Was passiert gerade in und mit dem Iran? Genaues weiss man nicht. US-Präsident Trump hat jedenfalls Wort gehalten. Unmissverständlich hatte er immer betont, er wolle zurück zu einer Totalkonfrontation mit dem Iran.
Der angekündigte Sturm
Am 5. Oktober 2017 hatte der Präsident die ranghöchsten Militärs seines Landes im Weissen Haus versammelt. Nach dem Ende der Sitzung sagte er zu den Journalisten, vielleicht sei diese Sitzung „die Ruhe vor dem Sturm“ gewesen. Und auf die erneute Nachfrage von Reportern, ob er mit dem „Sturm“ das Atomabkommen mit Iran gemeint habe, sagte Trump: „Sie werden es bald erfahren.“
Und an diesem Freitag haben wir erfahren: Es weht aus Washington ein sehr heftiger Sturm gen Teheran. Manche optimistischen Europäer mögen besänftigen, es sei immerhin gut, dass Trump das Atomabkommen nicht völlig gekündigt habe; der Sturm werde irgendwann vorüberziehen; was Trump am Freitag gekündigt hat, sei nicht mehr als ein Anziehen der Daumenschrauben. Das werde doch die Machthaber in Teheran nicht sehr beeindrucken, sie hätten in den letzten vierzig Jahren bewiesen, dass sie sehr dicke Daumen besitzen.
Es ist wahr. Die Islamische Republik stand seit ihrem Bestehen praktisch unter einer internationalen Quarantäne. Mal hermetisch, mal gelockert. Sanktionen aller Art sind die Iraner seit 1979 gewohnt, es ist iranischer Alltag, unter internationaler Isolation zu leben. Und die Mächtigen im Lande sind Weltmeister, Umwege zu finden, um Sanktionen zu überstehen.
Ein sanfter Putsch
Doch andere meinen, diesmal geschehe etwas Grundlegendes. Im Windschatten dieses Unwetters, das aus Washington kommt, vollziehe sich ein sanfter Militärputsch, der den Iran für Jahre prägen werde. Oder es geschieht vieles gleichzeitig: Hermetische Quarantäne, Machzuwachs der Radikalen und am Ende die totale Herrschaft der Revolutionsgarden.
Und vieles deutet daraufhin, dass genau das eintritt, was die Pessimisten fürchten. Trump hat am Freitag das Atomabkommen weder gekündigt noch bestätigt. Er hat die Entscheidung dem US-Kongress überlassen. Spätestes in drei Monaten werden wir mehr wissen. Ein merkwürdiges amerikanisches Gesetz verlangt nämlich, dass der Präsident sich alle 90 Tage zum Abkommen äussern muss.
Es mag Diplomaten geben, die dieses Abkommen als ein aussenpolitisches Glanzstück betrachten. Doch darüber, dass er auch diese Hinterlassenschaft Obamas verabscheue, hat Trump nie einen Zweifel gelassen. Wer kündigt das Abkommen, oder wer hält das Damoklesschwert über den Iran? Trump oder Kongress? Das ist für die weitere Entwicklung im Iran einerlei. Die Pessimisten werden recht behalten. Die Reformer werden kleinlaut, die Radikalen mächtiger, die Menschen noch frustrierter. Das ist jedenfalls der Eindruck der iranischen Presseschau am Samstag, dem Tag nachdem Donald Trump seine neue Iran-Strategie verkündete.
Enttäuschung, Müdigkeit und Stress
Die Zeitung „Hamdeli“, ein den Reformern nahestehendes Blatt, ist wahrscheinlich exemplarisch für den Tag danach.
Der Chefredakteur schreibt: „Gestern Abend fand ich niemanden, der sagte, er habe keinen Stress, sei nicht müde und fühle sich nicht unsicher. Trumps Worte werden für unsere Region und die Welt Konsequenzen haben. Obwohl wir in den letzten Tagen vermuteten, dass es möglicherweise hart sein wird, sagten wir uns, warten wir es ab, was er sagt. Das Leben in Ungewissheit macht müde. Wir hatten uns vorgenommen, nach der Rede die Experten zu befragen, was diese Rede bedeutet. Will der US-Präsident mehr Zugeständnisse vom Iran? Lässt sich der Iran darauf ein? Was werden die Europäer machen? Sind sie bereit, in einem Feld zu spielen, dessen Regeln ein Verrückter bestimmt? Wird Rohanis Regierung die Schläge der Radikalen überleben? Wird das Gebäude der Sanktionen, das dabei war, langsam zusammenzubrechen, wiedererrichtet? Stehen wir vor einem Weltwendepunkt? Sind Sanktionen gegen die Revolutionsgarden, diese wirtschaftliche wie militärische Institution, überhaupt möglich?
