Natürlich sorgen jährliche Millionenbezüge im zweistelligen Bereich einzelner selbsternannter Übermenschen für Kopfschütteln. Erfolgreich lässt sich auch die ungleiche Verteilung der Einkommen und Vermögen als Spaltpilze der Gesellschaft bewirtschaften. Und Armut gibt es tatsächlich. Die drei Begriffe sollten jedoch sachlich ausgeleuchtet werden, möglichst ohne politisch-ideologische Hintergedanken.
Wohlständige Schweiz
Wenn es darum geht, den Erfolg der Schweiz im internationalen Vergleich darzustellen, sind also Propaganda und Mythen beiseitezulassen. Weder gesetzliche Mindestlöhne, noch Extrablätter mit dem Gesslerhut auf der Stange sorgen für Klärung oder sachliche Information.
Die Schweiz ist ein reiches Land. Dass dem so ist, dazu haben Generationen vor uns das Fundament gelegt. Tobias Straumann, Professor an der Universität Zürich, zieht nüchtern Bilanz: Als Folge des westeuropäischen Wirtschaftswunders über den Zeitraum vom 250 Jahren in der Folge der industriellen Revolution ist das Prokopf-Einkommen um den Faktor 20 gestiegen. In der Schweiz sorgten energische Unternehmer, gut ausgebildete, motivierte, arbeitswillige Menschen und damit einhergehende Produktionsfortschritte für steigenden Wohlstand.
Gerne spricht Straubhaar auch von der „blauen Banane“ als Wachstumsgürtel. Seit 1000 Jahren schon sind Städte zwischen Norditalien und England Wohlstandstreiber. Unser Land liegt mitten in dieser Zone und Schweizer Kaufleute, Händler und „KMU“ nutzten erfolgreich den Standortvorteil.
Die Reformation führte zur Aufwertung der Bildung; im 19. Jahrhundert folgte die Einführung der allgemeinen Schulpflicht. Die Textilindustrie mit den Baumwollspinnereien erblühte, aus den Textilfärbereien entwickelte sich die chemische Industrie. Uhren- und Lebensmittelindustrie etablierte sich, 1860 war die Schweiz das am stärksten industrialisierte Land Europas. Und schliesslich entstanden moderne Banken und Versicherungen.
Diese Abfolge von Innovationen ist beeindruckend. Natürlich wurden wir später von zwei Weltkriegen verschont und oft auch zum Hort von Fluchtgeldern, doch werden diese beiden Umstände oft und gelegentlich auch absichtlich überbewertet.
Die Schweiz im Vergleich
Die Schweiz belegt im Human-Development-Index des Jahres 2013 der UNO Platz 9. Die vom Bundesamt für Statistik publizierte Statistik des Vergleichs des materiellen Lebensstandards setzt die Schweiz hinter Norwegen und Luxemburg auf Platz 3 in Europa.
Was die Ungleichheit der Einkommen betrifft, rangiert unser Land gemäss BfS im unteren Mittelfeld. Der gemessene Wert von 4,4 bedeutet, dass das Fünftel der höchsten Einkommen 4,4 Mal grösser ist als jenes der tiefsten. Das Mittel in Europa liegt übrigens bei knapp über 5,0.
Relative Armut
In der EU gibt die Statistik der „relativen Armut“ Anlass zu Missverständnissen. Mit weniger als 40 Prozent des mittleren Einkommens ist man sehr arm, mit weniger als 50 Prozent arm und mit weniger als 60 Prozent armutsgefährdet. Damit wird Armut im wohlhabenden Deutschland zu einem Massenphänomen. Experten sprechen von „bedarfsgewichtetem Käse“.
DIE ZEIT rät deshalb, „über die allzu simple Geschichte von der wachsenden Armut noch einmal genau nachzudenken“.
René Scheu spricht im SCHWEIZER MONAT von der „Kluft zwischen realem Wohlstand und gefühltem Unwohlsein“. Und er zitiert gleich noch den Philosophen Peter Sloterdijk, der die allgegenwärtige Verwöhnungskultur als „Amalgam aus kampfloser Freiheit, stressfreier Sicherheit und leistungsunabhängigem Einkommen“ bezeichnet hat. Tatsächlich gilt auch in der Schweiz als armutsgefährdet, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verdient. Gemäss BfS waren 2012 somit 590‘000 Personen von „Einkommensarmut“ betroffen. Weniger fettgedruckt ist der Nachsatz der gleichen Statistik: „Innert fünf Jahren hat die Armut um 1,6% abgenommen.“ Die Situation der armen Bevölkerung hat sich somit verbessert, da sich ihre Einkommen der Armutsgrenze angenähert haben.
So oder so: bemerkenswert scheint, dass sich demnach – je höher die obersten Einkommen tendieren – die Armutsgrenze automatisch nach oben verschiebt. Relative Armut, eben.
