Noch schnell einen Kaffee im Pappbecher in der Kantine schnappen, dann geht’s flott die Treppe rauf ins Dirigentenzimmer, das uns zum Gespräch zur Verfügung gestellt wurde. Katharina Konradi strahlt. Sie fühlt sich offensichtlich wohl in Zürich, im Opernhaus, in ihrer Rolle als Oscar in Giuseppe Verdis «Un ballo in maschera» und überhaupt …
Eine attraktive junge Frau, die einen jungen Mann spielt auf der Bühne und die Rolle geniesst. Nur schon aus praktischen Gründen. «Man muss den Bauch nicht einziehen …! Ich kann mich viel freier bewegen, man bekommt eine ganz andere Körperlichkeit beim Stehen und Laufen und Singen. Man muss nicht immer denken ‘oh, ich bin ein Mädchen’. So wie letztes Mal in der ‘Lustigen Witwe’ im Zürcher Opernhaus, als ich wunderschöne Kleider trug und immer auf die die anmutige Haltung und eingezogenen Bauch achten musste.» Ihre Rolle als Oscar dagegen kneift nicht. Sie passt!
Das sah nach der Premiere auch die Kritik so und sprach von einer «sehr leichten, sehr klaren Sopranstimme», von «erfrischender Agilität, glockenreinem Ziergesang, Spritzigkeit und lebhafter, szenischer Präsenz», von «soubrettenhafter Leichtigkeit und munterer Agilität». Klingt doch auf Zeitungspapier geschrieben genauso gut wie live auf der Bühne.
Aufgewachsen in Kirgistan
Dabei verlief Katharina Konradis Werdegang keineswegs geradlinig. Geboren ist sie in einer deutschstämmigen Familie in Bischkek in Kirgistan. «Wir waren keine Musikerfamilie, aber mein Grossvater hat Akkordeon gespielt, wir haben Volkslieder gesungen und als Kinder haben wir dazu getanzt. Musik lief eigentlich immer auf allen Kanälen: im Fernsehen, vom CD-Player … und als ich sechs oder sieben Jahre alt war, begann ich zuhause Konzerte zu organisieren, meine Schwester war meine Assistentin. Ich war immer damit beschäftigt, ein Programm zusammenzustellen. Es waren russische Kinderlieder, Pop-Songs, einiges auch auf Kirgisisch.»
Der Eifer der Tochter hat den Vater dann dazu gebracht, Katharina zu fördern, und er meldete sie in einer Musikschule an. «Wir wohnten damals in einem kleinen Dorf irgendwo im Nirgendwo und er hat mich jede Woch hingefahren. Gesangsunterricht habe ich dort auch bekommen und gespürt: das ist es, was ich machen will!»
Der Wille allein ebnete den Weg allerdings nicht sofort. Katharina Konradis Familie wanderte zunächst nach Deutschland aus. Da hiess es erst einmal: Deutsch lernen und das Abitur machen. «Ich hatte keine Ahnung, wie ich mit der Musik weitermachen soll. Es ist ja nicht so einfach, in die Pop-Szene reinzukommen … Wo fängt man da an? Dann habe ich aber in der Schule die klassische Musik entdeckt und die Möglichkeit, hier mit meiner Stimme eine Heimat zu finden. Ich bin also sozusagen durch die Hintertür in die Klassik gerutscht!» Und Katharina Konradi bestand die Aufnahmeprüfung für Gesang an der Universität der Künste in Berlin. «Da habe ich mir gesagt, ok, ich mach’ das jetzt und es hat einen guten Lauf genommen, obwohl es nicht immer einfach war.»
Auch russische Stücke
Es folgten Kammeroper München, Staatstheater Wiesbaden, später Hamburgische Staatsoper, Semperoper, Bayreuther Festspiele oder die Bayerische Staatsoper. Sie sang in Opern und sie liebäugelte mit dem Liedgesang, der sie mehr und mehr begeisterte. Auch Programme mit russischen Liedern gehörten dazu, Tschaikowsky, Schostakowitsch und andere. «Als dann der Krieg in der Ukraine ausgebrochen ist, hat mich das sprachlos gemacht. Es hat mich so schockiert, dass ich erst mal alles Russische abgelehnt habe, obwohl das ja zweierlei ist. Jetzt fange ich aber langsam wieder mit russischen Stücken an.»
Zufällig hatte Katharina Konradi in der gleichen Woche, als Russland den Krieg gegen die Ukraine begann, eine CD herausgebracht unter dem Titel «Russian Roots», auf der sie ihre russischen Wurzeln besingt. «Ich habe russische Komponisten der Nachkriegszeit ausgewählt und solche, die den Zweiten Weltkrieg miterlebt haben, also z. B. Schostakowitsch, Weinberg oder Gubaidulina. Ich wollte zeigen, dass auch die russische Kultur ein Teil von mir ist, obwohl ich aus Kirgistan komme.» Der Zeitpunkt war allerdings denkbar ungünstig.
