Der Auslöser für diesen Bildband war die sogenannte „arabische Revolution“ von 2011. Die politischen Ereignisse motivierten Amélie Losier, sich mit dem aktuellen Geschehen zu beschäftigen. Ihre familiären Wurzeln reichen zum Teil in das französische Algerien. Aber ein Aufsatz der ägyptisch-amerikanischen Journalistin und Feministin Mona El Tahawy weckte ihr Interesse an Ägypten.
Dieser Aufsatz trug den Titel, „Why do they hate us“, und beschäftigte sich mit der Frauenfeindlichkeit im Islam. Die politischen Bewegungen von 2011 und den folgenden Jahren zeigten zugleich, dass sich die arabischen Gesellschaften dynamisch verändern und die Frauen dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen.
Amélie Losier, die im Nimbus Verlag bereits einen Bildband über New York veröffentlicht hat, wollte diese Veränderungen in Bilder fassen. Dazu suchte sie Kontakte zu einzelnen Frauen. Das erwies sich als, wie sie selbst in ihrem Bildband berichtet, „zeitraubend und zäh“. Die Anfänge seien „voller Hindernisse“ gewesen. Dann fand sie Helfer, die ihr Zugänge eröffneten, so dass sie die gewünschten Porträts und Interviews machen konnte.
Aber es waren mehrere Reisen nach Ägypten nötig. Verschiedene Stipendien haben diese Reisen ermöglicht, so dass sie zwischen 2014 und 2016 über vierzig Frauen interviewen und porträtieren konnte. Sie hat diese Frauen zu Hause aufgesucht, aber sie hat sie auch im öffentlichen Raum fotografiert. Dadurch entstand der besondere Reiz dieses Bandes. Man hat das Gefühl, ganz tief in den Alltag Ägyptens einzutauchen, der sich dem Blick des Touristen sonst nicht öffnet.
In ihrem Vorwort beschreibt die ägyptische Politikwissenschaftlerin Hoda Salah verschiedene Phasen der Frauenbewegung in Ägypten. Diese Phasen waren eng mit gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen verbunden, was zum Teil zu Fortschritten geführt hat, die weiter reichen als in den meisten westlichen Gesellschaften. So sind Frauen etwa zu 30 Prozent als Ärztinnen, Professorinnen und Lehrerinnen tätig. Beim Staatsrundfunk stellen sie sogar 50 Prozent der Mitarbeiter. Hoda Salah schreibt in diesem Zusammenhang vom „Staatsfeminismus“.
Neben diesen liberalen Tendenzen gibt es aber immer noch ein hohes Mass an Frauenverachtung, die in religiösen Traditionen ihren Ursprung hat. So berichtet Zeinab Sabet, die von Amélie Losier porträtiert und interviewt wurde, vom „sexuellen Terrorismus“ im Zusammenhang mit den Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz. Blitzschnell haben sich dort jeweils fünfzehn bis zwanzig „gut organisierte“ Männer zusammengetan, Frauen umringt und vergewaltigt. Umstehende haben aufgrund dieser Zusammenrottung von diesen Vorgängen nichts mitbekommen.
Amélie Losier gelingt es, mit ihren Bildern und Interviews etwas zum Ausdruck zu bringen, das unmittelbar berührt: die Suche nach dem Glück. Die Frauen, die ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten angehören, von denen einige mehr das Private pflegen und andere sich beruflich verwirklichen, die mehr oder weniger tief mit den Traditionen verbunden sind, wollen alle ihre eigenen Wege finden. In den Bildern sind es unscheinbare Gesten, die dem Ausdruck verleihen und den Betrachter berühren.
Amélie Losier: SAYEDA. Frauen in Ägypten. Women in Egypt. Femmes d‘Égypte, Fotografien und Interviews, 288 Seiten, Wädenswil: Nimbus. Kunst und Bücher, 2017.