Zuerst haben sich die deutsche und die europäische Diplomatie mit Angeboten geradezu überschlagen, im heraufziehenden ägyptischen Bürgerkrieg zwischen dem Militär und den Moslembrüdern zu vermitteln und beide Seiten zur Mässigung aufzufordern. Wie manche ihrer Partner bestellte auch Berlin den ägyptischen Botschafter ein und wartete auf politische Initiativen aus Washington. Als ob die beiden Oppositionsrepublikaner John McCain und Graham Lindsey bei ihrem Besuch in Kairo – pikanterweise mit dem Segen Barack Obamas ausgestattet – keine Abfuhr erlitten und daraus die Konsequenz gezogen hätten, beleidigt über ihre Gesprächspartner herzuziehen!
Wirkungslose westliche Diplomatie
Selbst der nahostpolitisch erfahrene stellvertretende Aussenminister William J. Burns kehrte unverrichteter Dinge nach Washington zurück. Der Besuch der EU-Aussenbeauftragten Catherine Ashton beim unter Strafarrest stehenden Mohamed Mursi erwies sich als ein geschicktes Täuschungsmanöver der Machthaber in Kairo.
Inzwischen drohen die Spitzen der Europäischen Union mit der generellen Überprüfung der diplomatischen Beziehungen einschliesslich des Freihandelsabkommens von 2004 – und sehen sich wiederum mit dem Vorwurf der unstatthaften Einmischung in die ägyptische Innenpolitik konfrontiert. Dass Saudi-Arabien und Qatar der „arabisch-islamischen Nation“ Ägypten unter der Ägide des Generalstabs mit Milliardenbeträgen zu Hilfe eilen, ist als eine kräftige Ohrfeige für die USA gedacht, zumal selbst die Protestbewegung „Tamarod“ („Rebellion“) die westliche Militärhilfe ablehnt.
Abbruch der Demokratisierung
Die Erleichterung in der ägyptischen Öffentlichkeit über die inszenierte Entmachtung Mursis und das Ende seiner Politik der gesellschaftlichen Spaltung ist längst verflogen. Denn konnte man dem Präsidenten während seiner gerade einmal zwölfmonatigen Amtszeit die Schwächung des Rechtsstaates, schwere Menschenrechtsverletzungen und die Vernachlässigung eines moderaten wirtschaftlichen Aufschwungs vorwerfen, so stellt das Blutvergiessen mit mehr als tausend Toten seit dem 14. August alle früheren Vorwürfe in den Schatten. Die Idee eines demokratischen Wandels ist auf der Strecke geblieben; liberale Muslime wie Mohamed El-Baradei haben sich aus der politischen Verantwortung zurückgezogen. Es dürfte Generationen dauern, um die Bruchstücke zusammenzufügen. Das historische Gedächtnis ist lang.
Dem Westen sind offensichtlich aus mehreren Gründen die Hände gebunden, so dass er nicht vermittelnd und mässigend einzugreifen vermag. Da sind zum einen die erheblichen handelspolitischen Interessen. So ist Ägypten etwa für die deutsche Exportindustrie nach Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten der bedeutendste Absatzmarkt mit Produktions- und Dienstleistungsstätten vor Ort sowie mancherlei Privilegien. Hinzu kommt die Sorge um die ungehinderte Schiffahrt durch den Suezkanal als strategisch ausschlaggebender Verkehrsroute nach Afrika und in den Mittleren Osten, nach Pakistan und Afghanistan.
Westliches Scheitern wiederholt sich
Die Erfahrungen des Scheiterns beim Versuch, in den israelisch-palästinensischen Konflikt regelnd einzugreifen, wiederholen sich in Ägypten, zumal da – wie der Besuch des Stabchefs der US-Armee Martin Dempsey in Jerusalem belegt – Israel wie ein Unterpfand der eigenen Sicherheitskonzepte dasteht. Amerikanische und europäische Drohungen, gemeinsame Seemanöver abzusagen und die Lieferung von Rüstungsgütern auszusetzen, hinterlassen in Ägypten keinen nachhaltigen Eindruck, zumal da Kairo auf Israels diplomatische Schützenhilfe zurückgreifen kann und damit rechnet, der Nachbar werde in Washington für die Fortzahlung der Militärhilfe an Ägypten werben – auch um Erpressungsmanövern aus Moskau zu entgehen, das versucht sein könnte, kompensatorisch einzuspringen.