Doch uns überfiel ein merkwürdiges Gefühl, eine Müdigkeit und Nervosität. Vielleicht deshalb verzichteten wir auf kleine und grosse Experten und Analytiker. Wir dachten, es reichte, wenn wir nur unser Gefühl wiedergeben und der Welt entgegenschreien: Wir sind müde. Von dieser Welt und ihren Politikern.“
Es ist keineswegs Gefühlsduselei. Sicherlich macht es sich der Leitartikler etwas leicht, wenn er die harten Fragen, die er stellt, nicht beantwortet. Sicherlich ist es ihm nicht möglich, seine Fragen wahrhaftig zu beantworten – aus Angst, wegen Zensur oder aus stilistischen Gründen. Doch das Gefühl, das dieser Chefradakteur äussert, ist echt, es ist das herrschende Gefühl überall, in den sozialen Medien, in persischsprachigen Sendern aus dem Ausland und sogar unter den Exiliranern.
Die Müdigkeit, der Stresse und die Enttäuschung wird das zumeist herrschende Gefühl der Iraner in den nächsten Jahren sein. Dass eine bleierne Zeit kommen wird, konnte man aus der Rede Präsident Rohanis entnehmen, die unmittelbar nach Trump im iranischen Fernsehen ausgestrahlt wurde.
Zwiespältig wie immer
Rohani wandte sich an die Iraner und die Welt und sagte, das Abkommen sei solider, als dieser Herr es sich vorstelle. Wie Trump bemühte auch Rohani die Geschichte. Er ging sehr weit zurück. Vom Putsch von 1953 sprach er, als mit Hilfe Amerikas die demokratisch gewählte Regierung Mossadegh gestürzt wurde, von US-Hilfe für Saddam Hussein während seines achtjährigen Krieges gegen den Iran, vom Abschuss einer iranischen Passagiermaschine samt ihren 300 Insassen – und dann sagte er, Trump möge ein bisschen Erdkunde lesen, dann würde er begreifen, dass das Gewässer im Süden Irans der persische Golf heisse, nicht der arabische. Und hier traf er einen Nerv. Darin sind sich alle Iraner, Freund wie Feind, mit ihm einig.
Man könnte einwenden, all das sei eher Literatur als harte Politik. Doch Rohani äusserte sich zum harten Kern der iranischen Macht. Revolutionsführer und die heldenhaften Revolutionsgarden sind im Herzen eines jeden Iraners eingepflanzt. Trump könne nicht mal ein Haar zwischen den geliebten Führer und das Volk schieben.
Das ist derselbe Rohani, der bis vor wenigen Wochen von Revolutionsgarden als von einem Staat im Staat gesprochen hatte, die alle Entwicklung des Landes behinderten. Das ist derselbe Rohani, der bei jeder Gelegenheit Khameneis Politik kritisierte. Doch die Zeiten sind vorbei. Plötzlich lassen sich Rohani und sein Aussenminister Zarin mit den Kommandeuren der Revolutionsgarden ablichten. Das ist nur die Oberfläche. Auch im Verborgenen vollzieht sich Entscheidendes.
Kleine Hoffnung aus dunklen Kanälen
„Amad“ bedeutet im Persischen: (er, sie, es) kam. Mehr nicht. Also ein Verb für die dritte Person singular. Das Wort ist einfach, einprägsam und klingt zudem neutral.
Dieses simple Wort steht seit drei Monaten für eine persische Webseite, die für so beispiellosen Furore sorgt, dass es fast alle Beobachter der Politikszene des Iran ratlos macht.
„amadnews.org“ zeugt von einem wahren Orkan, einem Machtkampf, der gnadenlos, heftig und ganz im Verborgenen, in den innersten Kreisen der iranischen Geheimdienste tobt. Aber wer steht hinter dieser Seite, was bezweckt sie und wie glaubwürdig ist sie?
Was man tagtäglich auf dieser Webseite liest, kommt einer politischen Bombe gleich. Diese Seite ist über „Telegram Messenger“ für die Mehrheit der Iraner erreichbar. Annähernd 23 Millionen Iraner nutzen diesen Internetdienst täglich und stundenlang als Informationskanal.
Verschwundene 2,3 Milliarden für Garden in Syrien
Mal berichtet die Webseite in mehreren Berichten und in allen Einzelheiten, wie Modjtaba Khamenei, der umtriebige Sohn des Revolutionsführers, der den Vater beerben will, vergeblich versucht habe, 2,3 Milliarden Dollar über eine afghanische Bank nach Syrien zu schaffen. Das Geld sollte dort im Bürgerkriegsland unter den kämpfenden Revolutionsgarden verteilt werden, doch diese Milliarden seien unterwegs in irgendeiner Bank der Vereinigten Arabischen Emirate verschwunden.
