Schulden aufzutürmen, hat weltweit Hochkonjunktur. Das meistgeschluckte Medikament bei Kontostand null ist sozusagen rezeptfrei zu haben. Das Aspirin gegen leere Kassen rund um den Erdball ist längst salonfähig geworden. Das einzige Arzneimittel weltweit, das ohne Beipackzettel gehandelt wird. Für Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie … am besten die Märchentante.
Der globale Kollaps 2008
Die US-Bank Lehman Brothers steht als einer der Auslöser der weltweiten Verwerfungen, seither bemüht sich die Politik um Stabilisierungsmassnahmen – hinter vorgehaltener Hand allerdings weitgehend ohne jemand weh zu tun. Derweil inseriert die UBS im Oktober 2013 unübersehbar: „Die Finanzkrise. Haben wir wirklich daraus gelernt? Wir werden nicht ruhen UBS.“ Genau diesen Eindruck erweckt die Bank, nach Libor- und Devisenmanipulationsvorwürfen. Da bringen die „cleveren“ Werber diese Grossbank die Eigenbeurteilung auf den Punkt.
Die USA machen‘s vor
Die gigantische Verschuldung der USA ist seit 2009 von 10,7 Billionen auf 17,2 Billionen Dollar angestiegen. 17‘200‘000‘000‘000 US-Dollar. Im Oktober 2013 musste, nach wochenlangem, unwürdigem Hickhack in Washington der Höchstplafond der Verschuldung einmal mehr – mit Ach und Krach im wahrsten Sinne des Wortes – angehoben werden, im Februar 2014 erneut.
Seit Ausbruch der Krise führt die US-Notenbank eine rigorose Tiefzinspolitik mit negativen Realzinsen, kauft für Billionen Dollar Wertpapiere und „stimuliert“ so die Wirtschaft. Derweil steigt die Verschuldung weiter an. Wer erinnert sich noch daran, dass eben die (private) Verschuldung das ganze Schlamassel 2007/2008 ausgelöst hat? Kritiker dieser Geldpolitik sind der Ansicht, das Fed wisse derzeit gar nicht, was zu tun sei.
Die Welt zieht nach
Als wäre nichts geschehen, sind die „too big to fail“-Banken inzwischen noch grösser geworden. Die unappetitliche Spekulation mit „Finanzpapieren“ erklimmt täglich neue Höhen. Die Symptombekämpfung des schwerkranken Patienten erweist sich als wirkungslos. Das Finanzsystem ist weder stabiler, noch ist die Lage der Wirtschaft rosiger geworden. Dem kurzfristigen Scheinaufschwung droht der Schnauf schon wieder auszugehen.
Heute ist ein grosser Teil der Staaten überschuldet. Immer wieder schieben sie die Sanierung ihres Haushalts vor sich her, wie ein Schneeball, der dabei immer grösser wird. Dabei sind die Schuldenstatistiken stark beschönigend. Sie verheimlichen die impliziten Schulden – z.B. die zukünftigen, schon heute erkennbaren Ausgaben für die Renten- und Gesundheitssysteme. Das heisst u.a. nichts anderes, als dass die heutigen Rentner auf Kosten der jüngeren Generation leben. Die alte Regel, die besagt, dass die langfristige Heilung eines Erkrankten nur mit Ursachen- und nie mit Symptombekämpfung gelingt, wird im Krankheitsfall Schuldenwirtschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit Sand zugeschüttet, um darauf den Schuldenturm zu errichten.
Das Tief über dem Mittelmeer
Das erste Gewitter ging 2010 über Griechenland nieder. Den „Hagel“-Schaden deckte vorerst die „Hagel“-Versicherung: Der Internationale Währungsfonds (IWF) zeigte sich grosszügig, trotz vielerlei Warnungen von „Wetter“-Experten. Heute wissen wir, dass mit den Krediten von über 30 Milliarden Euro vor allem jene europäischen Finanzinstitute gerettet wurden, die während Jahren marode griechische Staatspapiere gekauft hatten – der hohen Zinserträge wegen. Und weil dadurch die Bankengewinne und persönlichen Bonizahlungen weiter sprudelten.
Dazu schrieb der Economist (October 26th, 2013) lakonisch: „Mrs. Merkel has been far tougher on Greece than on the German banks that lent the Greeks so much.” (Frau Merkel zeigte weit mehr Härte gegenüber Griechenland, als gegenüber deutschen Banken, die den Griechen so viel Geld ausgeliehen hatten). Inzwischen sind bald vier Jahre vergangen und in Griechenland steigt die Verschuldung weiter.
Die „Dicke Bertha“ der EZB
Mario Draghi, Präsident der EZB, bezeichnete Ende 2011 „seine“ Geldspritzen für notleidende Banken als „Dicke Bertha“, in Anlehnung an die besonders grosskalibrige Geschütze im Ersten Weltkrieg. Jene Dreijahreskredite in der Höhe von 1000 Milliarden Euro sollten vor allem die Liquidität italienischer, spanischer und portugiesischer Banken sicherstellen - auch die Banken anderer EU-Länder griffen ungeniert und dankend zu. Damit mutierte die Krise von einer akuten zu einer chronischen. Ende 2014 werden die drei Jahre vorbei sein und schon pfeifen es die Spatzen von den Dächern: Italien und Spanien sind klar im Rückstand mit ihren Rückzahlungen. Doch bereits wedelt Draghi mit neuen LTRO (Long Term Refinancing Operations).
