US-Präsident Donald Trump ist kein Kriegstreiber – davon ist die Teheraner Macht überzeugt. Vielfältig, interessant und überraschend sind deren Fühler in Richtung Washington. Man solle Elon Musk in Teheran den roten Teppich ausrollen, schlägt eine Teheraner Tageszeitung sogar vor: Die Berührungspunkte seien zahlreicher, als viele dächten.
Kann man einem Mörder verzeihen? Unter Umständen ja. Kann man sich dann von diesem Mörder auch vorschreiben lassen, was man zu tun, wie man sich zu benehmen hat? Und wenn die Antwort darauf ebenfalls ja ist, wie weit muss man dann über den eigenen Schatten springen? Bewegt man sich weit genug, bis zur Selbstverleugnung? Und wie erklärt man diese völlige Kehrtwendung seinen Nächsten?
Diese Fragen sind weder aberwitzig noch so hypothetisch, als hätten sie mit dem realen Leben nichts zu tun. Im Gegenteil: Wir leben in einer neuen Realität; solche Fragen müssen dieser Tage ernsthaft gestellt und dafür schnell Antworten gefunden werden. Sehr schnell sogar, in wenigen Wochen.
Trump, Hauptangeklagter in einem Mordfall
Es ist genau die Realität, in der sich die islamische Republik seit Trumps Einzug ins Weisse Haus befindet.
Donald Trump steht in Iran seit dem 3. Januar 2020 offiziell unter Mordverdacht: Er sei ein geständiger Hauptangeklagter in einem spektakulären Mordfall, Tatort war der Bagdader Flughafen. Seine Akte mit den nötigen Beweisstücken sei sowohl dem internationalen Gerichtshof in Den Haag wie auch der irakischen Justiz übermittelt worden, gegen ihn und 73 weitere Mitangeklagte seien zudem Haftbefehle erlassen und Interpol davon benachrichtigt worden. All das sagte am 30.12.2020 Ibrahim Raisi, damals Chef der iranischen Justiz. Und bekräftigte, der Hauptangeklagte habe zudem öffentlich ein Geständnis abgelegt. Raisi, der ein Jahr später zum Staatspräsidenten Irans avancierte und im Frühjahr 2024 bei einem mysteriösem Hubschrauberabsturz ums Leben kam, ist längst Geschichte. Doch sein Morddossier bleibt aktuell.
Das Mordopfer hiess Qassem Soleimani, mächtigster und beliebtester Offizier der Revolutionsgarden, der vier Wochen vorher auf Befehl von Präsident Trump buchstäblich in Stücke gerissen worden war. Er war der oberste Kommandant der Quds-Brigaden und befehligte damit alle iranischen Milizen, die damals im Nahen Osten in Aktion waren. Ihm unterstanden die Söldnereinheiten aus Afghanistan, Pakistan und Irak, die er für seine Einsätze in Syrien rekrutiert hatte.
Durch geschickte systematische Propaganda hat man Soleimani zu einem konkurrenzlosen Nationalhelden stilisiert. Sein Leichnam – oder das, was nach dem Angriff einer US-Rakete oder -Drohne von ihm übrig geblieben war – wurde drei Tage lang durch ganz Iran geführt, offiziellen Angaben zufolge von Hunderttausenden begleitet, beweint und betrauert, bevor er in seiner Heimatstadt Kerman beerdigt wurde. Bei diesen Trauerzeremonien kamen Dutzende Menschen ums Leben. Und Soleimanis Grab ist inzwischen zu einem grossen Mausoleum, quasi einer heiligen Pilgerstätte ausgebaut worden.
Mordpläne gegen Trump
Es blieb nicht bei juristischer Verfolgung seines Mörders. US-Medien berichten regelmässig über konkrete Hinweise oder aufgedeckte Mordpläne gegen Trump: mit Teheraner Hintermännern. Zuletzt war es im vergangenen Oktober, als US-Behörden von vereitelten Attentatsplänen und einer Anklage gegen drei Personen berichteten, die an einem Mordkomplott gegen Trump beteiligt gewesen sein sollen. Ein Sprecher des US-Justizministeriums veröffentlichte sogar die Gerichtsunterlagen mit vollen Namen der Verdächtigen, einem Iraner und zwei US-Bürgern.
Seit diesen aufregenden Nachrichten sind nur wenige Monate vergangen, doch seitdem Trump im Weissen Haus sitzt, scheint all das vergangene Vergangenheit zu sein. Wir befinden uns in einer anderen Welt.
Relative Wahrheiten
Waren alle diese gegensätzlichen Anklageschriften aus Teheran und Washington nur geduldiges Papier? Waren die Teheraner Mordkomplotte gegen Trump nur Hirngespinste der amerikanischen Sicherheitsbeamten? Manche Wahrheiten sind eben viel relativer, als man denkt. Vor allem, wenn sie aus der Sphäre der Politik und der Propaganda stammen.
