Vermutlich im Juni 2015 wird die Initiative „Millionen-Erbschaften besteuern für unsere AHV“ zur Abstimmung gelangen. Die frohe Botschaft, wonach diese Reform „den meisten dienen und zu keiner Belastung führen würde“, trägt alle Züge eines Danaergeschenkes: Es dürfte sich für die Empfänger als unheilvoll und schadenstiftend erweisen. Bundesrat, Ständerat und Nationalrat lehnen die Initiative deshalb aus guten Gründen ab. Einmal mehr lohnt es sich, beizeiten darüber nachzudenken, was nicht in der Initiative, aber auf dem Spiel steht.
Verteilungsgerechtigkeit?
Die in unserem Nachbarland Frankreich seit vielen Jahren politisch und medial propagierte Umverteilung wirkt sich dort selbst offensichtlich desaströs aus. Dies gilt auch für die französische Erbschaftssteuer. Der Lockruf mobilisiert dennoch viele Menschen. Womöglich eine Mehrheit, die sich davon persönlichen Gewinn verspricht. Man nehme denen, die haben: schlicht zu einfach gedacht.
Deshalb Achtung: „Dies ist ein Klassenkampfmittel, über Risiken oder Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arbeitgeber oder Patron und lesen Sie das Kleingedruckte.“ Oder fragen Sie sich ganz einfach, warum der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) der Meinung ist, „es handle sich hier um eine gerechte, faire und nützliche Steuer“.
Wie bei der kürzlich abgelehnten „Gold-Initiative“ verstecken sich hinter den vordergründig einleuchtenden Argumenten der Initianten schwerwiegende Konsequenzen, die entweder bewusst verschwiegen oder, in ihrer Gesamtheit, von den Stimmberechtigten nicht erkannt werden sollten. „Hätte ich das gewusst, hätte ich nicht zugestimmt!“ Im Nachhinein ist man klüger, aber oft ist es dann zu spät.
In unserem Land käme diese Idee – diesmal im Tarnanzug „für unsere AHV“ – nicht nur einem Eingriff in gefestigte und wohl erworbene Rechte des Bürgers gleich. Sie würde auch eine grobe Verletzung der Rechtsgleichheit darstellen. Schweizerinnen und Schweizer sind zurecht stolz darauf, in einer Demokratie zu leben, in der Geld und Güter, die sie während ihres Lebens rechtmässig erworben, gespart und vermehrt haben, nicht am Tag X vom Staat rückwirkend enteignet werden.
Rückwirkungsprinzip und Ausführungsvorschriften
Bevor näher auf die Beweggründe der Initianten (EVP, SP, Grüne und Schweiz. Gewerkschaftsbund) und die Argumente der ablehnenden Kreise (Bundesrat, National- und Ständerat, FDP, SVP, GLP, CVP) eingegangen werden soll, gilt es, einen Blick auf jene Punkte zu werfen, die auf der Homepage der Initianten schlicht ausgeklammert werden. Warum, darf man sich fragen?
In der Aufzählung der Inhalte steht kein Wort darüber, dass es in den Übergangsbestimmungen (Art. 197 Ziff. 9) heisst: „Schenkungen werden rückwirkend ab 1.1.2012 dem Nachlass zugerechnet (Abs. 1).“ Auch in Abs. 2 versteckt sich Sprengstoff: „Der steuerpflichtige Nachlass setzt sich zusammen aus (1.) dem Verkehrswert der Aktiven und Passiven im Zeitpunkt des Todes.
