Ziemlich orientierungslos schlittert das italienische Parlament in die Wahl des Staatspräsidenten. Immer wieder werden neue Namen genannt. Ministerpräsident Mario Draghi werden nach wie vor Chancen eingeräumt, doch seine Wahl gilt längst nicht als gesichert.
Der erste Wahlgang am Montag im Römer Palazzo Montecitorio geriet erwartungsgemäss zur Farce. 1008 Wahlmänner und Wahlfrauen waren aufgerufen, ihre Stimme abzugeben.
Mehrere Parteiführer erklärten vor dem ersten Wahlgang, sie würden «leer» einlegen, also einen unbeschriebenen Wahlzettel in die Urne werfen. Altgediente Politiker sagten, die Ausgangslage sei selten so verworren gewesen wie jetzt: «Grande confusione».
Während der ersten drei Wahlgänge muss ein Kandidat oder eine Kandidatin mindestens zwei Drittel der 1008 der Stimmen erhalten. Das schafft wohl niemand.
672 Parlamentarier und Regionaldelegierte legten im ersten Wahlgang leer (weiss) ein. Einige andere benutzten die Stimmabgabe zu einem stillen Protest. So wurden für den vor 22 Jahren verstorbenen Sozialistenchef Bettino Craxi 4 Jux-Stimmen abgegeben. Der Favorit, Mario Draghi, erhielt keine einzige Stimme. All das bedeutet gar nichts. Spannend wird es ab dem vierten Wahlgang. Dann gilt nicht mehr die Zwei-Drittel-Mehrheit, sondern nur noch das absolute Mehr, also 505 Stimmen.
Hinter den Kulissen wird eifrig verhandelt, taktiert, gestritten: Matteo Salvini traf am Montag Mario Draghi. Das wichtigste Treffen am Montagnachmittag war wohl jenes zwischen Salvini und Enrico Letta, dem Vorsitzenden der Sozialdemokraten.
Salvini, der starke Mann in der rechtspopulistischen Lega, hört nicht auf zu wiederholen, Draghi müsse Ministerpräsident bleiben und nicht in das Amt des Staatspräsidenten wechseln. Nur so sei gesichert, dass die Regierung ihre konstruktive Arbeit fortführen könne.
Umberto Bossi allerdings, das Urgestein der Lega, hält Draghi für einen geeigneten Kandidaten für das Staatspräsidium.
Draghi oder Mattarella
Die Linke sagt, sie hätte zwei Optionen: Entweder wird Draghi Staatspräsident oder: «Mattarella bis», das heisst: Der bisherige 80-jährige Staatspräsident Sergio Mattarella soll erneut gewählt werden – und dann vielleicht in zwei, drei Jahren zurücktreten. Dies hatte – da man keinen Kompromisskandidaten fand – der damalige Staatspräsident Giorgio Napolitano 2013 vorgemacht.
Enrico Letta verhandelte am Montag auch mit Giuseppe Conte, dem früheren Ministerpräsidenten und heutigen Vorsitzenden der Protestbewegung «Cinque Stelle». Dabei war auch Roberto Speranza, bisher Gesundheitsminister und Chef der Linkspartei Articolo 1.
Giorgia Meloni, die Chefin der Postfaschistischen «Fratelli d’Italia», schlägt den eher unbekannten 75-jährige Carlo Nordio vor, ein ehemaliger Richter. Er ist sicher nicht der Traumkandidat der Linken.
Die kleinen Linksparteien Azione und +Europa unterstützen die 58-jährige frühere Verfassungsgerichtspräsidentin Marta Cartabia.
Silvio Berlusconi ist abgetaucht. Offenbar war es seine Tochter Marina, Vorsitzende seiner Finanzholding «Fininvest», die ihn schliesslich bewogen hatte, das Handtuch zu werfen. Der Gesundheitszustand des 85-Jährigen ist offensichtlich nicht so gut, wie er es im Wahlkampf vorgab. Ständig sucht er das Mailänder Spital San Raffaele auf, wo er «zu Routineuntersuchungen» weilt. Seine 54 Jahre jüngere aktuelle Freundin Marta Fascina hält fest zu ihm: «Berlusconi ist ein Riese in einem Theater von unbedeutenden Persönlichkeiten.»
Untere höhnischem Gelächter
Für einen Farbtupfer der eher schlichten Wahl sorgte Sara Cunial, eine 42-jährige inzwischen aus der Partei geworfene Abgeordnete der «Cinque stelle». Sie ist eine feurige Impfgegnerin und hatte die Justiz aufgefordert, ein Verfahren gegen Bill Gates wegen «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» durch die Impfkampagne einzuleiten. Ihr, der Ungeimpften, wurde am Montag der Zutritt zum Palazzo Montecitorio verwehrt – unter höhnischem Gelächter, was sie zur Weissglut trieb. Sie drohte, die ganze Wahl vom höchsten Gericht annullieren zu lassen.
Pro Tag findet nur ein Wahlgang statt; deshalb wird wohl auch am Dienstag und Mittwoch kein neuer Staatspräsident gewählt werden.