In der neuen Welt sind wir plötzlich mit einem neuen Trump konfrontiert. Von ihm hören wir dieser Tage andere Töne über Iran und Iraner: «Das Einzige, was ich über Iran gesagt habe – und ich möchte, dass sie ein grossartiges Land haben, sie haben grosses Potenzial, die Menschen sind grossartig – das Einzige, was ich über Iran gesagt habe, ist, dass sie keine Atomwaffe haben dürfen», sagte er am 23. Januar seinem Lieblingssender Fox News.
Ein neues Atomabkommen mit dem Iran sei möglich, allerdings müssten die Einzelheiten sorgfältig ausgehandelt werden. «Es gibt Möglichkeiten, wie man absolut sicher sein kann, ob man einen Deal macht», dieser Deal müsse «zehnmal überprüft» werden, sagte er selbstsicher und fügte hinzu, Iran sei nicht wie China und Russland, «da sind religiöse Eiferer am Werk, es ist sehr schwierig».
Angst vor «kultureller Invasion»
Atomwaffen habe er nie gewollt, behauptet Ali Khamenei seit vier Dekaden ständig – und wenige glauben ihm. Er hat sogar eine Fatwa, ein religiöses Gutachten erlassen, warum Atomwaffen verboten seien. Doch auch Fatwas sind relativ, haben beschränkte Halbwertzeiten: Ändern sich die Zeiten, ändern sie sich auch. Doch für jetzt, für eine minimale Verständigung mit den USA, reicht Khameneis Fatwa allemal aus. Schon in der Obama-Zeit zeigte er نرمش قهرمانانه, «heldenhafte Biegsamkeit», und ging in der Atomfrage gewisse Kompromisse ein.
Doch den Nahen Osten von damals gibt es nicht mehr. Auch das, was Khamenei einst seine «strategische Tiefe» nannte, existiert nicht mehr. Die Milizen, die im Libanon, in Syrien, Palästina und dem Irak mit seiner massiven Hilfe für seine Strategie kämpften, waren sein Kapital, seine Verhandlungsmasse bei jedem Deal. Doch diese Verbündeten sind inzwischen entweder völlig ausser Gefecht gesetzt oder geschwächt oder geflüchtet, wie der syrische Diktator Assad.
Ausserdem steht zwischen ihm und Trump, zwischen seiner «Republik» und den USA nicht allein das Atomprogramm. Jegliche Beziehung mit den USA – diplomatisch, wirtschaftlich oder gar kulturell – sieht Khamenei als existentielle Gefahr für seine Herrschaft, als «kulturelle Invasion»: ein Lieblingsbegriff von ihm, den er bei fast jeder Ansprache wiederholt und erläutert und davor ernsthaft warnt. Für die Abwehr dieser Invasion hat er im Laufe seiner fast vierzigjährigen Herrschaft Dutzende unterschiedliche Institutionen geschaffen, für alle Bereiche der Gesellschaft, mit enormen finanziellen Mitteln und weitreichenden Machtbefugnissen.
Er steht ohne Verhandlungsmasse da
Doch diese Zeiten sind vorbei. Khamenei ist in Bedrängnis geraten, in eine ausweglose Sackgasse, aus der er dennoch schnell einen Ausweg finden muss. Seine «strategische Tiefe» hat er verloren, die Luftabwehr Irans haben die Israelis zum grossen Teil ausgeschaltet, die nationale Währung befindet sich im freien Fall, die Inflation berechnet man täglich, die Unzufriedenheit der Bevölkerung kann er nicht ignorieren: Viel Masse zum Jonglieren hat Khamenei nicht. Das gesamte Land wartet gespannt auf etwas. Jeder Iraner, einerlei, wo er steht, rechnet mit etwas Spektakulärem, das sich bald ereignen wird, ereignen muss. Was es sein wird, wer diese Veränderung herbeiführt, ob Trump, Netanjahu oder sogar Khamenei selbst, darüber gibt es Vermutungen, Analysen und Szenarien zuhauf.
Die einen rechnen felsenfest mit einem baldigen Angriff Israels, andere mit landesweiten, dauerhaften Protesten der Bevölkerung, weil es so nicht weitergehen kann, wiederum andere sind überzeugt, Khamenei werde nachgeben und zwar auf ganzer Linie, weil Trump jeglichen Ölverkauf der islamischen Republik unterbinden will. Auch die Chinesen, die derzeit iranisches Öl zum halben Marktpreis kaufen, will er daran hindern, mit Iran Handel zu betreiben. Der Teheraner Herrschaftsapparat befindet sich in einer misslichen Lage.
Geiselfreilassung als Fühler
Deshalb streckt Khamenei seit Monaten seine Fühler in alle Richtungen aus. Am 2. Dezember 2024 veröffentlichte Vizepräsident Mohammad Jawad Zarif in Foreign Affairs einen spektakulären Artikel mit dem programmatischen Titel: «How Iran sees the Path to Peace: The Islamic Republic is open to negotiations – including with America».