Der Ständerat hat im Herbst 2014 die Volksinitiative abgelehnt. Wie Prof. Hans Giger (Uni Zürich) bereits im Sommer 2014 darlegt hat, geht es beim Rückwirkungsprinzip um die „Ansprüche auf Gerechtigkeit, Gleichheit und Unantastbarkeit einer grundsätzlich vor Eingriffen zu schützenden Freiheit des Bürgers. […] Die Aufnahme einer Rückwirkungsklausel in unsere Rechtsordnung verstösst gegen mehrere bundesverfassungsrechtliche Normen. […] Gemäss Bundesgericht sind indessen fiskalische Gründe grundsätzlich nicht ausreichend, [für eine Rückwirkung], ausser es besteht Gefahr für die öffentlichen Finanzen.“
Der harmlos, fast beiläufig präzisierte „Verkehrswert“ der Aktiven ist besonders perfid. Aus dem Beispiel Liegenschaften ist bekannt, dass zwischen dem Steuerwert und dem Verkehrswert zum Teil enorme Differenzen bestehen. Im Kanton Zürich wird der Steuerwert periodisch an die effektiven Mietzinseinnahmen angepasst, damit der Fiskus nicht zu kurz kommt. Dass der Verkehrswert im Verkaufsfall weit höher liegen kann ist allgemein bekannt. Mieterinnen und Mieter können davon ein Lied singen, wenn die Folgen eines Handwechsels spürbar werden: happige Mietzinserhöhungen.
Würde der Verkehrswert als Basis der Erbschaftssteuer festgelegt (von wem, notabene?), dürfte der weggesteuerte Betrag konfiskatorische Höhen erreichen, die sich für die Erben in vielen Fällen als schwer verdaubar auswirkten. In letzter Konsequenz hätten somit wiederum Mieterinnen und Mieter das Nachsehen.
Ziel der Initianten
Die Initianten werben auf ihren Homepages (z.B. SGB) mit Schlagworten. Durchleuchtet man sie, werden Ungereimtheiten sichtbar. So heisst es etwa: „Die höchst ungleiche Verteilung der Vermögen in der Schweiz widerspricht dem liberalen Gedanken der Chancengleichheit. Erbschaften, selbst in Milliardenhöhe sind häufig steuerfrei. Die Erbschaftssteuer ist eine gerechte Steuer. Es soll auch die Renten beziehende Generation mit einer moderat ausgestalteten Erbschafts- und Schenkungssteuer zur Finanzierung der AHV beitragen“.
Unter liberalem Gedankengut verstehen Schweizerinnen und Schweizer allerdings eher das freiheitliche Leitziel des Liberalismus an sich, also die Freiheit des Individuums vornehmlich gegenüber staatlichen Eingriffen oder staatlicher Gewalt. Erbschaften, wie oben zitiert, sind nie unversteuert entstanden. Sie wurden als Einkommen und Vermögen bereits zweimal, zum Teil dreimal versteuert. Somit ist die beabsichtigte Erbschaftssteuer das Gegenteil von gerecht. Wie man eine solche in der Höhe von 20 Prozent als „moderat ausgestaltet“ bezeichnen kann, ist wohl beabsichtigte Verharmlosung. Das Ganze tönt sehr nach klassenkämpferischer Ideologie.
Paul Rechsteiner, wortgewaltiger SP-Ständerat und Gewerkschafter, bezeichnet die Initiative als „liberales Anliegen“. Es gäbe keine gerechtere Steuer, betonte er anlässlich der Debatte im Ständerat im Herbst 2014. Dem hielt Verena Diener (GLP), Präsidentin der SPK (Staatspolitische Kommission), in der NZZ entgegen, es sei eine „bedenkliche Entwicklung, dass Volksinitiativen zunehmend grundlegende Prinzipien des Rechtsstaates infrage stellten“.
Bedenken der Gegner
Viele steuerliche, volkswirtschafte und staatsrechtliche Gründe sprechen gegen die Initiative. Am Beispiel des Kantons Zürich kann errechnet werden, dass über den Zeitraum von 35 Jahren die Vermögenssteuer, getoppt mit 20 Prozent Erbschaftssteuer, zu einer fiskalischen Gesamtsubstanzbesteuerung von 55 Prozent führen würde. Dies entspräche einer der weltweit höchsten Belastungen überhaupt.