Die „ausgehöhlte“ Mittelklasse
Ob die Mittelschicht tatsächlich, wie oft behauptet, im Zug der „Einkommensexplosion“ oben und der „Unterstützungsinflation“ unten, ausgequetscht werde, ist eher inszenierte Fragestellung als erwiesene Tatsache. Der Zorn dieser Leute, die der Mittelschicht zugeordnet werden, richtet sich ja mal gegen die Zuwanderung, mal gegen das Politestablishment, mal gegen unverschämte CEOs oder ganz einfach gegen die Steuerbehörden.
So schlecht kann es allerdings wohl nicht sein. Lohnstagnation ist beklagenswert, doch: es gibt seit drei Jahren auch keine Teuerung. Früher, vor gut 30 Jahren, stiegen die Löhne alljährlich, gar um mehrere Prozentpunkte. Doch die Jahresteuerung betrug damals zeitweise … über fünf Prozent.
Betrachtet man die Statistiken über Autokäufe, Flugreisen, Wellnessangebote gibt es ein klares Indiz: es ist die Mittelklasse, die sich immer mehr leisten kann. Es ist ihr zu gönnen! Im TA gab es diesen Winter eine Statistik zu lesen „Wo der Mittelstand prosperiert“.
Wachsende Kluft zwischen arm und reich?
Avenir Suisse Direktor Gerhard Schwarz kam im November 2014 in der NZZ zum Schluss: „Die Schweiz bewegt sich bei der sozialen Mobilität im oberen Mittelfeld, etwa auf gleicher Höhe wie die USA. Und zu glauben, mittels Umverteilung könne man die soziale Mobilität stärken, ist ein Trugschluss, allerdings ein, wenn man um die Hintergründe weiss, vermutlich aus ideologischen Gründen bewusst herbeigeführter Trugschluss“.
Nicht abzustreiten ist die Tatsache, dass die Kluft zwischen Reichen und Armen, Gewinnern und Verlierern, weltweit stetig wächst. Die entsprechenden Statistiken lügen nicht. Doch was heisst das? Werden die ärmeren Schichten dadurch ärmer? Solche Vergleiche sind zu kurzatmig. „Noch nie war die Kluft grösser!“, empören sich einige Journalisten. Dieser Ausruf ist wohl etwas ignorant, bezieht man die geschichtliche Vergangenheit unseres Kontinentes mit ein. Noch nie in den letzten 60 Jahren sollte es wohl fairerweise heissen.
Die jungen Reichen
Die neueste „Forbes“-Liste der Reichsten dieser Welt zeigt: Noch nie (!), nochmals: noch nie waren so viele Milliardäre jünger als 40! Angeführt von Mark Zuckerberg (Facebook), gefolgt von Dustin Moskovitz (Facebook), Jan Koum (Whatsapp): sie alle sind jung, viele sind Start-up-Unternehmer, Technologie-Freaks. Nicht wenige haben ihr Studium vorzeitig abgebrochen. Auch die jüngste Frau auf dieser Hitparade (auf Platz 8) ist Gründerin eines eigenen Unternehmens und hatte die Universität mit 19 Jahren verlassen.
Diese superreichen Unternehmer sind zwar für die wachsende Kluft zwischen arm und reich mitverantwortlich, doch wird man ihnen dies wohl nicht zum Vorwurf machen können. Auch nicht, es handle sich um Erben, die unverdient zu Geld und Reichtum gekommen wären.
Das Kapital im 21. Jahrhundert
Die medial angeheizte Diskussion um „wachsende Ungleichheit“ und deren gefährlichen Folgen für die Gesellschaften bezieht sich oft auf Thomas Piketty‘s „Das Kapital im 21. Jahrhundert“. Der über 800-seitige, Respekt einflössende Wälzer des Professors an der Paris School of Economics, sollte genau gelesen werden, bevor darüber berichtet wird.
Die Prognosearbeiten Piketty‘s für das 21. Jahrhundert sind dagegen offensichtlich zu stark beeinflusst von der französischen, sozialistisch geprägten Idee der Regulierung jeglicher Ungleichheit durch den Staat. Natürlich ist ein Einfluss der Erbschaften feststellbar, doch ist die Basisüberlegung, dass langfristig Kapitalerträge höher ausfielen als ökonomisches Wachstum und darum die Ungleichheit zunehme, eine abenteuerliche Schlussfolgerung.
Ausführlich wird zum Schluss des Buches für eine globale Kapitalsteuer zur Regulierung der Ungleichheit plädiert. Wolle die Demokratie die Kontrolle über den globalisierten Finanzkapitalismus zurückgewinnen, sei eine moderate – weltweit identische – Kapitalsteuer von 1-2% weit sinnvoller als eine Erbschaftssteuer. Theoretisch kann dem sicher zugestimmt werden. Doch: weltweit gleiche Steuern, eine wohlgemeinte Utopie?
Wohlstand in der Schweiz
Bekanntlich kennt die Schweiz neben der Einkommens- schon längst auch eine Vermögenssteuer für jene, die über Eigentum verfügen. Somit ist unser Land geradezu fortschrittlich aufgestellt, was faire Steuern betrifft. Dieser Umstand geht in der medialen Berichterstattung oft vergessen. Wir tun wohl gut daran, „unserem“ Wohlstand Sorge zu tragen.