Und Pop? Damit hatte es ja angefangen. Wäre sowas wie Taylor Swift auch etwas für sie? Katharina Konradi lacht laut. «Klar! Das würde ich total gern machen! Jede Musik interessiert mich. Ich hatte neulich einen Auftritt, wo ich Lieder von Friedrich Holländer gesungen habe. Ich hatte riesigen Spass an diesen Stücken aus den Zwanzigerjahren und ich denke, das könnte irgendwann auch ein Teil von mir werden, Chansons, mit etwas Tanz … ich habe es mir mal für die Zukunft vorgenommen.»
Liebe zu den Liedern
In der Gegenwart gibt es für sie neben der Oper aber vor allem Lieder. «Die ersten Lieder, die ich gehört habe, waren auf einer Schallplatte, die ich mir in einer kleinen Bibliothek in Pinneberg bei Hamburg ausgeliehen habe. Dort waren sie aussortiert worden, weil niemand mehr einen Plattenspieler besass. Wir hatten aber noch einen zuhause! Da hörte ich Platten von Dietrich Fischer-Dieskau, von Elisabeth Schwarzkopf und Hermann Prey. Da habe ich zum ersten Mal diese Highlights von Schubert und Schumann gehört und ich war hin und weg! ‘Gretchen am Spinnrad’ und der ‘Erlkönig’, das waren meine Lieblingslieder. Ich war so perplex, was für eine Dramatik darin steckt und welche Intensität. Das hat mich so fasziniert und ich habe angefangen, mich für Lieder zu interessieren. Es fasziniert mich, in drei Minuten eine Geschichte zu erzählen, sich mit voller Intensität hineinzulegen und in den nächsten drei Minuten kommt ein neues Bild und ein neues Gefühl. Es ist für mich wie eine kleine Oper, komprimiert auf drei Minuten.»
Ihrer Begeisterung für Lieder lässt sie auch Taten folgen. So hat sie ein Konzertprogramm zusammengestellt, das unter dem Titel «Insomnia» (Schlaflosigkeit) auch als CD erschienen ist. Da singt sie Lieder von Schubert und wird begleitet von Ammiel Bushakevitz, abwechselnd auf dem Klavier und auf der Gitarre! «Ja, eine seltene Kombination», sagt Katharina Konradi. «Meistens braucht man zwei Musiker dafür. Schubert selbst hat auch Gitarre gespielt und für Gitarre komponiert. So war das eine glückliche Fügung und bei Konzerten haben wir gespürt, dass das Publikum diesen Kontrast liebt und ganz still wird, wenn die Gitarrenlieder kommen.»
Und im Frühling Mozart
Momentan geniesst Katharina Konradi aber vor allem noch ihre Zeit in Zürich. Sie liebt die Stadt und würde am liebsten hier wohnen. «Ich erlebe Zürich als kulturell sehr reiche Stadt. Man findet alles. Und was ich unbedingt noch sehen will, ist die Sukkulenten-Sammlung. Als Kind hatte ich eine Sammlung von Sukkulenten und Kakteen. Ich war ein absoluter Fan von diesen Pflanzen, und alles was für Kirgistan möglich war, hatte ich. Ich bin total neugierig auf die Zürcher Sammlung.»
Vielleicht wäre das ja ein schönes Besichtigungs-Programm für den Frühling, wenn sie ohnehin für Mozarts C-Moll-Messe wieder nach Zürich und Bern kommt. Dann kann sie das Töchterchen gleich mitnehmen. Denn zurzeit reist sie noch mit der ganzen Familie an ihre Auftrittsorte. Ihr Mann war jahrelang als Korrepetitor und Kapellmeister tätig und kann Katharina Konradi beim Einstudieren einer neuen Rolle oder eines Konzertprogrammes mit Rat und Tat zur Seite stehen. «Unsere Tochter geht noch nicht in den Kindergarten und wir nutzen die Zeit, um vieles gemeinsam zu erleben. Sie geht auch gern mit ins Theater auf die Probe und lernt schon, was Konzentration bedeutet.»
Inzwischen ist der Kaffeebecher aus der Kantine längst leer, Katharina Konradi packt sich warm ein und macht sich auf den Weg in ihr temporäres Zuhause in Zürich. Ehemann und Töchterchen warten schon.
Opernhaus Zürich: Giuseppe Verdi «Un ballo in maschera»
Wolfgang Amadeus Mozart
Messe in C-Moll
5. April 2025 in Bern
6. April 2025 in Zürich