Auch gilt es zu beachten, dass viele Länder keine Vermögenssteuer kennen und deshalb dort die Erbschaftssteuer eine völlig andere Berechtigung hat. In der Schweiz ist die Vermögenssteuer eigentlich schon heute eine Reichtumssteuer: Mehr als die Hälfte aller Steuerpflichtigen bezahlt überhaupt keine. In den USA ist die Vermögenssteuer verboten, in Ländern wie Deutschland, Österreich, Luxemburg, Schweden, Dänemark wurde sie in den letzten Jahren abgeschafft.
Aus unternehmerischer Sicht ist die Erbschaftssteuer ein eigentlicher Investitionskiller. Statt für die Modernisierung anzusparen, um an der Spitze der Innovationen und Produktivität zu bleiben, müssten Rückstellungen gemacht werden, um dereinst die viel zu hohe Erbschaftssteuer bezahlen zu können. Es erfolgt somit quasi eine dreifache Besteuerung: neben dieser Rücklage eben die bereits entrichteten Gewinn- und Dividendensteuern.
Besonders gefährdet wäre die Familiennachfolge in den KMU, dem Rückgrat des schweizerischen Wohlstandsmodells. Es drohen Liquiditätsengpässe oder gar Verkaufszwang. Wohl stellen die Initianten Erleichterungen für diese Fälle in Aussicht, doch wer weiss heute, wie die Ausführungsbestimmungen dereinst formuliert sein werden? Auch hier gilt zudem die Knacknuss der Bestimmung des Verkehrswertes der Betriebe. Von den rund 300‘000 KMU im Land sind über 230‘000 Familienunternehmen. Sie sehen der Volksabstimmung mit grosser Sorge entgegen, insbesondere nach dem SNB-Schock vom 15. Januar 2015.
Vertiefende Gedanken
Warum haben in den letzten Jahren viele Kantone Erbschafts- und Schenkungssteuern für direkte Nachkommen abgeschafft? Wer versucht „unpolitisch“ - d.h. ohne ideologisch oder neoliberal verbrämte Fixstandpunkte einzunehmen - zu denken, sieht wohl die vielen KMU-Familien, deren Vermögen über die Jahrzehnte kontinuierlich gewachsen sind. Dazu gehören auch Selbständigerwerbende oder Kaderleute, die generationenübergreifend gewirtschaftet haben. Nicht selten haben sie ein Leben lang gespart, um ihren Familienbesitz zu stärken. Vor die Aussicht gestellt, dass ihre Kinder von diesem Ersparten 20 Prozent dem Fiskus abzutreten hätten, fragen sie sich zu Recht, ob sie nicht gescheiter mehr ausgegeben hätten. Sie fragen sich auch, wie diese 20 Prozent in Franken und Rappen zu entrichtet wären, wenn ihre Aktiven in Immobilien oder Werkstätten angelegt sind.
Genau solchen Überlegungen folgend, haben deshalb viele Kantone in den letzten 25 Jahren die substanzzerstörende Erbschaftssteuer für direkte Nachkommen abgeschafft. Der Sparwille – einer der grossen Pluspunkte der Schweiz – wäre geschwächt. Die familieninternen Nachfolgen würden stark erschwert.
Vergiftende Boni-Exzesse
Im Fokus der Initianten mögen jene wenigen Erben unverfrorener Manager stehen, die sich – als Angestellte - jährlich aus dem Bonustopf ihrer Aktiengesellschaften bedienen - mit zweistelligen Millionenbezügen, Stichwort Vasella. Diese vergleichsweise wenigen Uneinsichtigen vergiften das politische und gesellschaftliche Klima, ohne es wahrhaben zu wollen. Die Spätschäden zeigen sich – in Form solcher Initiativen. Entgegenwirken könnte man solchen Exzessen allerdings einfacher und gezielter, ohne gleich weit über das Ziel hinauszuschiessen.
Mit „Trojanischem Pferd“ sind heutzutage Geschenke gemeint, die sich im Nachhinein als unheilvoll herausstellen.