Die Enthüllung ist so detailliert, mit Namen, Datum, Uhrzeit und Dokumenten belegt, dass man sie kaum widerlegen kann – doch es kann sie auch niemand bestätigten. Das Verschweigen bleibt der einzig gangbare Weg, denn der Sohn des Revolutionsführers ist sakrosankt. Niemand kann ihm nahetreten, geschweige mit solchen Geschichten voller Anklagen.
Der mächtige Clan im Visier
Anfang August beschrieb „amadnews.org“ in einer unglaublichen Geschichte, wie der mächtige Chef der Justizbehörde, Ayatollah Sadegh Laridjani, ebenfalls als Khameneis Nachfolger im Gespräch, seit Jahren alle Bussgelder statt auf Justizkonten auf seine eigenen Privatkonten überweisen lässt. Der Bericht war genau recherchiert und mit zahlreichen Kontoauszügen belegt. Weder mit Verschweigen noch mit Dementi war die Sache zu überstehen.
Ayatollah Laridjani ist zwar ein sehr mächtiger Mann und als Justizchef nur dem Revolutionsführer unterstellt. Doch trotzdem gehört er nicht zu wenigen Auserwählten, die wie Modjtaba Kamenei als quasi Heilige, also als unantastbar gelten. Deshalb sorgte die Geschichte der umgeleiteten Bussgelder einige Tage für grossen Aufruhr. Zwei Parlamentsabgeordnete nahmen sich der Sache an. Doch dann geriet sie schnell in Vergessenheit, nach dem es hiess, alles sei rechtens, weil alles auf einen Befehl des Revolutionsführers zurückgehe.
Seit drei Wochen beschäftigt sich amadnews.org mit Lardjanis Tochter Sahra, die zurzeit angeblich als britische Spionin vernommen werde. Täglich liest man dort unglaublich Intimes und Haarsträubendes über den mächtigen Laridjani-Clan. Sadegh, der Justizchef, hat nämlich noch drei Brüder, die alle ebenfalls sehr mächtig sind. Der ältere Bruder Ali ist Parlamentschef und die beiden anderen sind mit der Kontrolle der Universitäten beschäftigt.
Geheimdienste unter sich
Alles scheint brisant, was amadnews.org schreibt, von allem hat man irgendwie gehört oder es geahnt. Doch verifizieren lassen sich alle diese Geschichten nicht. Der Grund ist einfach. Bei den sonst Gesprächswilligen, also den sogenannten Reformern, stösst man auf eine Mauer des Schweigens, denn mit mächtigen Revolutionsgarden oder dem Revolutionsführer will und kann man sich nicht anlegen. Und dieses Schweigen ist interpretierbar in allerlei Richtungen.
Für die Radikalen ist die Sache schon klar, sehr viele reden darüber: In den Webseiten der Revolutionsgarden, der Geheimdienste oder der Freitagsprediger wird amadnews.org als ein zionistisches Projekt tituliert, hinter dem diverse Geheimdienste stehen. „Fars“, eines der wichtigsten Portale der Revolutionsgarden, vermutete hinter amadnews.org einen vom türkischen Geheimdienst protegierten Nachrichtenkanal. Es ist müssig, herausfinden zu wollen, wer wen protegiert oder leitet.
Trump zwingt zur Radikaliserung
Eins aber ist unbestreitbar: amadnews.org ist offenbar das Sprachrohr jener Leute, die mit dem Geheimdienst sehr eng verbunden sind und Rohanis Politik einer Mässigung im Inneren und einer vorsichtigen Öffnung nach aussen unterstützen.
Doch Trumps Iranstrategie zwingt alle zur Umkehr, selbst die Webseite amadnews.org. Der Schulterschluss ist nun umfassend, Trump sei's gedankt.
Am Tage nach Trumps Rede veröffentlichte die Webseite am Samstag eine Geheime Anordnung der Revolutionsgarden zur Mobilmachung. Diese Alarmbereitschaft solle sowohl der sozialen Unruhe als auch einem amerikanischen Angriff begegnen können.
Die Reformer sind alle über Nacht zu glühenden Anhängern der Revolutionsgarden mutiert. „Alle Iraner sind Revolutionsgarden“, twitterte Industrieminister Schariatmadari am Samstag, und alle Kabinettsmitglieder folgten ihm.
Auf Anordnung Trumps behandelt das US-Finanzministerium seit Freitagabend die Garden wie eine Terrororganisation. Doch die Revolutionsgarden sind viel mehr als sich Trump vorstellt, diese Garden sind inzwischen zu einer Armee mutiert mit Wehrpflichtigen.
Publiziert mit freundlicher Genehmigung von Iran Journal