestrafen, führte er aus, die die eigene Freiheit bei gleichzeitiger Unterdrückung anderer Menschen reklamieren würden.
Die Grundwerte von persönlicher Würde und Rechtsstaatlichkeit würden einer Welt widersprechen, die sich trotz des eigenen hohen Lebensstandards nicht von Intoleranz und Extremismus lossagen wolle. Oder: Im Zeitalter des globalen Bekenntnisses zur Demokratie würden Selbstgefälligkeit und Isolationismus keine Überlebenschancen haben.
Kein Wort zu Israel und Palästina
Die arabischsprachigen Gäste mit ihrem Willkommen-Gruss dürften darauf gewartet haben, dass sich Obama konkreter zu dem äussert, was er mit seinem Hinweis auf den arabischen Frühling meint. Wenn der Präsident auf das Grossprogramm zur Reduzierung des Nuklearpotenzials drängt, hätte er durchaus detailliertere Vorstellungen zur Beendigung des Bürgerkriegs in Syrien Raum geben können. Zumindest ein dringender Aufruf zur Feuerpause wäre angebracht gewesen, die auch die Verbündeten Saudi-Arabien und Qatar unter Druck setzt. Indes gibt die Ankündigung weiterer Waffenlieferungen an Oppositionsgruppen der Gewalt zusätzliche Nahrung. Sie werden der Fragmentierung des Landes weiter Vorschub leisten.
Das Thema des israelisch-palästinensischen Friedens und der Rolle der USA sparte Obama aus. Dass Obama dazu seit seiner Jerusalemer Rede im März kein Wort verloren hat, lässt sich nicht nur darauf zurückführen, dass er John Kerry den politischen Vortritt lassen will. Denn die politikwissenschaftliche Literatur in den USA hat im vergangenen Jahrzehnt ein ums andere Mal belegt, dass Präsidenten selbst engste Mitarbeiter im Regen stehen lassen.
Mit philosophischen Betrachtungen allein lässt sich die Welt nicht verbessern. Obamas Prognose, die Freiheit setze sich in der Geschichte immer durch, reicht nicht aus. Der Funke als Wegweisung in die Gegenwart wollte partout nicht überspringen.