Israels Anspruch, einzige Demokratie in der Region zu sein (wenn auch mit Generälen in der politischen Führung von Moshe Dayan über Yitzhak Rabin über Ehud Barak bis zum gegenwärtigen Verteidigungsminister Moshe Yaalon) legitimiert das Land, wie im Falle Bashar Al-Assads in Syrien nun das erneute Heraufziehen einer Militärdiktatur in der Nachbarschaft beklagen.
Israel zieht seine Politik ungehindert durch
Seit dem euro-arabischen Barcelona-Prozess von 1995 sind Milliardenbeträge in die Westbank geflossen, ohne dass man dem Ziel eines souveränen Staates Palästina einen Schritt nähergekommen wäre. Warum sollten Europäer und Amerikaner gerade jetzt auf die Bildung eines weiteren Staates drängen in einer Zeit, in der sich das geostrategische Glacis in allen Teilen der Region im Umbruch befindet?
Da die Regierung Benjamin Netanjahus mit allen Kräften daran arbeitet, dass sich die Sinai-Halbinsel nicht zum Aufmarschgebiet islamistischer Kräfte und frustrierter Beduinen entwickelt, hat Angela Merkels „Staatsräson“-Doktrin durch diese asymmetrische Kriegsführung eine neue Erweiterung erfahren. Dagegen ist Berlins parlamentarische Opposition, von Einzelstimmen abgesehen, in politische Sprachlosigkeit verfallen. Nur die „Linke“ sieht sich mit ihrer seit langem bekannten Forderung nach einem Verbot von Waffenexporten auf der Höhe der Aktualität, den Machthabern in Kairo die proklamierte „eiserne Faust“ zu entwinden.
Abwehr westlicher Belehrungen
Einmal mehr sucht sich die arabische Welt der auswärtigen Bevormundung zu entziehen, ohne sich zu einer eigenen klaren Perspektive zu bekennen. Dass sich ihre Autokraten der Anhänger des politischen Islam entledigen wollen bis hin zum ägyptischen Versuch, die Moslembruderschaft als terroristische Vereinigung zu verbieten, wird eine Mobilisierung der Willkür auslösen, zumal wenn ihre politischen Ableger, die „Partei für Freiheit und Gerechtigkeit“ sowie die „Partei des Lichts“, ihrer Führung beraubt sind. In dieselbe Richtung der Spiralwirkung dürften die geplante Entlassung Hosni Mubaraks und die Festnahme von Mohamed Badie laufen – jenes geistlichen Führers der Moslembrüder, der sich zunächst um eine Deeskalation der Gewalt bemühte, bis ihn die Massaker der Sicherheitskräfte und der Tod seines Sohnes Amar auf einem harten Kurs zusteuern liessen, der auch der Spaltung in den eigenen Reihen entgegenwirken sollte.
All diesen Verwerfungen und Antagonismen lässt sich durch europäische Projekte zur Stärkung von Demokratie und Menschenrechten nicht Einhalt gebieten. Den Ausweg aus Illusionen und Fehlschlüssen kann nur eine selbstkritische und konstruktive Bestandsaufnahme der bisherigen Aussen- und Sicherheitspolitik Europas liefern. Da sie seitens der 28 Mitgliedsstaaten schwerfällt, wird das Prinzip des Krisenmanagements als Ausdruck der politischen Schwäche auch künftig die Oberhand behalten. Die Krisen im Nahen Osten finden in der substantiellen Hilflosigkeit Europas ihren Widerpart.