Und eine Woche vor Donald Trumps Rückkehr ins Weisse Haus trafen sich Irans Emissäre in der Region Genf mit Diplomaten aus Frankreich, Grossbritannien und Deutschland; Thema war das Atomprogramm, Ort des Treffens: geheim. Später meldeten Agenturen, die zweitägigen Gespräche seien «ernsthaft, offen und konstruktiv» gewesen – was auch immer das heissen mag. Viel wichtiger war, was diese Diplomaten eine Woche später dem Nachrichtenportal Axios mitteilten: Die Iraner hätten deutlich gemacht, dass sie Verhandlungen über ein neues Atomabkommen wieder aufnehmen würden, und die Europäer aufgefordert, diese Botschaft an Washington zu übermitteln: dass sie auf einen Plan, einen Vorschlag aus der USA warteten. Waren Trumps nette Worte über die Iraner etwa Teil des erwarteten Plans oder Vorschlags?
Auch die Geiseldiplomatie wurde aktiv: Als am 9. Januar nach zwanzig Tagen Einzelhaft die junge italienische Journalistin Cecilia Sala aus dem Teheraner Evin-Gefängnis freikam, wurde Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni mit Lob überhäuft: Die Freilassung habe ihre Stellung gestärkt, schrieben die italienischen Zeitungen. Doch war es tatsächlich ihre Leistung oder hatte ein noch Mächtigerer seine Hand im Spiel? Zehn Tage nach der Freilassung der Journalistin berichtete die New York Times, der Multimilliardär Elon Musk habe den iranischen UN-Botschafter Amir Saeid Iravani kontaktiert und versichert, die USA würden Italien nicht unter Druck setzen, einen iranischen Ingenieur an sie auszuliefern, der Mitte Dezember auf Ersuchen der USA in Mailand unter dem Vorwurf verhaftet worden war, Drohnentechnologie an die iranischen Revolutionsgarden geliefert zu haben. Einen Tag nach Salas Freilassung landete der Ingenieur in Teheran.
Roter Teppich für Elon Musk
Die Musk-Connection scheint sich zu einer veritablen Hoffnung für eine rosige Zukunft zu entwickeln. Und zwar in jeder Hinsicht: Am 25. Januar veröffentlichte die Zeitung Etemad einen Artikel über Musk, den jeder lesen muss, der wissen möchte, in welchen Dimensionen in der islamischen Republik gedacht und geplant wird. Am Ende dieses sehr interessanten Beitrags schlägt dessen Autor vor, die Islamische Republik solle Musk nach Teheran einladen, ihm den roten Teppich ausrollen und ihn im grössten Fussballstadion des Landes für alle IT-Begeisterten sprechen lassen. Warum dies machbar und sehr nützlich wäre und warum Musk positiv reagieren würde, erklärt der Autor sehr schlüssig. Musks Erfolg bei der Freilassung der italienischen Journalistin wird zwar erwähnt, doch das ist nicht das Eigentliche.
Der Text beginnt mit dem Satz, mancher würde sich wundern, wenn man behaupte, Iran sei für Elon Musk das richtige Tor zum Nahen Osten. Doch Iran und Musk seien sich viel näher, als man denke, auch psychisch: Musk sei weder aus dem Osten noch aus dem Westen, weder Republikaner noch Demokrat, er werde zwar als sehr lauter Amerikaner betrachtet, sei aber Afrikaner. Und auch politisch gebe es viel mehr Berührungspunkte, als viele dächten. Sehr versiert und auf hohem sprachlichen Niveau, fast wie in einem Essay erzählt er Musks Biographie, deren Stationen von Südafrika über Kanada bis in die USA und dessen Aufstieg vom kleinen Startup-Unternehmer zum reichsten Mann der Welt.
Ungewisser Ausgang
Trumps Inaugurationszeremonie beschreibt er als Vision der Zukunft der Menschheit: Vor dieser Amtseinführung seien stets Ölbarone, Autofabrikanten, Waffenhändler und Schauspieler oder Sänger Gäste der Inauguration gewesen. An diesem 20. Januar aber hätten die vier Giganten der digitalen Welt die Szene beherrscht: die Chefs von Google, Facebook und Amazon, und an ihrer Spitze Elon Musk – ein Bild, das nicht nur Tausende Milliarden Dollar, sondern die Zukunft der Menschheit repräsentiere. «Wagen wir es, rollen wir Musk den roten Teppich aus, lassen wir ihn in Teheran vor einem grossen Publikum reden, er mag den Iran», beendet der Autor seinen Text.
Doch noch redet Khamenei unentwegt gegen jegliche Nähe zu den USA, noch lässt er kleine Gruppen gegen Zarif und seinen Artikel in Foreign Affairs demonstrieren, noch schimpfen Abgeordnete gegen zaghafte Andeutungen des Präsidenten. Das eigentliche Spiel findet woanders statt, mit ungewissem Ausgang.
Mit freundlicher Genehmigung Iran Journal