Der einfache Mann auf der Strasse lernt: Den Banken wird immer geholfen, ihr schuldenbasiertes Geschäftsmodell fröhlich weiter zu fahren. Und er fragt sich wohl, warum kranke Banken durch die EZB weiterhin am Leben erhalten werden. Die Staatsschulden Italiens sind derweil auf 2‘075 Milliarden Euro (127% des BIP, Stand Juni 2013) angewachsen, jene Spaniens auf knapp 1‘000 Milliarden Euro (84% des BIP, Stand Herbst 2013) und jene Portugals auf 200 Milliarden Euro (129% des BIP, Stand Herbst 2013). Die Frage muss erlaubt sein: werden hier nicht ineffiziente Wirtschaftsstrukturen künstlich am Leben erhalten? Wer, wie ich, oft in Italien weilt, findet täglich Beispiele, wie völlig unproduktive „Gewohnheiten“, dank der Macht der Gewerkschaften, überleben, als sei nichts geschehen.
Musterschüler Schweiz?
Viele mögen jetzt denken: Glücklicherweise kennen wir hierzulande diese Probleme nicht. - Da mag die akribische Statistik des Finanzdepartements aufklärend wirken. Tatsächlich ist bei uns die Staatsverschuldungsquote in Prozenten des BIP von 2003 auf 2013 von 65,8% auf 45.5% gesunken. Doch weist die Schweiz gleichzeitig eine der höchsten privaten Verschuldungsraten der Welt auf. Diese lag Ende 2012 bei durchschnittlich CHF 93‘800 pro Kopf.
Hauptgrund sind natürlich die Hypothekarschulden. In Prozenten des BIP gemessen ist die Hypothekarverschuldung der privaten Haushalte von 1998 mit 72% bis 2012 auf 106% gestiegen. Gemäss NZZ (15.10.13) liegen da die Länder der EU und vor allem unsere Nachbarn deutlich tiefer, unter 50%. Da werden Erinnerungen wach. Wie war das 1990 mit der grossen Immobilienkrise in der Schweiz? Damals mussten unsere Banken über CHF 40 Milliarden an faulen Krediten abschreiben. Niemand hatte vorgängig mit Preiseinbrüchen gerechnet. Renditeliegenschaften büssten bis zu 30% ihres Wertes ein. Vorher hatten Immobilien als „sichere“ Anlagen gegolten. Und heute? Wer versteckt sich hinter „niemand“?
Geld drucken aus dem Nichts
Die Zentralbanken versorgen ihre Länder, als Kreditgeber letzter Instanz, mit druckfrischem Papiergeld. Dies wiederum erlaubt den Banken, ihre Reserven tief zu halten und gleichzeitig immer gewaltiger Bilanzgebäude (Bilanztürme?) zu errichten. Budgetdefizite vieler Staaten gehören zur Tagesordnung. Detlev Schlichter sagt es so: „Die Schaffung von Bankkrediten aus dem Nichts führt nach wie vor zu künstlichen Aufschwüngen und bedingt Fehlverwendungen von Kapital. […] Konjunkturelle Altlasten wurden so durch Abschwünge durchfinanziert, statt liquidiert zu werden […], die Ungleichgewichte türmen sich auf, noch grössere Krisen sind letztlich unausweichlich“ (schweizer monat, Ausgabe 1010, 2013).
Die deutschen Verfassungsrichter haben im Februar 2014 erstmals signalisiert, dass sie diese Politik des unlimitierten Aufkaufprogramms von Anleihen der krisengeschüttelten Euroländer (OMT-Programm) durch die EZB als nicht vereinbar mit der deutschen Verfassung halten. Sie haben das Problem vorerst an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) weitergereicht. Sollten die Strassburger Richter zu einem anderen Urteil kommen, könnte sich daraus eine Verfassungskrise in Europa entwickeln. Der EuGH wird momentan von einem griechischen Richter präsidiert…
Der steinige Weg vor uns
Der Ausstieg aus dieser expansiven Geldpolitik schieben die Verantwortlichen also weiterhin vor sich hin. Er dürfte sehr steinig werden, die Betroffenen werden sich zu wehren wissen, und den Politikern wird das nicht gefallen. Zu sehr und zu lang haben sie sich auf dem Ruhebett der Zentralbanker wohlgefühlt.
Der Schuldenturm ist natürlich nicht vergleichbar mit dem Turmbau zu Babel, wie könnte er. Doch, überschätzen sich da nicht einige? Die „babylonische“ Sprachverwirrung ist heute zwischen Vertretern von Politik, Bank und Gesellschaft eklatant: Keiner versteht die Sprache des andern mehr.
Können Schulden beliebig (in den Himmel) wachsen? Und wer soll das dereinst bezahlen? Unsere Nachkommen?